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Wintergrab

WINTERGRAB
WINTERGRAB

Arne Kilian
Novelle / Drama

TextLustVerlag
Covergrafik: Crossvalley Smith
Covergestaltung: Atelier Bonzai

Teezeitgeschichten: Band 11
Taschenbuch, 60 Seiten
ISBN: 978-3-943295-92

Jan. 2014, 4.95 EUR
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I. Kapitel

Er hatte seinen Namen vergessen. Das Feuer im Kamin loderte auf und riss dabei Schatten von ihm los. Sie verteilten sich im Wohn-raum der Berghütte. Gleichzeitig fielen unzählige Eiskristalle vom Himmel herab. Die Sonne war bereits vor zwei Stunden unter-gegangen, und so blieb als einzige Lichtquelle das Feuer hinter der Fensterscheibe. Ein Grammophon spielte Carusos alten Welterfolg »O sole mio«.
»Mein Name ist …«, sang er dabei. »Mein Name war …«, fügte er hinzu. »Ich bin Caruso!«
Der Nordwind brachte Polarluft in die Berge und schaffte es für einen kurzen Augenblick, den Halbmond zu befreien. Dieser sah rötlich aus und wies heute, am Heiligen Abend, den Weg in die Schweizer Alpen. Eine alte Seele hatte sich aufgemacht, um dem Ruf zu folgen. Im Tannenwald, der unweit vom Blockhaus begann, knirschte Schnee.
»Fröhliche Weihnachten, Schatz«, sagte Caruso. »Fröhliche …«
Auf einem rustikalen Sofatisch lag eine kleine Holzkiste.
»Kubanische Zigarren. Schön. Jedes Jahr wieder schön.«
Eine Weile betrachtete er den Inhalt der Kiste, schloss dann seine Augen, stützte den Kopf an der Rückenlehne ab und lausch-te dem Knistern der Holzscheite im Kamin. Schließlich blickte er seitlich zu seiner Frau, lächelte sie an und meinte: »Stoßen wir auf den gemeinsamen Abend an.«
Als sich Caruso erhob, um zu einem länglichen Esstisch mit zwei einfachen Holzstühlen an den Kopfenden zu gehen, quietschte die Rückenlehne. »Möchtest du auch von dem Pinot?« Er wagte es nicht, sie anzusehen. »In Ordnung, Schatz, vielleicht ja später. Der Hase ist dir dieses Jahr besonders gut gelungen.« Mit seiner Hand streichelte er sich über seinen rundlichen Bauch. »Ich werde mir eine Kubanische gönnen. Und du möchtest wirklich keinen Wein?«
Er kehrte zur Couch zurück und öffnete das Holzkästchen.
»Ob die Kinder auch schon ihre Bescherung hatten? Johanna ähnelt dir in vielen Dingen. Bekommt sie nicht dieses Jahr eine Puppenküche? Mit echten Kochplatten sogar? Vor wie vielen Jahren haben wir unserem Paul sein erstes Fahrrad geschenkt? Er muss fünf Jahre alt gewesen sein. Ich hatte damals meine Fest-anstellung im Feuilleton erreicht. Von dem ersten Gehalt haben wir uns Hasenbraten geleistet und für Paul die Sterne vom Himmel geholt. Alles war schön – nur der Wein, mit dem du den Braten abgelöscht hattest, war verdorben. Du wusstest nicht, dass man Wein nach dem Öffnen probieren muss. Er schmeckte nach Essig, und das Festmahl nahm sein Aroma an. Du weintest, während Paul vor seinem Fahrrad stand und die Schelle ausprobierte. Den Braten habe ich dennoch mit Genuss gegessen. Es war schließlich unser erster Weihnachtshase!« Seine Augen flackerten.
»Weißt du«, sprach Caruso weiter, »ich glaube, dass wir da-mals den wahren Sinn von Heilig Abend erfahren haben. Wir hatten es schön! Darum geht es: sich das Leben wenigstens an diesem einen Tag wohlergehen zu lassen.«
Er paffte Rauch zur Decke, schmeckte den Moment auf seiner Zunge, strich durch sein lichtes Haar, dann richtete er sich abrupt auf. »Und das lasse ich mir nicht stehlen!« Mit der Faust schlug er so auf den Tisch, dass die Zigarrenkiste verrutschte.
Er sah zu seiner Frau und spürte sogleich Trauer in seinen Augen. »Ich konnte den Nachtisch nicht essen«, schluchzte er.
Sie sagte nichts, starrte nach vorne.
»Frohes Weihnachtsfest«, flüsterte er und fügte noch leiser hinzu: »Frohe …«
Das Hüttenfenster war an einer Stelle beschlagen, doch von innen konnte man davon nichts sehen; das Nachtgestirn leuchtete zu schwach durch die Wolken. Für den Schatten dort draußen blieben von nun an genau sieben Tage, bis er diesen Ort nach einem Blutmond wieder verlassen musste.
Nach einer längeren Pause, die Kubanische ruhte inzwischen als Stumpen in ihrer eigenen Asche, richtete sich Caruso von seinem alten Platz auf. »Lass uns Musik hören, aber ich glaube, dass die Nadel stumpf ist. Ich werde sie besser auswechseln.«
Er ging hinter dem Esstisch zu einem Schrank, auf dem eine verblasste Bauernmalerei zu erahnen war, und öffnete ihn. Mit einer Metalldose kehrte er zurück und montierte am Grammo-phon herum. »Heutzutage werden diese Nadeln kaum mehr hergestellt. Wir haben Glück!«
Aus dem Trichter sang schon bald die angekratzte Stimme: »O sole mio«
»Möchtest du tanzen? Wie früher?« Caruso stand auf und tänzelte um den Wohnzimmertisch. Er stoppte in der Bewegung und hockte sich auf den Boden. »Wusstest du, dass Caruso an einem vierundzwanzigsten Dezember seine letzte Vorstellung gab? Das wollte ich dir immer schon erzählen und habe es jedes Jahr irgendwie vergessen. Wusstest du es schon?«
Während die Nadel weiter über die Platte tastete, wurden seine Wangen feucht. Er wischte die Tränen schnell fort und griff nach dem Weinglas, trank den Pinot in einem Zug aus, goss sich direkt neu ein und setzte sogleich zu einem weiteren Schluck an.
»Noch eine Zigarre«, beschloss er und überlegte es sich dann anders. »Reicht wohl besser.«
Inzwischen war es spät – auch das Feuer im Kamin knisterte leiser und würde bald erlöschen, wenn er kein neues Holz nach-legte. Dafür musste Caruso den Weidenkorb auffüllen, doch der Nordwind wehte ums Haus und klang wenig einladend.
Als sich Caruso erhob, gaben die Dielen knarrende Laute von sich. Sein Herz verlangsamte den Takt, und die Klänge in und vor der Hütte verschwanden aus seinem Geist.
In seinem Kopf breitete sich ein Rauschen aus, und er ließ sich mit dem Wein treiben, der seinen Körper endlich betäubte. So legte Caruso sich aufs Sofa und rückte ganz nah an seine Frau heran. Behutsam näherten sich seine Finger ihrem Haar, dann zuckte er zurück. »Du bist kalt! Ist dir zu kalt?«
Einen Augenblick verweilte Caruso. Nur einen weiteren Schluck, diesmal aus der Flasche.
Vorsichtig senkte er seinen Kopf auf ihre Schulter, zog eine zer-knüllte Decke zu sich und legte sie über seinen und ihren Schoß. Das kleine Schlafzimmer rechts neben dem Kamin, das hinter einem braunen Vorhang versteckt lag, blieb diese Nacht leer.
Die Decke roch alt, vermodert. Er kniff die Augen zusammen und ließ seine rechte Hand auf ihrem Oberschenkel ruhen – nur unter der Decke, und so war vom Fenster aus nichts zu sehen. Seine Handinnenfläche nahm Kälte auf. Er tippte mit dem Zeige-finger auf ihr Bein, fing an, daran entlangzuwandern.
Der Kamin verlor endgültig sein glanzvolles Leuchten und lud die Nacht dazu ein, es sich im Wohnbereich bequem zu machen, doch davon bemerkte Caruso nichts mehr. Nur eine rote Kerze flackerte in dieser stillen Nacht vor sich hin und hatte ausreichend Zeit dafür. Mit jeder weiteren Bewegung riss ein Teil der Grenze zwischen Caruso und seiner Frau ein. Dabei summte er leise »O sole mio« und versuchte, an früher zu denken; mit geschlossenen Augen war das einfacher. »Früher …« Sein Schluchzen verhallte.
Der Schatten am Fenster hatte genug gesehen und hinterließ Spuren, die am Ende der Nacht vom Neuschnee verdeckt sein sollten. Der alte Mann in der Berghütte würde sich mit aller Kraft ans Leben klammern. So war es schon sehr oft gewesen. Meist konnten die Männer nicht loslassen, weniger die Frauen. Dennoch war es noch zu früh, um einzugreifen. Der Schatten wollte mehr über Caruso und seine Geschichte erfahren ...


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