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All that Jazz - Portrait Ruth Weiss

Ruth Weiss, Goddess of the Beat-Generation, ist in Wien aufgewachsen, bevor sie vor den Nazis fliehen mußte und in den USA den Jazz entdeckte.

Die Nacht nach ihrer Jazz-Poetry-Performance im Amerlinghaus ist lang geworden. Um fünf ins Bett, nur zwei Stunden Schlaf, dann den ganzen nächsten Tag Workshops für Schulklassen, und abends stehen Interviews an. So ist das Leben: On the Road again. Außergewöhnlich daran ist bloß, daß Ruth Weiss bereits 1928 geboren wurde, also in einem Alter ist, in dem andere Damen am liebsten beschaulich im Park sitzen und über ihre körperlichen Beschwerden klagen. Ruth Weiss, die vom San Francisco Chronicle einst "Goddess of the Beat-Generation" genannt wurde, hingegen: ein drahtiges kleines Energiebündel mit blitzend neugierigen Augen, knallrotem Kurzhaarschopf und einer Stimme, die von langen Nächten und unzähligen Zigaretten erzählt - irgendwo zwischen Amanda Lear und Marianne Faithfull. "Woher ich meine Energie habe? Ich weiß nicht, vielleicht von meinen Eltern, die beide sehr alt wurden. Ich habe alle meine Kraft in die Poesie gelegt, die mich wiederum gefüttert hat: My poetry tells me things I don't know."

Ihre Poesie trägt Ruth Weiss gemeinsam mit Jazz-Musikern vor. Weiss schreibt Jazz in Worten, wie es der Autor Jack Hirschmann einmal formuliert hat: "Others read to jazz or write from jazz. ruth weiss writes jazz in words." Vor ihrem Auftritt im Amerlingshaus war sie zwar nervös wie beim ersten Mal, trotzdem merkt man, daß sie eine gewisse Coolness des Jazz verinnerlicht hat: "Wenn ich auftrete und nichts fühle, höre ich mitten in der Show auf und fange neu an." Mit der Welt des Jazz kam Ruth Weiss in den 40er Jahren in Chicago in Berührung. Sie hat - wie die meisten Autoren der Beat-Generation, die ihr zutiefst romantisches Weltbild des Künstlers als Außenseiter u. a. vom Jazz entlehnten - für den Bebop eines Dizzy Gillespie, Charlie Parker und Thelonius Monk geschwärmt. Der Jazz war in einer auf berechenbaren Materialismus gepolten Nachkriegswelt eine Befreiung - "er hat mit festgefahrenen Mustern gebrochen". Ihren ersten Auftritt hatte Ruth Weiss 1949. "Wir nannten uns Bohemians, und als es mit der Beat-Generation los ging, war ich plötzlich mitten drin." Mit Jack Kerouac, den sie 1953 kennenlernte, war sie eng befreundet: "Er kam um drei, vier in der Früh vorbei, wir schrieben die ganze Nacht Haikus." Kerouac soll einmal gesagt haben: "Du schreibst bessere Haikus als ich". Ihr Credo, beim Schreiben ungefiltert zu produzieren, hat Allen Ginsberg mit einem Zen-Buddhismus-Satz paraphrasiert: "First thought, best thought".

Aber waren die Beatniks, im Kern ein kleiner Freundeskreis der Autoren Jack Kerouac, Allen Ginsberg, Neal Cassady und William S. Burroughs, nicht eine ziemlich chauvinistische Männerveranstaltung? Erst 1996, als "Women of the Beat Generation" von Brenda Knight erschien, tauchten Namen von Frauen auf, die die Beat-Literatur wesentlich mitgeprägt hatten. Jetzt erst weiß man, nicht Lawrence Ferlinghetti ist der Erfinder der Jazz-Poetry, sondern Ruth Weiss. "Burroughs, Ginsberg, Ferlinghetti waren sehr medienbewußt, es gibt Briefe in denen sie darüber reden, wie sie es anstellen könnten, Aufmerksamkeit von den Medien zu erlangen. Sie machten sich sehr berühmt, die Frauen ignorierten sie. Ich kam zurecht, weil ich von keinem die Freundin oder Frau wurde, meine Liebhaber waren meist Maler". Daß Ruth Weiss erst relativ spät Anerkennung fand - erst 1996 war sie in einer Beat-Culture-Ausstellung in The Whitney Museum of American Art mit ihrem Avantgardefilm "The Brink" von 1961 vertreten - hat noch andere Gründe. Damals zur Beat-Zeit, erinnert sich Weiss, redete niemand darüber woher er kam: "Es ging um den Moment, ich wußte von den meisten Freunden nicht mal, wo sie geboren wurden". Woher kommt Ruth Weiss?

Ruth Weiss wurde 1928 in einer jüdisch-österreichischen Familie in Berlin geboren. 1933 flohen die Eltern nach Wien. Ihre Großmutter hatte eine Pension im 9. Bezirk. Hier schrieb Weiss mit fünf ihr erstes Gedicht: "Es war einmal ein Bär / der hatte braune Augen / spazierte hin und her / und wollt zu gar nichts taugen". 1939, mit dem letzten Zug, der die Grenze überqueren durfte, flüchtete die Familie nach New York. Später ließ man sich in Chicago nieder. Ein kurzes Intermezzo führte sie 1946 nach Frankfurt - ihr Vater war in der US-Armee - Ruth war zwei Jahre in einer Schweizer Schule "learning French, learning to drink". 1948 die Rückkehr nach Chicago. Ruth zog von zu Hause aus, tauchte ins Künstlerleben ein, trampte per Autostopp durch das Land. Machte Halt in New York's Greenwich Village, landete 1952 in San Francisco's North Beach.

Trotz Freiheitssuche, ihre Vergangenheit hat sie nie losgelassen: "Ich war ein Nazi-Flüchtling und habe mich lange versteckt. Ein Teil von mir fühlte immer: Ich will nicht, daß sie mich finden." Geändert hat sich das erst 1993, als sie vom Holocaust Oral History Project interviewt wurde. Beim Anschauen des Gesprächs auf Video wurde ihr plötzlich klar, wie sehr die Schuld überlebt zu haben, während die gesamte Verwandtschaft ihrer Mutter in KZs ermordet wurde, auf ihr lastete. Früher hat sie sich die Haare geschoren, ihr Zimmer schwarz ausgemalt, hatte Angst unter Menschen. Jetzt, im Alter, öffnen sich Türen und schließen sich Kreise. Etwa jener nach Wien. 1998 war sie durch die Schule für Dichtung nach 60 Jahren zum ersten Mal wieder hier. Weiss wohnt ansonsten mit ihrem "langjährigen Geliebten", dem Maler Paul Blake, ohne Fax und ohne E-mail am Land in Kalifornien. Ihre Wien-Erinnerungen beschreibt sie in ihrem neuen, sehr biografischen Buch full circle, das alte und neue lyrische Prosa sowie ein ausführliches Interview enthält. Übersetzt wurde es von Christian Loidl noch kurz vor seinem überraschenden Tod, als er am 16. Dezember 2001 aus dem Fenster seiner Wohnung stürzte. Titel: "ein kreis vollendet sich".

Karin Cerny
15. Mai 2002
In leicht veränderter Form auch im "Falter" erschienen.

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