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Startseite > Bücher > Dark Fantasy-Erotik > dead soft verlag > Monika De Giorgi > EDENS ASCHE > Leseproben > Edens Asche

Edens Asche

EDENS ASCHE

Monika De Giorgi
Roman / Dark Fantasy-Erotik

dead soft verlag

Taschenbuch, 288 Seiten
ISBN: 978-393444235-1

Mai. 2007, 1. Auflage, 16.90 EUR
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Kim drehte den Zündschlüssel herum. Die wütenden Gitarrenklänge, die eben noch aus den Boxen des Autoradios geschrien hatten, erstarben. Er stieg aus der schwarzen Corvette und knallte die Wagentür ins Schloss. Schlurfend begab er sich zum Schalter für das Garagentor. So sehr er auch dagegen ankämpfte, er konnte das bohrende Angstgefühl in sich nicht besiegen.
‚Beweg deinen Arsch sofort wieder ins Auto und fahr zu ihr!’, brüllte es in seinem Geist, mit einer Schärfe, die einem Armee-General alle Ehre gemacht hätte.
„Du bist albern“, schallt er sich selbst laut. „Ich versuche ausnahmsweise Mal auf meinen gesunden Menschenverstand zu hören“, rechtfertigte er sich vor dem General und begab sich bestimmten Schrittes durch die Verbindungstür in das dunkle Wohnzimmer.
Kaum durch die Tür befiel ihn ein Zustand der Erschöpfung. Er fühlte sich wie erschlagen.
„Heute werde ich wohl nicht mehr hinter der Bar stehen können.“
Gähnend ging er in die Küche. Sein Magen knurrte vernehmlich. Eine Weile stöberte er im Schrank, die warnende Stimme in sich noch immer geflissentlich ignorierend.
‚Geh zu Joanna, du hirnverbrannter Vollidiot. Jede Sekunde zählt.’
Die Schachtel Cornflakes, die er gerade aus dem Schrank nahm, rutschte ihm beinahe aus den Fingern. Ärger stieg in ihm auf. Ärger auf Joanna, dass sie seine Sorgen für vorgetäuscht gehalten hatte. Auch wenn sie vielleicht unbegründet waren...
‚Vielleicht? Ganz sicher!’
... ganz sicher unbegründet waren, so war es doch echte Sorge, die ihn auch jetzt noch quälte wie ein mittelalterlicher Folterknecht. Er griff nach der Milchtüte. Sie entglitt seinen Fingern. Mit einem lauten Platschen prallte sie auf dem schwarz-gelb gefliesten Küchenboden auf.
„Ich muss zu ihr“, sagte er laut in den Raum. „Auch wenn sie zu Neunundneunzig Prozent schlafend in ihrem Bett liegt. Ich halte das nicht mehr aus.“

Joshua stand neben Damian. An die Regalwand hinter der Bar gelehnt, nutzte er eine ruhige Minute, um eine Zigarette zu rauchen. Durch halbgeschlossene Lider beobachtete er seinen Freund. Ein besorgter Ausdruck lag um seinen Mund. Damian sah schlecht aus.
„Mein Tipp bezüglich der Kleinen war wohl nicht so ganz das Wahre“, vermutete er.
Dams Gesicht wirkte verschlossen und die Behandlung, die er den Gästen zukommen ließ, lief knapp an der Unhöflichkeit vorbei.
Joshua spürte die Anspannung, die von Damian ausging, beinahe schon körperlich. Sein Blick glitt prüfend über dessen schlanken, gutgebauten Körper. Auch dieser ließ deutliche Zeichen, die von starken, unterdrückten Emotionen sprachen, erkennen. Damians Bewegungen hatten etwas Gezwungenes und übermäßig Vorsichtiges, als müsse er jeden Handgriff überlegen und aufpassen durch seine neuen Kräfte nicht etwas kaputt zu machen. Joshua trat zu Damian und legte ihm eine Hand auf den Arm. Der fuhr zusammen, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. Ein Glas mit Fanta, das er in der Hand gehalten hatte, fiel zu Boden und zersprang dort klirrend.
„Verdammte Scheiße!“, fluchte Damian.
Er ging in die Hocke um die Scherben aufzusammeln. „Was willst du?“ fuhr er Joshua an, doch würdigte er ihn keines Blickes.
„Wir müssen reden“, stellte Joshua bestimmt fest.
„Du willst reden?“ Damian schnaubte verächtlich. „Mal etwas ganz neues. Aber jetzt will ich nicht.“
Damian warf die Scherben in den Papierkorb unter der Theke. An seiner schlanken blassen Rechten blutete ein feiner Schnitt. Er drehte den Wasserhahn an der kleinen Spüle auf und hielt seine Hand darunter. Das kalte Wasser spülte das Blut hinfort. Der Schnitt war schon spurlos verheilt. Scheinbar gleichmütig betrachtete er seine Handfläche, doch Joshua sah das kindliche Staunen in seinen Augen aufleuchten. Seinen fluoreszierend leuchtenden, wunderschönen dunkelblauen Augen.
„Wir werden reden. Morgen Abend.“
Joshuas Tonfall besagte deutlich, dass er keine Widerrede dulden würde. Eindringlich sah er Damian an. Dieser hob den Blick zu seinem Freund und Lehrer und fletschte kurz die Zähne. Eiskalt bohrten sich seine Augen in Joshuas. Es offenbarte sich der Jäger der Nacht. Dann wandte er sich ab und griff nach der Fantaflasche.
Damian war wütend. Er war erzürnt über sich selbst und über Joshua. So sehr er sich auch vorgenommen hatte, menschlichen Wesen, die er nicht kannte und die ihm folglich auch nichts bedeuteten, gleichgültig gegenüber zu stehen – es gelang ihm einfach nicht wirklich.
‚Gott, ich hätte das Mädchen beinahe getötet. Ich konnte mich kaum zurückhalten. Ich hätte sie ausgesaugt, bis auf den letzten Tropfen. Dann hätten wir eine Leiche hier im MIDNIGHT gehabt!’ dachte er und unterdrückte den Drang Joshua zu packen, um ihm ins Gesicht zu schreien: „Und du hast mir diesen Scheiß-Rat gegeben. Fuck! Du hast gesagt, es könne nichts passieren. Du stellst alles so leicht hin, so problemlos. Du sagst, ich dürfe nicht zulassen, dass mich das Leid über den Tod der Sterblichen überwältigt...“
Doch das Schlimme für Damian war, dass er eigentlich nicht daran litt, dass das Mädchen beinahe gestorben wäre, sondern dass es ihn mehr aufregte, wo sie fast den Tod gefunden hätte. Etwas in ihm störte sich daran, dass es ihm gelang sich von alten Moralvorstellungen so schnell zu verabschieden. Er vermutete, dass Joshua hier seine Finger im Spiel hatte, wusste er doch um die Fähigkeit der Hypnose, die ihnen gegeben war. Und wirklich, Joshua hatte auch hier damals nachgeholfen, als er Damian sein Blut zu trinken gab. Aber nur ein wenig, denn die Gefahr einen kalten Killer zu erschaffen, war zu groß.
‚Ganz recht’, dachte Joshua, der sich nicht zurückhalten konnte Damians gedanklichen Monolog mitzuverfolgen, vergaß dieser doch stetig die Tür zu schließen, nicht ahnend, dass er es diesmal selbst vergaß. ‚Freiwillig würde er mir das ja im Moment kaum anvertrauen’, rechtfertigte er sich vor sich selbst.
Auch das ärgerte Damian. Hielt Joshua ihn nicht für fähig mit sich selbst ins Reine zu kommen? Den Anflug von Dankbarkeit, dafür, dass Joshua ihm zusätzliches Leid ersparen wollte, unterdrückte er schnell. Er knallte das Glas mit dem Fanta-Orange auf den Tresen.
„Drei Mark Fünfzig“, sagte er knapp.
„Okay, okay.“
Perplex starrte Daniel Damian an. Damian zuckte zusammen als er die Stimme erkannte.
„Oh, sorry. Tut mir Leid.“ Verlegen zog Damian die Schultern ein und versuchte ein schwaches Lächeln.
„Schon gut. Was fehlt dir denn?“, erkundigte sich Daniel.
Damian schüttelte nur stumm den Kopf.
‚Antworten’, dachte er. ‚Antworten auf Fragen, die ich selbst nicht kenne.’
Manchmal erschien ihm alles so klar. Die Antworten schienen zum Greifen nahe und dann brach alles wieder in einem verwirrenden Gefühls- und Gedankenchaos zusammen. Er seufzte. Nicht nur seine Sinne und Instinkte hatten sich durch sein neues Dasein verstärkt. Auch sein emotionales Empfinden war stärker geworden. Er nahm die Bestellung eines anderen Gastes auf und drehte sich herum, um eine Flasche Warsteiner aus dem Kühlschrank zu nehmen. Dabei prallte er direkt gegen Joshua. Er sah auf und blickte in zwei besorgte schwarze Augen.
„Pass doch auf“, murmelte er.
‚Doch, es gibt zwei Fragen, die kenne ich. Warum bringt er meine Gefühle so in Wallung? Warum stürzt er meine Gedanken in so ein Chaos?’ Auch dies schürte seine Wut. Er fluchte. Beinahe wäre ihm auch die Bierflasche durch die Finger geglitten. Er wich zurück.
‚Reiß dich gefälligst zusammen’, schimpfte er mit sich selbst in Gedanken.
Joshua fing seinen Blick. Damian konnte ihm nicht entwischen. Wie gebannt starrte er den älteren Vampir an. Er stöhnte leise auf. Ein Lächeln lag um Joshuas schönen Mund. Ein Bild stieg vor Damians geistigen Auge auf. Wie es wohl wäre...? Nein. Er wollte diesen Gedanken nicht zuende denken.

Der Eindringling schaltete den Fernseher aus.
„Tja, du kannst dir sicherlich denken, dass ich nicht nur hier bin um einen amüsanten TV-Abend mit dir zu verbringen, oder?“, sagte er mit der Stimme eines Lehrers, der hofft, dass wenigstens ein Schüler verstanden hat, wie man die Ableitung einer e-Funktion durchführt.
„Was...?“, schluchzte Joanna. ‚Jetzt wird es ernst Mädchen’, schien eine Stimme in ihrem Kopf zu sagen. Eine Stimme, die sehr viel mutiger klang, als sie sich fühlte.
„Erzähl mir von Damian Krieger.“
Er klang freundlich, doch in seinen Augen stand der Befehl, nicht die Bitte. Joanna war verwirrt.
„Damian? Wieso Damian? Was wollen Sie von Damian?“, brachte sie heiser hervor. Zur Panik in ihrem Blick gesellte sich nun auch die Sorge um den Freund.
‚Oh, Dam in was hast du dich da hineingeritten?’ dachte sie.
„Ach, sagen wir: Damian und ich sind Bekannte. Und jetzt beantworte meine Frage!“
Drohend funkelte er sie an. Um seine Lippen spielte ein bösartiges Lächeln. Er weidete sich an ihrer Angst. Er genoss es zu beobachten wie sich ihre Brüste unter den heftigen Atemzügen hoben und senkten, wie sie versuchte mit bebenden Lippen Worte zu finden, die verbargen, dass sie ihm kaum etwas über Damian Krieger verraten wollte. Es erregte ihn ihren Körper von Schauern der Angst geschüttelt zu sehen. Er lauschte ihrem tobenden Herzschlag, genoss dies ebenso sehr wie die süßen Klänge der „Kleinen Nachtmusik“, seinem Lieblingsstück. Er roch ihren Angstschweiß und fand diesen Geruch betörender als jegliches Parfum. Er schien beinahe schon ihr süßes Leben zu schmecken. Mit der Zunge netzte er seine plötzlich trockenen Lippen und beugte sich nahe an ihr Gesicht. Joannas fliehender Atem streifte sein Gesicht.
„Sprich, dann wirst du leben“, log er mit heiserer Stimme.
Er spürte wie sie bei diesen Worten zusammen zuckte. Die starre Maske, die das Gesicht des jungen Mädchens die ganze Zeit entstellt hatte, zerfiel und er konnte sehen, wie die panische Todesangst gegen die sie die ganze Zeit so tapfer angekämpft hatte, über sie hereinbrach wie eine Sturmflut. Schluchzend sank sie in sich zusammen.
‚Sprich, dann wirst du leben’, hallten die Worte in ihrem Geiste nach und dann sprudelte alles aus ihr hervor.
‚Dam, es tut mir Leid, so Leid. Ich weiß, dass ich dich damit in Gefahr bringe, aber ich bin keine Heldin. Verstehst du?’, flehte sie in Gedanken um Vergebung.
François seufzte, denn was Joanna ihm erzählte, waren nicht gerade die Informationen, die er sich erhoffte. Es war eher eine Ode an einen Jugendhelden, und doch ließen sich einige, möglicherweise nützliche Informationen ableiten. Er wusste nun, wollte er Damian am härtesten treffen, musste er sich derer bedienen, die Damian liebte. Seiner Freunde. Seine Rache wäre nicht halb so vollkommen, würde er Damian Krieger direkt angreifen. Er musste ihn erst leiden lassen. Abgrundtiefe Pein für Damian Krieger. François grinste und blickte zu Joanna.
‚Dieses war der zweite Streich und der dritte folgt sogleich’, dachte er.

Kim hatte sich entschieden doch ins Lokal hinab zu gehen. Erstens wollte er so fair sein und sich bei Damian abmelden, denn schließlich rechnete sein Bruder fest mit seiner Rückkehr, und zweitens hatte er das dringende Bedürfnis mit jemandem zu sprechen. Denn erneut waren ihm Zweifel gekommen.
Er ging an die Bar, doch Damian winkte ihm lediglich zu und formte mit den Lippen die Worte: „Ab ins Bett.“ Dann schnitt er eine Grimasse und wies auf Kims Gesicht. Was wohl soviel bedeutete wie: Du siehst fürchterlich aus.
Kim kam nicht dazu etwas zu erwidern, denn schon wandte Damian sich wieder ab, um sich dem nächsten Gast zuzuwenden. Er und Joshua hatten wirklich alle Hände voll zu tun. Das MIDNIGHT war nun beinahe schon überfüllt. An den Tischen und an der Bar waren die noch leeren Plätze an einer Hand abzuzählen und auf der Tanzfläche konnte Kim im diffusen Licht der Spotlights nur eine im Takt der lauten, düsteren Musik wogende Masse erkennen. Drei Schritte vor, drei Schritte zurück. Eine schwarze Brandung.
„Long after Midnight on a night like this...“, sang er leise den Song mit, der derzeit spielte und blickte sich suchend um.
Am Stammtisch der Clique, direkt neben der Bar, entdeckte er Beatrice. Daniel und Sophie konnte er nicht sehen, aber das war ihm nur recht. Er brauchte ein Gespräch unter vier Augen, keine öffentliche Diskussion seines Seelenzustands. Zielstrebig schritt er zu ihr. Sie winkte ihm fröhlich , als sie ihn erblickte.
„Na, hast du Damians Baby heil zurück gebracht?“, begrüßte sie ihn grinsend.
Doch ihre lustige Miene erstarb sogleich als sie seine von Sorge gezeichneten Gesichtszüge sah.
„Wie geht es Joanna?“, fragte sie sofort und schaute ihn prüfend an.
„Ich denke gut. Jedenfalls hoffe ich das.“
Seufzend ließ er sich auf den Stuhl neben ihr sinken. Verständnislos und beunruhigt starrte sie ihn an.
„Wie meinst du das?“
Kim griff nach der Zigarettenschachtel, die vor ihm auf dem Tisch lag und zündete sich eine an.
„Bedien dich.“ Beatrice lächelte spöttisch.
„Danke.“ Verlegen grinste Kim. „Wie ich das meine?“, sagte er dann gedehnt und schüttelte den Kopf. „Wie soll ich das erklären? Ich kapiere ja selbst nicht, was mit mir los ist. Ich war noch nie der Typ, der an Vorahnungen oder so etwas geglaubt hat.“
Beatrice biss sich auf die Unterlippe. Damian hatte ihr da etwas anderes erzählt. An dem Tag als Kims und seine Eltern starben, war Kim zwei Stunden bevor sie von dem Unfall erfuhren schluchzend zusammengebrochen vor lauter Angst. Nur den Grund für seine Angst konnte er nicht nennen. Er hatte Damian lediglich angefleht, zu versuchen die Eltern irgendwie zu erreichen. Aber das war vor der Zeit der allgegenwärtigen Mobiltelefone gewesen. Zwei Stunden später hatten sie den Anruf der Polizei erhalten.
„Erzähl“, bat sie und griff ebenfalls nach den Zigaretten.
„Okay”, sagte er kaum hörbar in der lauten Geräuschkulisse des MIDNIGHT und begann zu erzählen.
Er berichtete wie er Joanna nach Hause gebracht hatte und von dem Gefühl, das ihn überfallen hatte, als er sich von seiner Freundin verabschiedete.
„Es war als würde irgendwo in den Schatten der Nacht, etwas Dunkles, Bedrohliches lauern und nur darauf warten, dass ich endlich verschwinde“, schloss er seinen Bericht. „Was meinst du?“ Beatrice atmete tief ein und schenkte ihm dann ein beruhigendes Lächeln, das aber ein wenig missglückte, denn auch in ihren Augen stand nun ein Hauch von Besorgnis.
„Ich denke, du solltest auf dein Gefühl hören. Fahr zu ihr, Kim! Schlimmstenfalls weckst du sie.“
Kim kniff die Lippen zusammen und nickte. Er war froh, dass Beatrice genauso fühlte wie er und nicht dachte, dass er zu spinnen begann.
„Du hast Recht. Sonst habe ich keine Ruhe. Würdest du mich begleiten?“
Plötzlich wollte er nicht mehr alleine zu Joanna fahren.
‚Bekommst du Vorahnungen?’, fragte er sich und schüttelte den Kopf über sich selbst.
„Klar. Du brauchst jemanden, der dich davon abhält, die Tür einzutreten, sollte Joanna nicht gleich öffnen.“ Sie trank ihre Cola aus und erhob sich.
„Ja, oder um sie davon abzuhalten mich zu erwürgen, wenn ich sie wecken sollte.“
Beatrice grinste und schulterte ihre Handtasche.
„Ich sag nur noch schnell Stefan bescheid“, erklärte sie und drängte sich Richtung DJ-Pult durch das Gewimmel.
Kim nickte ihr zu und wandte sich der Bar zu, um sich erneut bei Dam abzumelden.

Joanna saß zusammengesunken auf der Couch. Der Eindringling stand vor ihr und blickte fröhlich auf sie hinab. Stumm, doch mit tränenverschmiertem Gesicht blickte sie schließlich zu ihm auf, als hätte sie einen stummen Befehl erhalten. Mit beiden Händen umfasste er ihr Gesicht und wischte mit den Daumen in beinahe schon fürsorglicher Weise ihre Tränen weg.
„Ich möchte dir danken, mein Herz. Zwar weiß ich noch nicht, inwiefern mir deine Auskünfte von Nutzen sein werden, doch kann man nie genug von seinem Feind wissen, nicht wahr? Schließlich weiß man nie, bei welcher Gelegenheit man sein Wissen anwenden kann.“ Er streichelte sanft ihre Wange. „Erhebe dich“, befahl er dann rau.
Der Ausdruck in seinen Augen hatte sich schlagartig geändert. Die spöttische Fröhlichkeit darin war purem Begehren gewichen. Mechanisch erhob sie sich. Sie würde sich nicht gegen ihn wehren. Ihr Widerstand war gebrochen. Joanna hatte sich ihrem Schicksal ergeben. Sein Blick glitt über ihre Gestalt. Es hatte ihm Spaß gemacht sie zu brechen. Sich an ihrer Angst zu weiden. Sie zu beobachten, während sie sich ausmalte, was ihr alles blühen könnte. Zu sehen, wie sich ihre Gedanken, ihre zerplatzten Hoffnungen, die Panik, das Leid in ihren wunderschönen Augen spiegelte und dabei den Paukenschlägen ihres, von der Angst getriebenen, Herzschlages zu lauschen. All dies hatte ihn bis zur Unerträglichkeit erregt. Jetzt wollte er sie. Bis auf den letzten Tropfen ihres heißen, süßen, jungen Lebens, der durch ihre Adern strömte, wollte er sie aussaugen. Doch noch zögerte er es hinaus, begnügte sich damit sie zu betrachten.
‚Michelle war genauso jung’, schoss es ihm durch den Kopf.
Wut erwachte in ihm, vermengte sich mit seinem Begehren. Fauchend riss er sie an sich. Seine Finger gruben sich in ihren Rücken, als er sie an sich presste. Sein Mund suchte ihren Puls. Entfernt hörte er sie leise wimmern. Das heizte seine Lust noch an. Aufstöhnend senkte er seine Zähne in ihr weiches Fleisch, als seine Zunge das heftige Pulsieren ihrer Halsschlagader ertastete. Gierig nahm er das Blut, das über seine Zunge sprudelte auf und saugte fordernd an den Wunden um dessen Fluss zu beschleunigen. Joanna wehrte sich nicht. Sie hatte die Gnade der Bewusstlosigkeit erhalten. François bemerkte dies nicht, er war in seinem karmesinroten Rausch gefangen. Erst als ihr Herzschlag in seinen Ohren zu ersterben begann, riss er sich von ihr los.
„Danke für die schöne Nacht“, flüsterte er leise und küsste ihre warmen Lippen, aus denen gerade der letzte Atemzug entwichen war.
Er hob sie auf seine Arme und bettete das tote Mädchen auf die Couch. Noch einmal beugte er sich über sie und ergriff ihre schlanke Hand. Kurzentschlossen nahm er den Ring an sich, der an ihrem Mittelfinger steckte. Dann schlüpfte er in seine Jacke und machte sich auf den Weg in die Küche, wo ein weit geöffnetes Fenster sich als wunderbarer Einstieg erwiesen hatte, und nun auch als Ausstieg dienen würde.

„Was hast du Damian gesagt?“, erkundigte sich Beatrice, als sie hinter Kim auf dessen Motorrad stieg.
„Die Wahrheit. Warum?“
„Weil ich Stefan zum ersten Mal angeschwindelt habe. Sonst hättet ihr jetzt keinen DJ mehr. Du kennst ihn ja.“
„Mhm.“ Kim nickte bestätigend. „Was hast du ihm gesagt?“, fragte er dann neugierig und reichte ihr einen Helm. „Phoenix“ war in flammenden Lettern auf dem schwarzen Lack zu lesen. Der Helm gehörte Damian, wie es auch die Maschine getan hatte, bis sie in Kims Besitz übergegangen war, als er letzten Sommer seinen Motorradführerschein bestanden hatte. Den für PKWs hatte Kim erst vor einem Monat erhalten, aber bisher hatte er noch nicht viel darüber nachgedacht, sich selbst einen Wagen zuzulegen. Das Wetter war schön und Motorradfahren machte ihm viel mehr Spaß. Das Auto benötigten Dam und er sowieso nur selten, da sie mitten in der Innenstadt lebten und beinahe alles zu Fuß erreichen konnten. Und wenn sie abends ausgingen, war es ihm lieber, wenn Dam fuhr, dann konnte er nämlich trinken.
„Dass ich schlafen will und du mich zu uns nach Hause fährst.“
Sie setzte den Helm auf.
„Und was hat er gesagt?“
„Ob ich mir das nicht hätte früher überlegen können, da du doch gerade erst wieder von Joanna zurück sein musst. Und dass wir Motorrad fahren sollen, weil Dam sonst einen Kollaps bekommt. Außerdem meinte er, dass er dir was schuldet, da du für seine Frauen dauernd Chauffeur spielen darfst.“
„Da nehm’ ich ihn beim Wort, kannst du ihm bestellen.“
Kim grinste schwach und stülpte sich ebenfalls den Helm über den Kopf. Auch seiner war schwarz, nur dass er lediglich mit einem Aufkleber der Band „Dimmu Borgir“ verziert war. Er fühlte wie Beatrice ihre Arme um seine Taille legte und startete die schwarze Ducati. Schon waren sie auf dem Weg, beide mit der Hoffnung, dass Kims Sorge sich als unbegründet erweisen würde.
Kim wurde immer unruhiger, je näher sie ihrem Ziel kamen. Er bemühte sich, seine ganze Konzentration darauf zu verwenden die Maschine sicher durch die dunklen Straßen zu lenken, da er keinen Gedanken an Geschwindigkeits-begrenzungen verschwendete. Schon bald waren sie angekommen.
Beatrice kletterte mit wackeligen Knien von der Ducati und nahm ihren Helm ab.
„Bist du des Wahnsinns...!“, wollte sie gerade zu einer Schimpftirade wegen Kims Fahrstil ansetzen, als sie auf zwei Beine, die sich gerade aus dem Küchenfenster schoben, aufmerksam wurde.
Das Fenster befand sich an der zum Nachbargarten angrenzenden Hausseite. Sogleich erschienen der zu den Beinen gehörende Oberkörper und Kopf. Einen Moment starrten sich Beatrice, Kim und der blonde Einbrecher nur an. Dann fuhr der Mann mit den kalten grauen Augen herum und flüchtete. Sofort nahm Kim die Verfolgung auf. Er warf den Motorradhelm der vor Schreck erstarrten Beatrice zu, die daraufhin wieder erwachte und den Helm auffing. Sie klemmte ihn sich unter den Arm und hastete auf das Haus zu.
Der Fremde bewegte sich mit der Anmut einer Katze und er schien auch ihre Fähigkeit der Nachtsicht zu besitzen. Ohne nur einmal zu straucheln lief er vor Kim um das Haus und durch den Garten, während Kim hinter ihm her hetzte, durch Blumenbeete stolpernd, sich immer bemühend nicht zu fallen und dadurch dem Blonden die Möglichkeit zu fliehen zu geben. Doch schon passierte es! Jäh verlor er den Boden unter den Füßen und landete bis über die Knie in einem Gartenteich. Er fluchte laut und kletterte ungelenk wieder heraus. Er konnte nur noch erkennen wie der Mann zum Sprung ansetzte und in hohem Bogen, mit beiden Beinen zugleich, in der Hocke oben auf der Gartenmauer landete. Dort wandte er sich um und winkte Kim zu.
„Grüß deinen Bruder von mir“, rief er Kim zu und sprang von der Mauer.
Wütend schrie Kim auf und stürmte zur Mauer. Doch vergeblich mühte er sich daran ab. Die Mauer, jene stellte die Rückwand einer Fertigbaugarage dar, war einfach zu hoch.
‚Wie ist der Kerl da hoch gekommen? Und was hat er mit Dam zu schaffen?’
Ein Aufschrei drang aus dem Inneren des Hauses der Familie Eisner, entfernt und leise, an seine Ohren, und doch versetzte dieser ihn in Angst und Schrecken. Denn es war Beatrice’ Stimme, die er erkannte.

Damian stand auf dem Hinterhof des MIDNIGHT und rauchte eine Zigarette. Tief inhalierte er den Rauch und musste plötzlich lächeln.
„Seltsam, dass mir das geblieben ist. Dabei hat es gar keine Wirkung mehr“, murmelte er und blickte auf die orange leuchtende Glut seiner Lucky Strike.
Versonnen hob er sein Gesicht zum Halbmond und fühlte wie dessen Licht ihm Kraft gab. So wie die ersten Strahlen der Frühlingssonne es nach dem langen Winter getan hatten, bevor er verwandelt wurde. Ihm war als würden prickelnde Schauer der Energie durch seinen Körper strömen, von dort aus, wo das Mondlicht seine Haut traf. Er konnte sie wahrhaftig spüren, die Strahlen des Mondlichts. Es war ein atemberaubendes, magisches Gefühl. Dann schob sich eine Wolke vor den Mond. Mit einem leisen Gefühl der Enttäuschung ließ er sich in einen weißen Plastikstuhl sinken, der ein einsames Dasein, neben einem alten Blechteller, das als Aschenbecher diente, direkt neben der Metalltür des Notausgangs, fristete. Seine Gedanken kehrten zu dem Mädchen zurück, das er beinahe getötet hätte und er bemühte sich seine aufgewühlten Emotionen zur Ruhe zu bringen.
‚Ich habe wohl wirklich übertrieben reagiert’, gestand er sich ein. ‚Schließlich bin ich noch nicht lange ein Vampir. Ein paar Tage erst führe ich ein Leben, das für mich bisher jenseits der Realität lag. Ich bin praktisch ein Neugeborener. Ich sollte mich wohl bei Joshua entschuldigen.’
„Ja, sieh zu, dass du dir Joshua nicht vergraulst. Du wirst jede Hilfe gebrauchen können.“
Damian fuhr herum. Doch konnte er niemanden sehen.
„Hier oben, du Trottel.“
Er blickte hoch. Auf dem Plexiglasdach, das über die Stufen, die vom Notausgang hinauf in den Hinterhof führten, ragte, saß er, François, dem sein ganzer Hass galt und ließ gemütlich die Beine baumeln. Damian unterdrückte einen kleinen Anflug der Bewunderung, denn der andere Vampir hatte es geschafft sich ihm lautlos, und von seinen neuen geschärften Sinnen unbemerkt, zu nähern. Was er nicht unterdrückte waren die Warnsignale seines Instinkts, in Zukunft besser aufzupassen.
„Fran?ois“, zischte er.
„Der bin ich.“ Der Vampir warf Damian eine Kusshand zu. „Wie fühlt man sich so, als Kind des Mondlichts, Damian Krieger?“, fragte er dann.
„Schieb’ dir deinen Small Talk in den Arsch! Ich werde dich töten, Fran?ois!“, schrie Damian mit hassverzerrten Zügen zu seinem Feind hinauf.
Damians dunkelblaue Augen leuchteten fluoreszierend und seine Eckzähne funkelten bedrohlich. Sein Körper schien unter Strom und war gespannt wie eine Stahlfeder. Er war zum Angriff bereit.
„Na, na, na, wer wird denn gleich?“ Fran?ois schüttelte missbilligend den Kopf. „Dir scheint es gut zu gehen. Das freut mich. Es macht viel mehr Spaß, wenn man einen gesunden und entschlossenen Spielgefährten hat. Und es ist ein lustiges Spiel, das ich mir ausgedacht habe. Glaub mir. Du kannst deinen Bruder fragen. Der steht gerade an der zweiten Station.“
Die Erwähnung Kims traf Damian wie ein Faustschlag. Von plötzlicher Angst gepeinigt starrte er den anderen Vampir an.
„Was hast du Kim angetan, du Schwein?“ Seine Stimme klang dunkel und bedrohlich, doch konnte er das panische Beben darin kaum verhehlen.
„Bis jetzt noch nichts. Pass gut auf deine Freunde auf, Damian“, warnte François.
Unverhohlen schwang die Drohung in seiner Stimme mit. Er warf Damian einen kleinen, glitzernden Gegenstand vor die Füße, sein Mantel wirbelte auf und der Feind war in der Nacht verschwunden. Damian bückte sich nach dem Gegenstand, den Fran?ois hinterlassen hatte. Es war ein Ring. Ein einfacher, schmaler Silberreif, dessen einzige Zierde ein tropfenförmig geschliffener Granat war. Damian sank in die Knie. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitzschlag. Er kannte diesen Ring und der Umstand, dass dieser jetzt vor ihm im Schmutz lag konnte nur eines bedeuten...
„Joanna....!“, wisperte er tonlos. ‚Ich werde dich in die Hölle schicken, François, und sollte es bedeuten, dass ich dich persönlich auf deinem Weg dorthin begleite. Das schwöre ich!’, sandte er seinen Schwur stumm in die Nacht hinaus.
Er wusste, Fran?ois hörte ihn. Eine Weile saß er noch, Tränen der Wut und Trauer vergießend, auf dem Betonboden des Hinterhofes und versuchte sich nicht die Schuld am Tod der Freundin zu geben.

Schluchzend saß Kim auf der Couch, den toten Körper seiner Freundin an sich gepresst.
„Warum? Herr im Himmel, warum sie? Beatrice warum?“, wiederholte er immer wieder die verzweifelten Worte, wie ein Mantra, während er den Leichnam Joannas in seinen Armen wiegte.
Beatrice beendete das Gespräch an ihrem Handy. Sie hatte die Polizei verständigt. Auch über ihr Gesicht rannen stetige Tränenbäche. Mascara und Lidschatten hinterließen schwarze Spuren auf ihren Wangen.
„Kim...“, wisperte sie nur, unfähig ihn zu trösten und sank dann laut aufschluchzend in den Sessel.
Sie brachte es nicht über sich Kim darauf aufmerksam zu machen, dass sie vielleicht gerade wichtige Spuren verwischten. Mit vom Weinen geröteten Augen starrte Kim zu ihr. Rachegelüste standen in seinen Augen. In Gedanken schwor er dem Mörder Joannas Rache, ohne zu ahnen, dass Damian gerade denselben Eid ablegte. Beatrice griff erneut nach ihrem Mobiltelefon.
„Ich muss Stefan verständigen“, sagte sie heiser und begann Damians Handynummer in ihrem Verzeichnis zu suchen. Zu wählen wäre sie im Moment nicht fähig gewesen, so sehr bebten ihre Finger. Sie entschied sich bewusst für diese Nummer, da Stefan kein Handy hatte und sie sicher sein wollte, dass sie gleich Damian am Apparat hatte. Sie wusste, sie würde losschluchzen sobald jemand abnahm. Kaum wurde das Gespräch angenommen, brach sie auch schon vollkommen zusammen.
„Damian... Beatrice hier. Etwas Furchtbares ist geschehen. Joanna... tot... sie wurde er… ermordet.“
Kim bekam nichts davon mit. Er starrte ausdruckslos in die Unendlichkeit. Sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt. Kein Ton drang über seine Lippen. Joannas Leichnam hielt er noch immer mit aller Kraft fest an sich gepresst.

Am nächsten Nachmittag, als er bemerkte, dass er immer noch nicht schlafen konnte, verließ Damian das Haus und lief zu Joshuas Wohnung. Er war zu unruhig zuhause zu bleiben, er wollte raus und er wollte zu Joshua. Zu einem Freund… Er musste mit Joshua reden, die ganze Geschichte durchsprechen, vielleicht konnte er sich dann beruhigen. Aber im Moment fühlte er sich, wie das reinste Wrack und so war er niemandem eine Hilfe. Weder Kim noch sich selbst.
Gestern waren er und Joshua einfach nicht mehr dazu gekommen, miteinander zu sprechen. Er hatte sich um Kim kümmern müssen, was nicht leicht gewesen war, fühlte er selbst sich doch auch vollkommen verstört. Damian war losgefahren, nachdem Beatrice ihn angerufen hatte. Er wusste nicht mehr, wie er den Weg bewältigte hatte, oder die restliche Nacht, auf der Polizeiwache, abwechselnd Beatrice und Kim tröstend, die wiederum versuchten auch für Stefan und seine Eltern da zu sein. Die ganze Situation erschien im Nachhinein wie ein surrealer, verzehrender Alptraum. Er bemerkte, wie ihm die Kehle eng wurde und ihn ein leichtes Beben befiel, als wäre ihm kalt.
Bald hatte er das Haus erreicht. Er nahm die Sonnenbrille ab und lief die Treppe schnurstracks in Joshuas Stockwerk hinauf. Vor der Wohnungstür seines Freundes angekommen, hatte er kaum die Klingel gedrückt, als Joshua schon öffnete.
Der andere Vampir hatte wohl auch nicht geschlafen…
„Hallo!“, begrüßte Damian Joshua, plötzlich verlegen.
„Hi!“, erwiderte der den Gruß erstaunt.
„Ich konnte nicht schlafen, da…. Nun, ich bin vollkommen durch den Wind. Schon wieder… und, nun ja. Die ganze Situation wächst mir einfach über den Kopf und ich muss….“, stammelte der Jungvampir hastig los.
„Komm doch erstmal rein.“, unterbrach Joshua die wirre Rede fürsorglich und führte Damian ins Wohnzimmer.
Dort angekommen ließ Damian sich sofort auf das Sofa fallen. Joshua setzte sich neben ihn. Erwartungsvoll aber nicht drängend studierte er den anderen.
Eine Weile schwieg Damian, starrte einfach vor sich hin, ein Sofakissen an sich gedrückt, wie ein kleines Kind seinen Teddybären… Immer wieder machte er den Mund auf, so als wolle er etwas sagen, um dann doch zu schweigen…
Doch schließlich brach es aus ihm hervor:
„Gestern, als ich draußen war und Pause machte, kam Fran?ois zu mir. Er brachte mir diesen Ring", flüsterte er tränenschwer und holte das Schmuckstück aus der Hosentasche.
„Er gehörte Joanna. Dass er sie ermordete, war ein weiterer Spielzug wie er es nannte.“
Joshua stieß fauchend den Atem aus. Nicht, dass er nicht gewusst hätte, wer der Urheber dieses Verbrechens war.
„Ich kann nicht mehr, Joshua. Jetzt wird alles zu viel. Erst Michelle, dann Frank und jetzt Joanna. Sie war Kims und meine Freundin. Wer ist der nächste, Joshua?! Ich werde irre. Und dann noch dieses Vampirleben und zuhause Kim, vor Kummer am Durchdrehen. Alle meine Freunde, Kim, sie sind in Gefahr und ich kann es ihnen nicht mal sagen oder sie warnen. Ich will sie beschützen, aber wie?!“
„Wir müssen es ihnen sagen…“, murmelte Joshua. „Das ist die einzige Möglichkeit. Zuerst sagst du es am besten Kim und wenn er dir glaubt, dann können wir gemeinsam den Rest einweihen“, überlegte der ältere Vampir.
Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er einen Vampir in dieser Situation erlebte, so hatte er auch keine Musterlösung parat. Davon abgesehen, dass es eine solche wahrscheinlich gar nicht gab.
Damian blickte Joshua mit großen Augen an. Damit hatte er nicht gerechnet. Mit tröstenden Worten, einem Ausweichmanöver, ja. Aber nicht damit!
Joshua bemerkte, wie ihm der Hals eng wurde bei diesem Anblick! Plötzlich wirkte Damian so unwahrscheinlich jung und so unwahrscheinlich verletzlich. Ehe er sich versah, hatte er Dam in die Arme geschlossen.
Und Damian ließ sich einfach fallen. Dankbar sank er gegen Joshua, barg sein Gesicht an dessen Schulter und plötzlich bemerkte Joshua, dass Damian weinte.
Stumm und ruhig, aber die Feuchtigkeit die plötzlich durch sein T-Shirt drang war eindeutig.
Sacht strich er über Damians Rücken, der keine Anstalten machte sich zu bewegen, sondern seine Finger in Joshuas T-Shirt grub und erstickt fragte:
„Und wie soll es dann weiter gehen?“
Joshua seufzte. Darauf wusste er auch keine Antwort. Was er dafür wusste, war, dass es sich gut anfühlte Damian in den Armen zu halten. Er würde den jungen Vampir am liebsten nie wieder los lassen und für immer dort verstecken. Damit er nie wieder so weinen musste wie heute. Es berührte ihn, zu sehen, wie Damian versuchte stark zu sein, alle seine Freunde, seine Familie zu beschützen und dafür sogar so stark sein konnte, seinen Stolz zu überwinden und um Hilfe zu bitten, wenn er nicht mehr weiter wusste. Jede Sekunde, die er mit Damian verbrachte, machte es ihm schwerer, ihn nur als Freund zu lieben. Sich einzureden, dass er Damian nur als Freund liebte…
Damian dagegen genoss das Gefühl, sich einfach bei Joshua verstecken zu können.
Er schämte sich nicht, hier an Joshua zu hängen und sich einfach auszuweinen. Er brauchte das jetzt und Joshua schien das zu verstehen und nicht von ihm zu erwarten, der starke und verlässliche Damian zu sein. Für Joshua war er einfach der verzweifelte Damian, und das war er jetzt im Moment: Verzweifelt. Und er brauchte die verständnisvolle Nähe eines Freundes. Es fühlte sich gut an, so gehalten zu werden. Verdammt gut. Es war schön und am liebsten hätte er sich noch enger an Joshua geschmiegt wie eine Katze.
Er bemerkte, dass Joshua den Griff um seine Mitte verstärkte und Damian gab nach, kuschelte sich nun wirklich enger an den Vampir, ohne sich dabei zu fragen, was er da tat. Was zählte, war, dass er es wollte… Weiche Lippen streiften seinen Hals.
Damian seufzte nur, es fühlte sich schön an… Er blickte auf. Ein sachter Kuss strich über seine Lippen, Damian erschrak. Damit hatte er nicht gerechnet. Es war nicht schlimm, nur er hatte einfach nicht damit gerechnet.
„Tut mir leid“, sagte Joshua dann.
Damian runzelte die Stirn, unfähig etwas zu sagen, zu reagieren.
„Du wirst wohl lieber gehen“, fuhr Joshua fort. Er klang erschrocken, doch Dam bemerkte das nicht.
Damian erhob sich, gehorchend wie ein Zombie. Hatte Joshua ihn wirklich gerade geküsst?
Ja, Joshua hatte ihn geküsst. Und es war eigentlich ein schönes Gefühl gewesen, oder? Ja, es war schön gewesen.
Er fand es schön, von Joshua geküsst zu werden?! Nun ja, es war nur ein „Bussi“ gewesen, aber es hatte ihn doch ziemlich… verwirrt.
Bevor Damian sich versah, war er zuhause. Und relativ durcheinander. Warum war er gegangen? Auf seine Art hatte Joshua es geschafft, Damian zumindest für eine Weile abzulenken.

Zwei Abende später hatte Kim sich noch nicht wirklich beruhigt. Kein bisschen. Sein kleiner Bruder hatte einen zu großen Schock erlitten.
Traurig blickte Damian auf Kim, der sich eben erst neben ihm auf dem Sofa in den Schlaf geweint hatte. Kim litt fürchterlich. Er aß kaum, trank gerade genug – weil Damian darauf achtete – und weinte sehr, sehr viel. Ablenken oder trösten ließ er sich nur ganz schwer und immer nur für kurze Zeitspannen und danach war alles meistens noch schlimmer.
Es war so unfair und gemein! Kim und er hatten so viele geliebte Menschen verloren. Ihm machte es ironischerweise der Umstand leichter, dass er so viele Dinge hatte, über die er sich zusätzlich Gedanken machen musste.
Aber Kim, der arme Kim war ganz in seiner Trauer gefangen.
Gerade hatte der Jüngere seine erste große Liebe gefunden, als sie ihm das Schicksal in der Gestalt von Fran?ois wieder entriss.
Sachte fuhr Damian Kim durch das Haar.
„Liebe und Tod wandeln Hand in Hand“, wiederholte er die Worte Joshuas tonlos, die ihm dieser erst vor wenigen Tagen gesagt hatte. Doch Damian war trotzdem weit entfernt davon, Joshua zuzustimmen, dass die Liebe deshalb vermieden werden sollte. Im Gegenteil. Eher hatte er gelernt, wie kostbar jede Minute war, die man zusammen verbringen konnte.
Darum war ein Entschluss in ihm erwacht, als er erkannte, was ihn da die letzte Zeit immer so durcheinander brachte, wenn Joshua um ihn war, warum ihn ein bestimmter Jemand immer wieder so in Aufruhr versetzte. Darum hatte er eine Entscheidung getroffen, als er erkannte, weshalb er Joshua so vermisste und jeden Tag darauf hoffte, dass er hier auftauchen würde.
Und darum hatte er gelächelt, als er bemerkte, warum es ihm so weh tat, dass Joshua sein Handy ausgeschaltet hatte… Mehrere Punkte, die alle eine Antwort erhielten.
Nun ja, wenn er ehrlich war, hatte ihn dieses Gefühl am Anfang ziemlich erschreckt und schockiert! Er war ja schließlich ein Mann und er hatte sich eigentlich immer für vollkommen heterosexuell gehalten. Eine Nacht lang und einen halben Tag lang hatte er nicht stillhalten können, war durch das Haus gewandert wie ein gefangener Tiger und hatte mit sich selbst diskutiert, wenn er sich nicht gerade um Kim kümmerte. Aber nun… die Antwort darauf hatte er schon gegeben. Die Zeit, die einem geschenkt wurde, war zu wertvoll, um sie an Zweifel zu verschwenden. Und er machte sich vielmehr Sorgen darum, was seine Freunde sagen würden, wenn sie erfuhren, dass er ein Vampir war, als was sie zu seiner neu entdeckten Bisexualität anmerken könnten. Den meisten würde letzteres egal sein, schätzte er – vor allem wenn sie von ersterem erfuhren. Er grinste ironisch.
Aber zurück zum Kern der Sache, ermahnte er sich selbst:
Er wollte eine Chance für dieses zart in ihm erblühende Gefühl. Er wollte es aufblühen lassen und sehen, was sich daraus entwickelte.
Dafür musste er aber erst einmal herausfinden, ob in Joshua derselbe Keim spross. Natürlich. Nur wie sollte er das anstellen? Direkt ansprechen konnte er Joshua ja schlecht! Er wollte nicht, dass er vielleicht aus Versehen alles kaputt machte.
Das musste er sich überlegen… Wenn nicht alles schon kaputt war? Aber nein, das glaubte er nicht.
„Flirt with me…“, sangen Zeromancer leise aus der Stereoanlage. Kim und er ertrugen völlige Stille derzeit nicht.
„Warum eigentlich nicht?“, murmelte Damian. Wenn er etwas wirklich konnte, war es flirten.
Wenn Joshua darauf einging, dann war… es gut. Und wenn nicht? Darüber wollte er sich Gedanken machen, wenn es so weit war. Er war eigentlich nie der Typ gewesen, der abwartete und hoffte, dass das begehrte Wesen sich entschloss aktiv zu werden. Damian war aber auch kein gebranntes Kind und nur diese scheuen bekanntlich das Feuer.


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