Interpret: Ulrich Mühe
ISBN 3-491-91008-0
Spielzeit: 27:19 Min.
Patmos Verlag GmbH & Co KG 1998
Als ein Bruder von Rilkes Vater nobilitiert wurde, hat er, um seinen Adel nicht allzu jung zu zeigen, die Familie auf ein längst ausgestorbenes Kärntner Adelsgeschlecht Rülke zurückgeführt. Es besteht zwischen beiden Familien keine verwandtschaftliche Beziehung, aber es verwundert nicht, dass Rainer Maria Rilke eine angebliche Familienchronik als Quelle für seine bekannte Erzählung aus den Türkenkriegen angibt. Es ist ein höchst musikalisches Stück und nicht zuletzt deshalb als Vortragsstück seit langem bei Rezitatoren beliebt. Man hört es, dass auch Ulrich Mühe mit Begeisterung bei der Sache ist.
Ulrich Mühe hat am Deutschen Theater Berlin und am Burgtheater große Rollen vorgestellt und ist auch in Filmen wie etwa "Die Hälfte des Lebens" (als Hölderlin) und "Das Schloss" zu sehen. Als Rezitator ist er vielen mit seinem Trakl-Programm bekannt.
Ich habe die CD zuerst im Auto eingelegt. Und es ist schon ein eigenes Erlebnis dieses "Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten" bei der Fahrt durch die Stadt zu hören. Es ist die Bewegung in feindliches Umland, ein Hineinreiten in eine fremde Welt, das diese Männer aus den verschiedene Teilen Europas verbindet. "Da sind sie alle einander nah, diese Herren ... Denn was der eine erzählt, das haben auch sie erfahren und gerade so." Es sind verlorene Krieger mit Sehnsucht nach Mutter oder Freundin, voll unsagbarer Müdigkeit, auch sprachlos. "Man sitzt rundumher und wartet. Wartet, daß einer singt. Aber man ist so müd." Endlich gelangt man an einen sicheren Ort, man feiert ein Fest.
Ulrich Mühe liest die Erzählung mit einigem Pathos, das sich gut getimt bis zum Schluss hin immer mehr steigert, lässt Zuhörerinnen und Zuhörern aber genügend Raum, das merkwürdig Nahe und unendlich Fremde der Ereignisse wahrzunehmen. Es geht eine Irritation aus von diesem tragischen One-Night-Stand des Cornets Christoph Rilke mit der namenlosen Gräfin und dem darauf folgenden Sich-Verlieren im Kampf und dem vorgeblichen Wissen "daß es heidnische Hunde sind".
Getreu, wortgetreu liest Ulrich Mühe den historischen Text, der so wenig politically correct und doch so rührend ist. Darüber Nachzudenken, was anrührt, könnte interessant sein. Folgen wir in unseren Autos auch irgendwelchen Fahnen in die Schlacht, blindlings, mit unseren geheimsten Sehnsüchten, die nur Frauen stillen können, unter dem Herzen? Ein Beiheft hat der Verlag nicht beigegeben, so ist man gezwungen sich selbst ein Verzeichnis der einzelnen Abschnitte anzulegen. Auch einige Hinweise auf den Verfasser des Textes oder auch auf die Rezeptionsgeschichte der so wohlklingenden aber doch so martialischen Erzählung möchte man anfordern.
Originalbeitrag
Helmut Sturm
27. März 2002