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H. C. Artmann: Fleiß und Industrie.

Nachwort von Raoul Schrott.
Salzburg: Jung und Jung 2006.
77 S.; geb.; Eur 15,80.
ISBN 3-902497-06-8.

Link zur Leseprobe

1967 war H. C. Artmann von seinem Lektor Klaus Reichert in seinem Frankfurter Gästezimmer regelrecht eingesperrt worden, um über vergessene und gegenwärtige Berufe zu schreiben, so erzählt es Raoul Schrott in seinem liebevollen Nachwort zum eben bei Jung und Jung neu aufgelegten Buch "Fleiß und Industrie". Morgens habe Artmann ein Stück geschrieben, nachmittags ein weiteres. Nach drei Wochen waren so 30 Handwerksporträts entstanden und der fleißige Schreibhandwerker Artmann hatte für 3000 Mark Honorar ein - wenn auch dünnes - Buch auf den Markt gebracht. Jochen Jung hat gut getan, diese dreißig Stücke neu herauszubringen - es sind kleine Schätze, Zeugnisse einer vorglobalisierten, vorindustriellen Zeit, zeitlos schön, eben weil sie in einer Zeit verhaftet sind, die es nicht mehr gibt. Ein Lob der Handwerksehre hat Artmann verfasst, eine Poesie der alltäglichen Verrichtungen, von Arbeit erzählt er, die nicht entfremdete.

"Die gute Köchin" heißt das siebzehnte Stück: "Die gute köchin hat einen busen, den auch schon gar nichts verbergen kann, sie seufzt in stillen stunden und singt teils schwermütige, teils heitere lieder, ihre schlimmste feindin ist eine milchweiße katze, die die bratwurst ihres dienstgebers entführt - wie soll sie das ins reine bringen?" Über den Lehrer schreibt er: "Lehrer verfügen über reichlich freizeit, sie bringen sie auf die verschiedensten weisen zu: die einen radeln, die anderen botanisieren, manche unter ihnen gehören politischen vereinen an, alle jedoch verfassen pamphlete zur verbesserung der menschheit." Die Schwierigkeiten des Gärtnerinnenberufs schildert er so: "Unter ihrer arbeitszeit werden die gärtnerinnen von schwänen in die waden gebissen, vogelschwärme streifen ihre kopftücher, eichhörnchen vergehen sich häufig an ihren abgestellten jausenkörbchen - ein tagwerk also, das keineswegs so leicht ist, als es vorerst scheint."

Artmann skizziert und charakterisiert mit viel Humor, auch die Groteske ist ihm nicht fremd. Sein umkreisendes, abschweifendes Erzählen trifft - wie nebenbei - den Kern der Sache. Er hat eine Vorliebe für exotische Namen, führt den Leser in eine Märchenwelt, eine sehr einfache Welt, die von Arbeit, Essen und der Liebe geprägt wird. Eine Welt, die nicht aus den Fugen geraten ist, sondern liebenswert romantische Züge trägt.
Er erzählt von der Einsamkeit des Flottenkapitäns, vom Barbier als Varietékünstler, vom Zimmer vermietenden Landlord, der in seine Nichte verliebt ist: "Der landlord möchte gerne mit seiner nichte ein liebesverhältnis anbahnen, aber er getraut sich nicht, er ist 65 und seine nichte etwas über 18."
Er protokolliert die Gehälter von Trommlern und Fahnenträgern: "Die tagessätze sind folgende: einem trommler gibt man 1 fl 15 kr, einem trompeter 1 fl 25 kr, einem pfeifer 85 kr, einem waldhornbläser 1 fl 75 kr, einem fahnenträger 2 fl 15 kr."
Artmann zeichnet ein buntes Treiben, es menschelt an allen Ecken und Enden. Dem Weichensteller schreibt er folgendes zu: "Die meiste zeit aber raucht er seine geliebte pfeife, er hat keine frau, er sieht den ersten stern am abendhimmel aufglänzen, er geht in das intime grün der brennesseln hinter dem haus austreten, er ist sonst ein frühaufsteher und trinkt nach dem essen ein bier."

Unwillkürlich fragt man sich während der Lektüre, ob solche Berufsporträts in unserer Jobgegenwart noch möglich wären, ob sie zu ähnlichen Poetisierungen taugen würden. Wohl eher nicht. Aber spannend wäre schon, was Artmann dem müden Blick einer Billa-Verkäuferin entlocken würde, dem genervten Kaffeehauskellner, dem gestressten Paketzusteller.
Wir schließen mit dem Bäcker, der unser täglich Brot bäckt: "Auf der metallenen bretzel vor dem laden hockt ein fröhlicher montag, der bäckermeister holt seine flinte, er ist bei der miliz, er reinigt die flinte und bäckt einen stollen, er zieht den lehrjungen am ohr, er tanzt einen walzer."

 

Peter Landerl
3. Mai 2006

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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