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eDead.com von Uwe Post
Mia!
Wo bist du?
Wo ist mein Computer? Und ... verdammt ... wo bin ich?
»Willkommen auf dem Server hein03 von eDead.com. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Tod.«
Oh ... Scheiße!
In schlechten Hollywood-Streifen haben die Helden ungefähr bis zur zweiten Filmrolle Zeit, um sich zu erinnern, was ihnen widerfahren ist. Mich trifft es schon nach einer Minute. Wie ein Tritt in den Magen.
Ich würde gerne kotzen, aber mein Avatar unterstützt diese Funktion offenbar nicht.
Ruhig, Paule, ruhig.
Laut Systemuhr ist heute Mittwoch. Mal sehen ... Montag habe ich mein Gehirn auf den Server kopiert, wie jede Nacht. Also muss ich Dienstag gestorben sein. Mein Körper ist vielleicht gerade unterwegs zum Krematorium, und ich ...
Ich sitze in meinem digitalen Wohnzimmer an einem 1800 Pixel breiten Tisch. Drauf liegt ein Büchlein, direkt vor mir. Ich blättere. Die ersten Seiten sind voller Lizenzvereinbarungen. Es folgt eine Kurzanleitung, dann das ausführliche Handbuch, schließlich persönliche Daten. Mein Todesbericht erinnert an amerikanische Idioten-Sitcoms: Betrunken vom Balkon gestürzt, und das vor den Augen der Freundin.
Mann, bin ich ein erbärmlicher Versager.
Das Büchlein klärt mich pflichtschuldig über Dinge auf, die ich längst weiß: Als Vex virtueller Ex-Mensch darf ich kein Geld besitzen, genieße keine Bürgerrechte und falls ich meine Memoiren schreibe und sie sich wider Erwarten gut verkaufen, gehen alle Einkünfte an eDead.com. Es folgt die Empfehlung, bei Schwierigkeiten mit meinem Zustand möge ich mich an eine der zahlreichen Selbsthilfegruppen wenden.
Ich finde eine Seite mit der Überschrift »Ihr persönlicher Organspendenachweis«. Fein säuberlich ist alles aufgelistet: Meine Niere hat ein 24-jähriges Model (nicht schlecht!), meine Leber ein Herr Neumann. Hoffentlich kein Säufer, der macht die nur kaputt.
Ich stehe auf und untersuche den Raum. Das ist also mein Sarg. Eine Wohnküche, billigstes Two-two-Design: Getigerte Acryl-Texturen, die aus nächster Nähe ihre pixelige Beschaffenheit offenbaren. Für Gigapixel-Bilder, die nur mit dem Mikroskop von der Realität zu unterscheiden sind, hat's nicht gereicht. Egal. Lieber billige Unsterblichkeit als ewiger Tod.
Im Schrank liegen Junk Food und Fusel. Ist für einen Toten nicht mal ungesund. Nahrung ist überflüssig, wir Vex beziehen unsere Energie aus der Steckdose. Alkohol wirkt dafür dank eines Software-Patents wie bei Lebenden, ist aber streng rationiert. Als wenn wir uns hier zu Tode saufen könnten.
Drüben steht ein Bett mit blauen Kissen und Leselampe, das Fenster an der anderen Wand zeigt einen Bildschirmschoner mit Fischen.
Mia mochte Fische. Ich nicht. Aber ich mochte Mia.
Einen Ausgang gibt es nicht. Vex brauchen keine Türen. Immerhin ist für Unterhaltung gesorgt. Dazu dient das Fenster. Ich bewege den Arm, und die Fische tauchen ab. Das Hauptmenü erscheint. Ich kann im Netz surfen, E-Mails schreiben und empfangen (paul07012@edead.com). Kann Chaträume besuchen und Online-Adventures spielen. Am besten schreibe ich Mia gleich eine Mail. Dass es mir gut geht und dass ich immer noch auf sie stehe.
Das Gesicht meines Avatar wird zum Grinsesmiley. Alles ist fast wie früher. Oder?
Ich fasse mir zwischen die Beine. Mein Smiley erbleicht.
Verflucht seien die puritanischen Amis, die eDead.com ins Leben gerufen haben...
Wie es weitergeht, lesen Sie in "Der Moloch"
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