Wo wohnen die Kasserolliers heute?
Was dem Japaner sein Fudschijama oder dem Mexikaner sein Popocatepetl, das ist dem Schweizer sein Matterhorn. Für mich der Berg der Berge. Weil ich unsere liebste alpine Auffaltung bisher bloß als Werbesujet zu Gesicht bekommen hatte, nahm ich auch freudig eine Einladung der Rhätischen Bahn an, eine kleine Reise mit dem Glacier-Expreß zu unternehmen und dabei gleichzeitig das hohe Lied des Qualitätstourismus zu singen. Ich liebe unsere Bergbahnen, diese herrlichen Zeugnisse verflogener Kühnheit der Ingenieure und Investoren, welche es erst ermöglichten, auch noch so abgelegene Orte wie Zermatt als touristische Goldgrube zu nutzen.
Und tatsächlich erinnern Teile dieses Ortes ohne den beschönigenden Schnee an eine Geisterstadt aus der Zeit des Goldrausches. Diesen Eindruck hatte ich jedenfalls, als wir nach der Fahrt durch den Nebel, welcher nur ab und zu kurze Ausblicke auf die schrecklichen Schluchten und schroffen Gipfel freigab, müde in Zermatt ankamen und dann leider in der Dependance des Hotels »Derby« landeten. Durch die Fenster dieser düsteren Bleibe hatte man zwar keinen Ausblick auf die Bergwelt, dafür aber auf Müllcontainer, Altpapierstapel und gebrauchte Papiertaschentücher, welche in den dürren Büschen vor unserem Balkon ihre schauerlichen Tänze vollführten. Für die Bergluft sorgte der Dunstabzug der gegenüberliegenden Hotelküche, welcher dröhnend Fritierölnebel in das enge Gäßchen pumpte. Innenarchitektonisch sah diese Unterkunft aus wie in einer dieser Sendungen, in denen Wohnungen verschönert werden. Allerdings wie vor dem Eingriff, wie das Tochterkind schnippisch, aber treffend bemerkte. Sie hatte sich das Ganze romantischer vorgestellt. Der Kleine meinte bloß, ihm sei schlecht, und mir erging es auch nicht anders. Dieses Umfeld gemahnte mich an meine Zeit als Kasserollier in einem Strandhotel am Faaker See, und ich fragte mich, wo denn heutzutage die Tellerwäscher schlafen.
Schließlich packten wir wieder und verließen dieses Mutlosigkeit ausstrahlende touristische Sanierungsgebiet im Musikantenstadlstil in Richtung »Zermatterhof«, wo uns endlich wahre Gastlichkeit widerfuhr. Am Morgen grüßte uns von weitem unwirklich schimmernd das heilige Horn, dessen überwältigender Anblick jede touristische Strapaze rechtfertigt.
Keine Frage, ich komme wieder, durchfuhr es mich gerührt. Nur werde ich nächstesmal, proviantiert mit einer Schachtel der exzellenten Pralinés aus der Confiserie »Biner«, mein Biwak direkt in den Fels des Horns hängen oder gleich ein Zimmer im 5-Sterne-Bereich buchen, um dem Berg meine Aufwartung zu machen.
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