Inkohärenter Alptraum auf 140 Seiten

Impressionen einer frustrierenden Lektüre von The Real Ashs „Levana – Göttin des Todes“

Von Jasmin Farah WeinerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jasmin Farah Weiner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Don’t judge a book by its cover“ – es fällt schwer, diese abgedroschene Floskel bei Levana – Göttin des Todes nicht zu missachten. Der Einband, in all seinen Details, verlangt geradezu nach einer frühzeitigen, vielleicht verfrühten Beurteilung. Oder Verurteilung.

Den Buchdeckel schmückt das Foto einer schlanken jungen Frau im Wald. Sie trägt Pumps, ein kurzes graues Kleid, das gerade einmal bis zur Hälfte ihrer Oberschenkel reicht, in der rechten Hand einen an viktorianische Zeiten erinnernden Schirm, eine Analog-Kamera mit Trageriemen über der linken Schulter, das Objektiv direkt auf den Betrachter gerichtet. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Schweißermaske, die die Blondine über ihrem Gesicht trägt. Der Titel des Romans prangt in rosafarbener Schrift auf Bauchhöhe der jungen Frau und nimmt die komplette linke Hälfte des Covers ein. In die typographische Gestaltung scheint recht wenig Kreativität geflossen zu sein. Die Schrifttype erinnert an den Versuch eines Jugendlichen, die ansonsten zu spärlichen Hausaufgaben mit Windows 95 WordArt optisch aufzuwerten.

Der Buchrücken wartet auf mit dem im selben rosa gehaltenen Text „Wenn die Mauer fiel, würde alles erscheinen, so wie es war: unendlich“. Mit dieser Anlehnung an ein Zitat aus William Blakes Gedicht Doors of Perception von 1790 mag zwar der Anspruch erhoben werden, unheilschwanger von den lesenswerten Geschehnissen des Buches zu künden und diese gleichzeitig auf eine Meta-Ebene zu heben. Doch scheint der Roman leider mehr mit dem 1954 erschienenen Buch The Doors of Perception gemein zu haben, in dem Aldous Huxley seine Selbstversuche mit psychedelischen Drogen beschreibt.

Auch die Wahl des Fotos auf dem Buchrücken irritiert: Diesmal ohne Schweißermaske, jedoch beschirmt und im gleichen, für einen Waldspaziergang unangebrachten Outfit, lehnt dieselbe Frau an einem Holzstapel. Die Wahl des Covers dürfte auch nach Beendigung des Romans unverständlich bleiben, es sei denn, die Autorin oder der Autor bewies unerwartet Sinn für Humor, denn nach der Lektüre stehen sowohl die Frau auf dem Cover als auch die Leserschaft im Wald.

Unter dem Begriff des Self-Publishings wird auf der Website des Verlages damit geworben, dass gegen eine gewisse Summe jeder seinen Text drucken und binden lassen kann. Dies mag zumindest in Teilen zu erklären, wie es zu dem, milde formuliert, unkonventionellen Design des im Jahr 2017 bei tredition erschienenen Romans kam. Die gestalterischen Entscheidungen können nur sofortige Ablehnung oder belustigtes Interesse beim Käufer hervorrufen – letzteres in der Hoffnung, eine Rarität in Sachen Trash-Literatur aufgespürt zu haben. Wer sich dann und wann gerne dem ironischen Konsum von ansonsten unbeachtet bleibender seichter Literatur hingibt, dessen Herz mag beim Anblick von Levana höher schlagen. Fraglos erzielt das ungewöhnliche Äußere bewusst oder unbewusst seinen Zweck: das Interesse ist geweckt.

So wie diese ersten Eindrücke zur Genüge stutzig machen, birgt auch der Name der Verfasserin oder des Verfassers mehr Fragen als Antworten. The Real Ash – ein Pseudonym, das an Aliase jugendlicher Fanfiction-Autoren in Internetforen erinnert. Der Klappentext scheint diesen ersten Eindruck zu bestätigen. Er verweist auf die Website schnittberichte.com, auf der The Real Ash Filmreviews zu Horrorfilmen veröffentlicht.

Die Hoffnung, dass bei Beginn der Lektüre alle Unklarheiten beseitigt werden, die das mysteriöse Cover aufwarf, wird gleich zu Anfang des ersten Kapitels enttäuscht: Der komplette Roman ist seltsam strukturiert – beginnend bei „o)“ tragen die Kapitel randomisierte Titel, die jeweils aus einer Anzahl an geöffneten und geschlossen Klammern bestehen, manchmal mit, manchmal ohne Minuskel. Inhaltlich sind die versammelten Absätze so unzusammenhängend, dass kein Lesefluss entstehen will. Es scheinen sich Traumsequenzen mit realen Erlebnissen der Protagonistin Ella abzuwechseln. Mal gibt ein auktorialer Erzähler Einblick in Ellas Kindheit, mal wird aus ihrer Perspektive ein Mord beschrieben, bei dem nicht deutlich wird, ob er wirklich stattgefunden hat oder nicht.

Bruchstückhaft werden Informationen zum Leben der Protagonistin im Text verteilt, sodass der Leser sich nur mit viel Mühe ein Bild über deren häusliche Situation verschaffen kann. Ella scheint im Teenageralter von ihren Eltern getrennt worden und, nachdem ihre Mutter in ein Heim eingewiesen wurde, bei Adoptiveltern aufgewachsen zu sein. Viel mehr lässt sich bezüglich des Plots nicht sagen. Dass Ella eine Ausbildung an einer renommierten Tanzakademie absolviert, dass ihre Mentorin sich der Hexerei verdächtig macht und ihr verschollen geglaubter Bruder Adrian vielleicht doch zurückkehrt, lässt sich dem Klappentext entnehmen. Bei der Lektüre werden diese für ein Verständnis der Erzählung unabdingbaren Eckpfeiler nicht deutlich.

Obskure, traumähnliche Episoden wechseln sich ab mit verstörend klaren Berichten von Ereignissen, die so unvermittelt in einem ansonsten dahinplätschernden Text auftauchen, dass man des Öfteren dazu verleitet wird zurückzublättern, um sicherzugehen, sich nicht verlesen zu haben. Beispielhaft hierfür ist ein Kapitel, das ein Spiel der jungen Ella mit ihrem Bruder Adrian beschreibt, den sie „Prinz“ nennt. Völlig unerwartet scheint sich eine sexuelle Beziehung zwischen den beiden Geschwistern zu ergeben. Auch wird ein eventueller Missbrauch Ellas durch ihren leiblichen Vater angedeutet, aber nie bestätigt. Unkommentiert lässt der Text diese Begebenheiten stehen – und den Leser verwirrt zurück.

Erschwert wird die Lektüre zudem durch häufige Stilwechsel und schiefe Formulierungen („Es war einfach so unglaublich schrecklich und unglaublich“, „Ich lief wie durch Spiegel“, „Tot. Aus. Mickey Mouse“). Wie das Mitwirken an einer Website für Horrofilm-Reviews schon vermuten lässt, beweist The Real Ash, dass er oder sie sich im Genre des Gruselns bestens auskennt und nicht scheut, entsprechende Anspielungen und Verweise in den Roman einzubauen. So basiert beispielsweise der Name der Tanzschule, die Ella besucht – Suspiria – auf dem gleichnamigen Hexenfilm-Klassiker des Regisseurs Dario Argento aus dem Jahr 1977. Es ist davon auszugehen, dass eine Reihe weiterer Anspielungen auf Filme oder Zitate durch den Nischencharakter des Genres, aus dem sie stammen, nicht jeden Leser erreichen werden und damit unbeachtet bleiben.

Es finden sich kaum komplexe Satzstrukturen, eine Aufzählung reiht sich an die andere, es bleibt unklar, inwiefern Vor- und Rückblenden eingesetzt werden. Auch weist der Text häufig grammatikalische Fehler auf, was auf einen unzureichenden Lektorierungsvorgang schließen lässt. Dies mag dem Fakt geschuldet sein, dass das Buch in Eigenregie veröffentlicht wurde, entschuldigt die Mängel aber nicht. Alle stilistischen Entscheidungen, vom Cover, der Typografie bis hin zur Nummerierung der Kapitel weisen darauf hin, dass sich die Autorin um jeden Preis mit diesem allzu avantgardistisch anmutenden Text von Konventionen der Unterhaltungsliteratur abzusetzen versucht, was aber gezwungen und aufgesetzt wirkt.

Der Klappentext von Levana – Göttin des Todes verspricht ein „fieberndes Trauma, das sich jeder herkömmlichen Logik und Identifikation entzieht“ und soll damit leider Recht behalten. Um sich kostbare Lesezeit zu sparen, mag es klug sein, in diesem Falle ein Buch nach seinem Cover zu bewerten.

Titelbild

The Real Ash: Levana – Göttin des Todes. Roman.
Tredition, Hamburg 2017.
140 Seiten, 15,99 EUR.
ISBN-13: 9783743933729

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