Wiener Intermezzo
Das Laub der Bäume schimmerte in der morgendlichen Herbstsonne und spiegelte sich in der glatten Oberfläche eines kleinen Weihers. Baron Rudolf von Krieglach ließ seinen Fuchswallach im Schritt gehen und genoss die friedliche Stimmung.
Die Einladung des Grafen Karlesky auf sein Jagdschloss in Althof hatte willkommene Abwechslung in Rudolfs Leben gebracht. Zwar gehörte er nicht zu jenen, die sich mit Freude daran machten, Hirsche und Hasen durchs Unterholz zu hetzen, aber die engen, verstopften Gassen von Wien eine Woche lang mit der Weite des Marchfelds zu vertauschen, besaß durchaus seinen Reiz.
Es war noch früh am Morgen. Außer ihm waren nur Bauern und Landarbeiter unterwegs, um die Felder für die nächste Aussaat vorzubereiten. Alle anderen Gäste schliefen noch tief und fest. Graf Karlesky hatte am Vorabend ein opulentes Frühstück für zehn Uhr angekündigt, da der erste gemeinsame Jagdausflug erst am nächsten Tag stattfinden sollte. Diese Gelegenheit nutzte Rudolf - notorischer Frühaufsteher, der er war - um sich in der Gegend umzusehen und die Stille zu genießen.
Er umrundete den Weiher in einiger Entfernung, beobachtete eine Weile die Wasservögel und das Wild, das zur Tränke kam, und machte sich schließlich mit einem Gefühl des Bedauerns auf den Rückweg. Unweit vom Karlesky-Schlösschen erregte ein roter Farbfleck mitten in der abgemähten Wiese seine Aufmerksamkeit. Er ritt darauf zu und stellte fest, dass es sich um ein rotes Band handelte, das sich um einen breitkrempigen, mit Seidenblumen geschmückten Strohhut wand.
Rudolf richtete sich im Sattel auf und blickte sich suchend um, konnte aber niemanden erkennen. Also stieg er ab und hob den Hut auf. Unschlüssig drehte er ihn in der Hand und sah sich nochmals um. Da entdeckte er den Zipfel eines blauen Kleides, der hinter einem Baumstamm hervorlugte und ging darauf zu.
Eine Frau saß an den Baum gelehnt und beugte den Kopf über das Buch in ihren Händen. Ihre Füße hatte sie unter den weiten Leinenrock gezogen, der sich um sie bauschte. Sie war völlig in ihre Lektüre vertieft und bemerkte ihn nicht einmal, als er vor ihr stehen blieb. Ihr habt etwas verloren.
Ihr Kopf ruckte hoch und Rudolf merkte, dass er sich getäuscht hatte. Das war keine Frau, sondern ein Mädchen von höchstens vierzehn, fünfzehn Jahren. Große graue Augen sahen ihn erschrocken an und glänzende braune Locken umrahmten ein kindlich frisches Gesicht.
Oh, vielen Dank. Der Wind muss ihn weggeweht haben. Was für ein Glück, dass Ihr ihn gefunden habt. Meine Mutter würde mich umbringen, wenn er verloren geht. Sie kniete sich auf und nahm ihm den Hut aus der Hand. Die Fürstin Estany hat ihn mir geschenkt.
Ihre Worte und das einfache Leinenkleid verstärkten seine Vermutung. Sie war anscheinend die Tochter eines Pächters oder Hauslehrers, die gnädigerweise die abgelegte Garderobe der Herrschaft auftragen durfte.
Da bin ich ja froh, dass ich ein Leben gerettet habe, so früh am Morgen, erwiderte er trocken.
Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht des Mädchens und zauberte zwei Grübchen in ihre Wangen. Ihr kennt meine Eltern nicht, ich meine es durchaus ernst.
Sie würde reizend aussehen, wenn sie einmal erwachsen war, dachte Rudolf und verbeugte sich übertrieben tief. Lasst es mich wissen, wenn ich einen Drachen für Euch töten soll, holde Maid.
Ihr glockenhelles Lachen wärmte sein Herz und brachte ihn selbst zum Lächeln. Das werde ich, edler Ritter.
Mit einem Nicken wandte er sich ab und ging zu seinem Pferd zurück.
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