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"Ein ungleiches Duell"
In jener Nacht, in der mir die Welt am entschwinden war und ich selbst ganz Ton geworden, geschah es plötzlich, dass ich spürte, wie meine Hand, die sich unkontrolliert nach den Tönen streckte, mit meiner Zigarette auf Widerstand stieß. Sofort kehrte ich aus den traumgetränkten Sphären der Musik zurück in meinen Körper und meine Augen blickten in ein erschrockenes junges Gesicht, das nicht auf den glimmenden Schmerz gefasst war. Meine Zigarette hatte sich nämlich in meiner Abwesenheit in die Haut der neben mir Tanzenden gegraben. Ihre lieblichen Gesichtszüge hatten sich in diesem einen Moment durch die Mithilfe von Erschrecken und Schmerz zu einem entzückenden Anblick modelliert, der mir schon in jenem Augenblick so zauberhaft erschien, dass ich versucht hätte, wäre ich ein Bildhauer oder Künstler, ihn in Stein und Farbe zu verewiglichen. Auch wenn der Schrecken des Unerwarteten in ihrem Antlitz eindeutig überwog und der Schmerz sich dezent im Hintergrund hielt, denn ich hatte sie ja nur kurz berührt: ja, fast nur gestreift. Ich entschuldigte mich hastig und sie nahm meine Entschuldigung mit einer abwinkenden Handbewegung zur Kenntnis und so tanzten wir zurück in unserer eigenen Welten.
So kostete ich an diesem Abend zum ersten Mal von diesem flüchtigen Bildnis, das die leuchtenden Farben von Schmerz und Entsetzen durch meine unbedachte Aktion in die lieblichen Gesichtszüge des Mädchens eingezeichnet hatten. Ich darf sagen, dass ich mich in diesen Anblick verliebte und versuchte, mir diese Sekunde in den folgenden Tagen und Nächten wieder und wieder vor Augen zu führen. Allein, es gelang mir nicht und es erging mir wie allen Liebenden, die verzweifelt versuchen die Augenblicke des Entzückens in ihren Erinnerungen wiederzubeleben. Das Abbild jenes Augenblicks blieb schal und unbelebt. Auch meinen Worten wohnten nicht die Bewegung und Energie inne, um diesem Bild eine würdige Beschreibung beizugesellen. Dennoch verblasste dieses Erlebnis nicht, sondern trat mir von Tag zu Tag stärker vor Augen. Doch schien es mir, als wären es nicht dieselben Augen, mit denen ich durch mein tagtägliches Leben schritt, sondern andere, die ich niemals zuvor wahrgenommen hatte. Augen des Moments. Augen der Dichte, die sich weigerten, jenseits des Augenblicks zu schauen. Ein Papierkorb voller dilettantischer Ergüsse, überzeugte mich schließlich, dass es sich nicht ziemte, die Verdichtung mancher Wirklichkeit durch den dranghaften Versuch einer Beschreibung zu entwerten. So legte ich den Stift beiseite und begann, mit meiner Glut auf Haut zu schreiben.
© Michael Schweßinger / EditionPaperONE 2006
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