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Leseprobe
Leseprobe zu »Der Stern der Götter«, © Uschi Zietsch Handlungsschauplatz ist die Welt Waldsee im »Träumenden Universum«. Erzählt wird die Geschichte eines charismatischen Mannes, der sich aus tiefstem Elend zum größten Kriegsherrn erhebt, um gegen den mächtigen Widdergott, der ihn einst verfluchte und der gnadenlos das Menschenvolk unterdrückt, zu kämpfen. Ein Drache scheint Hoffnung auf den Sieg zu bringen, doch es kommt alles ganz anders. I Der Prinz der Schweine Der Herbst kam plötzlich und unerwartet an einem Spätsommertag ins Land und brachte im ersten mächtigen Sturm das Kind mit der Falkenklaue ins Dorf. Die vom Platzregen verschlammten Wege waren bereits am frühen Abend leer und verlassen, und durch die Ritzen und Astlöcher der windgebeutelten Hütten huschten vorwitzig warme, funkelnde Feuerblitze, um in der kühl-feuchten Luft zu sterben. In den Baracken drängten sich die Kinder furchtsam in einer Ecke möglichst nah beim Feuer und beobachteten den Vater mit hungrigen Augen beim Essen. Sie durften nur die Reste erwarten, die er nicht verzehrte, und mussten dann oft noch mit den Hunden darum raufen. Die Mutter war eifrig mit der Zubereitung und dem Abtragen beschäftigt; sie konnte sich ihre Mahlzeit gerade heimlich zwischen Tisch und Herd zusammenstehlen, stets mit schlechtem Gewissen, die flinken Augen ängstlich auf den Mann gerichtet. Es kam nur sehr selten vor, dass dabei einmal das eine oder andere Wort fiel, denn zumeist war es schon Nacht, bis der Mann endlich erschöpft und hungrig nach Hause kam. Heute aber waren die Männer wegen des Sturms früh von der Arbeit gekommen, nicht so müde und schlecht gelaunt wie sonst, und da wagte schon die eine oder andere Frau ein laut ausgesprochenes Wort. »Es ist selten«, sprach also eine Frau zu ihrem Mann, »dass wir so früh zusammensitzen können. Man kann die Tage in einem Jahr an einem Finger abzählen, an denen so etwas vorkommt.« »Der Viehtreiber, der sich von uns Verwalter nennen lässt, wurde heute morgen zum Fürsten auf Xav befohlen und kehrte bis jetzt nicht zurück«, brummte der Mann. »Das Wetter hat uns alle überrascht. Es ist viel zu früh, nicht einmal die Hälfte der Ernte ist eingebracht. Wir versanken innerhalb von wenigen Augenblicken bis zu den Knien im Schlamm und vernichteten mehr, als wir ernten konnten ... aber noch schlimmer waren die Tiere.« »Warum?« fragte sie. »Sie waren außer Rand und Band. Wir konnten sie einfach nicht bändigen, weder Hund noch Gaul noch Vieh. Ich sage dir ... das ist ein schlechtes Zeichen. Der Sturm ... und all das andere«, antwortete er. »Ja, ja!« stimmte sie ihm eifrig zu. »Erst heute morgen sah ich wieder den großen Raben über dem Dorf und ahnte schon Schlimmes. Wie oft in diesem Jahr sagte ich dir, dass ein Fluch über uns liegt! Zuerst sterben fast alle männlichen Neugeborenen, und nun die Ernte, die doch so gut zu werden versprach ...« Der Mann stöhnte in hilflosem Zorn. »Ich weiß, warum der Verwalter beim Fürsten ist!« stieß er hervor. »Die Abgaben sind erhöht worden, und wir hätten sie selbst mit einer so guten Ernte kaum aufbringen können! Und nun wird er sie sicherlich erst recht wieder erhöhen müssen, damit sein dickleibiger Hofstaat sich um sein Gewicht nicht sorgen muss!« »Wir sollten ...«, begann seine Frau und verstummte erschrocken, als die Hunde plötzlich aus dem Schlaf hochfuhren, die Zähne geifernd fletschten und bellend zur Tür stürmten. »Da, siehst du?« rief der Mann. »Schon geht es wieder los!« Auch die anderen Dorfhunde schlugen nun an, selbst die Pferde begannen schrill zu wiehern, Kühe brüllten in heller Panik, und das Trommeln der harten Hufe gegen die Boxen klang dumpf durch die Wände. »Was sagte ich gerade? Toll sind sie geworden, bei Shyll, befallen von der Seuche des Wahnsinns!« Der Mann sprang auf, griff nach der kurzen Peitsche und schlug auf die Hunde ein, die dadurch nur noch rasender wurden. Ihre Augen waren blutunterlaufen, von den Lefzen troff Schaum, und sie sprangen wild um sich schnappend immer wieder gegen die Tür. »Mel, ich habe Angst!« rief die Frau und flüchtete zu den ängstlich weinenden Kindern. Der Mann fluchte laut; er konnte seine Nachbarn hören, die ebenso wie er mit den Hunden kämpften; irgendwo barsten knallend Bretter, vermutlich von einer Stallwand, und der laute Schmerzensschrei eines verwundeten Tieres gellte durch das lärmende Inferno. »Mel!« schrie die Frau auf, als die Hunde sich plötzlich gegen ihren Herrn wandten, der hastig nach einem Stuhl und dem Feuerhaken griff, fest entschlossen den Arm hob - als abrupt Stille eintrat. Von einem Herzschlag zum nächsten verstummten die Hunde, ihre wilden Augen wurden klar, und sie duckten sich winselnd; drinnen wie draußen war es jetzt so ruhig, als wäre der Frieden nie unterbrochen gewesen. »Da soll doch ...«, presste der Mann zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor und stieß zischend den angehaltenen Atem aus. Langsam entspannte er seine Muskeln und zögerte einen Moment, ehe er den Stuhl fallen ließ und zur Türe sprang. Die Frau, die seine Absicht vorausgeahnt hatte, stürzte ihm rasch nach und fiel ihm in den Arm. »Nein, Mel!« flehte sie in panischem Schrecken, aber er öffnete schon die Tür. Der Türgriff wurde ihm augenblicklich aus der Hand gerissen, ein furchtbarer Windstoß brach mit der Gewalt einer Flutwelle herein und schleuderte die beiden Menschen wie wehrloses Spielzeug zurück. Die Tür schlug zweimal heftig auf und zu, bevor sie endgültig krachend im Schloss landete. Mühsam rappelten sich der Mann und die Frau auf, Kopf und Arme waren vom Sturz blutig geschlagen, und sie stützten sich gegenseitig, von Entsetzen gepackt, während der Sturm kichernd die Hütte umbrauste und sie mit seiner schrecklichen Macht zum Erzittern brachte. Mit wachsender Angst lauschten die Menschen dem unnatürlichen Orkan, der ihnen mehr und mehr unheimliche Dinge vorgaukelte, und bald glaubten sie in dem atemberaubenden Rütteln und Pfeifen die dröhnenden Tritte einer gigantischen Bestie und einen markerschütternden, einem Blöken ähnlichen Schrei zu hören. »Hörst du?« hauchte die Frau zitternd und mit kreidebleichem Gesicht. »Das ... das ist Shyll ... der Widder ...« Sie begann vor Angst hysterisch zu wimmern und zusammenhanglose Worte zu stammeln. »Aber wir haben doch geopfert ... arbeiten immer ... kann er uns denn nie ... grausam ...« »Halt den Mund!« knurrte ihr Mann wütend. »Was schert ein Gott sich um die Gerechtigkeit!« »Wer denn, wenn nicht ein Gott?« schrie sie auf. »Du sagst es«, brummte er, während er die Stühle wieder an ihren richtigen Platz stellte. »Wer denn, wenn nicht ein Gott. Wenn ein Gott sich darum scheren würde, säßen wir nicht in diesem Dreckhaufen.« Sie hielt sich die Hände an die Ohren. »Hör auf so zu reden!« kreischte sie. »Das ist Gotteslästerung! Shylls Zorn wird uns dadurch nur noch mehr treffen, der Druide hat uns gewarnt, hörst du, er hat uns gewarnt! « »Schweig endlich!« brüllte er, holte aus und schlug sie so heftig ins Gesicht, dass sie das Gleichgewicht verlor und stürzte. »Mutter ...«, wimmerte eines der Kinder, als die Frau sich schluchzend wieder aufrichtete, »Mutter, so hör doch, der Sturm ... er lässt nach ...« Der Vater stutzte und neigte lauschend den Kopf. »Wahrhaftig ...«, flüsterte er. Der Wind pfiff noch ums Haus, aber er war bedeutend schwächer. Der Zorn Gottes war weitergezogen. »Es ist vorbei«, sagte er erleichtert. Die Mutter stand schwankend auf und tastete suchend nach dem Arm des Mannes. »Mel...«, wisperte sie. »Hörst du das auch?« »Fängst du schon wieder damit an?« entgegnete er böse und hob erneut die Hand, doch sie wich ihm aus und lief zur Tür. »Das ist ein Kind!« rief sie und riss die Tür auf. Ein Windstoß, der ihr fast das Kleid vom Leib riss, raubte ihr für einen kurzen Moment den Atem, aber sie achtete nicht darauf. Auf der Türschwelle lag brüllend, die winzigen Händchen zornig geballt, ein Säugling, nur in Fetzen gehüllt, schon ganz blau von der Kälte. Die Frau hob das Kind hoch und brachte es in die Hütte. Der Mann war für einen Moment sprachlos vor Verblüffung; seine Kinder nutzten die Gelegenheit, huschten aus ihrem Versteck und scharten sich neugierig um die Mutter. »Vermutlich wurde die Mutter vom Sturm fortgerissen«, murmelte sie. »Ja, und vorher hatte sie noch Zeit, das Kind auf unsere Schwelle zu legen!« polterte er. »Bist du närrisch? Das ist ein Sturmkind! Willst du uns vollends ins Unglück stürzen?« Er nahm ihr das Kind weg und zerrte die Fetzen beiseite, um es zu betrachten. Für einen Moment herrschte tiefstes Schweigen in der Hütte. »Bei Gott!« sagte der Mann schließlich betroffen. »Was ist denn das? Selbst Dämonenkinder haben kein solch schreckliches Gesicht.« »Seht nur, die dunkle Haut ... diese Male«, flüsterten die Kinder durcheinander. »Ja, und diese Augen ... wie schwarze Höhlen ... nicht einmal das Feuer spiegelt sich darin ...« Auch die Frau beugte sich über den Säugling. »Es ist nur eine Wunde«, erklärte sie. »Es sieht aus, als ob ein Sturmfalke seine Klauen in ihn geschlagen hätte.« »Also doch ein Sturmkind!« erwiderte er. »Ich werfe es wieder hinaus. Dieses Wesen ist kein Mensch.« »Das tust du nicht!« rief sie in einem ganz ungewohnt festen und autoritären Ton. »Vielleicht ist dies eine Prüfung! Wir dürfen dieses Kind nicht töten, was immer es auch sein mag. Überleg doch einmal, Mel. Es ist ein Knabe, und es sieht sehr kräftig aus. Wir brauchen dieses Kind! Dieses Jahr hat uns schon so viel Unglück gebracht, vielleicht wendet sich jetzt alles zum Guten. Denk an die Steuern: Es ist Gesetz, jeweils einen Sack abzuziehen, wenn im Jahr drei neugeborene Knaben überleben. Dies ist der dritte männliche Neugeborene, und es steht in keinem Gesetz, von wem er geboren werden muss!« Der Mann überlegte lange; voller Abscheu betrachtete er das winzige Wesen, das abwechselnd rot und blau wurde vor Wut und Kälte; die Wunde an der rechten Wange pochte wie ein blutiges Herz. Abgesehen von dem schrecklichen Gesicht und den leeren Augen war der übrige Körper allerdings wohlgeformt. »Meinetwegen«, meinte er schließlich. »Überlassen wir es diesem Wurm, ob er überleben will. Er soll bekommen, was übrig bleibt, überlebt er, ist es gut, stirbt er, ist es auch gut.« Die Frau tastete das rechte Ärmchen ab, an dem eine wertlose Spange mit einem dünnen Lederriemen befestigt war. »Da steht etwas drauf«, sagte sie und deutete auf schwache, verwischte Zeichen. Ihr Mann betrachtete die Schrift, er hatte als Jüngling ein wenig lesen gelernt. »H ... a ... l«, entzifferte er mühsam und schwerfällig. »Das heißt Hal. Der Rest ist unlesbar.« »Hal«, sagte sie zufrieden. »Sturmkinder haben keine eigenen Namen. Vielleicht kommt er von Drüben, jenseits des Meeres.« »Das ist doch egal«, erwiderte er. »Es ist nicht wichtig. Er mag fremd sein, er mag kräftig sein, vielleicht ist er ein Sturmkind. Jedenfalls ist er noch unbedeutender als wir. Er ist genauso unbedeutend wie sein Name.« So wuchs das Sturmkind namens Hal in dem armseligen Dorf heran. Zu dieser Zeit war Erytrien fest in der Hand des Druiden, selbst im kleinsten Dorf stand Shylls Tempel und verlangte demütige Unterwerfung und den Tribut seiner sterblichen Untertanen. Erytrien war stets eine reiche Insel gewesen, und zu manchen Zeiten hatte es keine Armen gegeben. Man hatte es das Goldene Zeitalter genannt, das ziemlich lange dauerte, bis ein Druide, der mächtigste Schmiedemeister seiner Gilde, den Wert von Eisen entdeckte und damit Metallegierungen für Waffen und Rüstungen erfand. Der erste Mord aus Habgier war schnell geschehen, und so begannen die Kriege. Am Ende der jahrhundertelangen Schlachten gab es nur noch Krieger und verzweifelte Frauen, die mit ihren Kindern ums Überleben kämpften, und außer Angst und der ständigen Jagd nach Nahrung und einer sicheren Bleibe für die Nacht gab es keine Gedanken. Auf die Kriege folgte die Unterdrückung durch die Sieger, und das waren natürlich die Druiden und die mächtigen Landesherren, die ihre Machtstellung bis heute unangefochten innehatten. Diese Nachfahren der damaligen Edlen und Zaubermeister hatten mit ihren Ahnen nichts mehr gemeinsam, sie hatten das Wissen in den Kriegen vergessen; durch die langen Entbehrungen waren sie nur noch vom Verlangen nach Befriedigung erfüllt, und dazu war ihnen jedes Mittel recht. Die folgenden Generationen wurden in eine ausgebrannte, verblutete Welt hineingeboren, die vom Aussatz der Tyrannei befallen war und dumpf vor sich hinvegetierte. Liebe und Zärtlichkeit hatten in dem ewigen Kampf gegen Hunger, Ausbeutung, Wetter und Krankheit kaum Platz. Die Kinder wurden nahezu ohne Fürsorge aufgezogen, so dass nur die Stärksten überleben und dem Landesherrn die wertvolle Arbeitskraft erhalten konnten. Hal, den anfangs manche noch Sturmkind nannten, erwies sich als überaus zäh, denn er hatte es noch schwerer als die anderen. Er verdaute sowohl die Prügel zum Frühstück, das Haferbrot zum Mittagessen und die Wassersuppe am Abend ohne Beschwerden, und seine eiserne Gesundheit konnte durch kein noch so grausames Wetter erschüttert werden. Wenn er nicht anders gewesen wäre, hätte er sicherlich einen festen Platz in der Dorfgemeinschaft finden können. Seine dunkle Haut und die schwarzen Haare wären ihm vielleicht verziehen worden, hätte sich nicht das schreckliche, entstellende Mal auf seiner rechten Wange befunden, das sich wie ein Fluch von Jahr zu Jahr tiefer in sein Antlitz grub. Noch mehr als die Falkenklaue aber fürchteten die Leute seine Augen, die so leer und schwarz wie das Nichts waren. In Hals Blick lag nicht die Spur eines Gefühls, eines Gedankens; es war, als existierte er nicht wirklich, sein Körper war wie eine leere Hülle. Diese Abgekehrtheit von der Welt reizte die Leute erst recht, ihn zu quälen, um ihn zu einer Reaktion zu verleiten. Vor allem die Kinder ließen ihre Angst und ihre Wut an ihm aus; aber er erwiderte keinen Angriff, blieb stets ruhig und gelassen. Da ihm alles so gleichgültig war, erhielt er mit fünf Jahren den niedrigsten aller Posten, nämlich die Schweine zu hüten, und da er sich auch später nie dagegen wehrte, blieb ihm diese Aufgabe zu seinen zusätzlichen Schwerarbeiten erhalten. Statt Sturmkind nannte man ihn jetzt den Prinz der Schweine, und selbst die kleinsten Knirpse lachten ihn aus, denn er war nun fünfzehn Jahre alt und damit eigentlich schon ein Mann. Kein anderer hätte diese Schande ertragen können, aber Hal zeigte sich davon unberührt und verrichtete gleichmütig seine Arbeit. Weitere Leseproben
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