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Das Gewicht der Seele

DAS GEWICHT DER SEELE

Oliver Kern
Roman / Phantastik

Sieben Verlag

Broschiert, 196 Seiten
ISBN: 978-394023532-9

Mar. 2009, 1. Auflage, 14.90 EUR
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1 CHIFFRE

Chauffeur gesucht. Langjährige Fahrpraxis, flexibel und sofort verfügbar. Gute Bezahlung, Fahrzeug vorhanden. Chiffre 202046.

Mit dieser Anzeige fing alles an.
Chiffre? Das hatte ich bis dato nie so recht verstanden, aber diesmal wollte ich mich nicht davon abschrecken lassen. So nichts sagend diese Annonce auch war, ich schrieb an den Zeitungsverlag.
Verdammt, ich brauchte einen Job. Viel mehr als einen Job brauchte ich natürlich Geld, und die Chauffeursstelle war in beiderlei Hinsicht das Beste, was ich an diesem Samstag im Stellenmarkt fand. Zumindest das, was meiner Qualifikation und vor allem meiner Arbeitsmoral am Nächsten kam.
Arbeit! Bislang habe ich es gut ohne sie durchs Leben geschafft. Immerhin fünfunddreißig Jahre lang. Gut, die ersten achtzehn sollte ich abziehen, schließlich streckte ich bis zur Volljährigkeit die Füße unter den Tisch meiner Eltern. Leider auch keinen Tag länger, wie ich schmerzlich erfahren musste. An meinen achtzehnten Geburtstag stellte Mutter mir meinen Koffer vor die Tür und mein alter Herr kassierte den Haustürschlüssel ein. Sie warfen mich raus. Meine Eltern – künftig die Erzeuger genannt – warfen mich raus. Sicherlich nicht unverdient, aber trotz allem und besonders zu diesem Zeitpunkt überraschend. Ich hatte nicht erwartet, dass sie die Drohungen, die ich mir all die Jahre anhören durfte, tatsächlich umsetzen würden.
Doch zu meinem Glück hatte ich unwissentlich vorgesorgt und mir im Vorhinein Freunde geschaffen, die mich aufnahmen. Aufnahmen und voll in ihre Geschäfte integrierten. Zwielichtige Geschäfte, die ich bereits vor meinem Rauswurf kannte, und für die ich längst meinen Gesellenbrief abgelegt hatte. Diese waren mit ein Grund, warum die Erzeuger meine Volljährigkeit herbeisehnten. Sie wollten nicht länger ihrer vom Staat verordneten Aufsichtspflicht nachgehen, nicht weiterhin einen kriminellen Gauner und Betrüger beherbergen, der sich einen Dreck um Gesetze scherte, und dabei mehr Kohle heimbrachte als der Hausherr selbst, der sich im Schichtbetrieb beim hiesigen Automobilbauer schon über dreißig Jahre den Buckel krummarbeitete. Ganz abgesehen davon, dass sie von dem Geld nichts abbekamen, egal, ob ihre Moral es zugelassen hätte oder nicht.
Aber ich konnte mich nicht beklagen. Zwar rutschte ich durch die überraschende Abnabelung endgültig und haltlos in die Unterwelt ab, aber trotzdem oder gerade deswegen durfte ich nun das Leben führen, das ich wollte.
Einige Jahre lief es wirklich gut für mich, aber längst sind meine Geldquellen versiegt. Die staatlichen als auch die privaten. Beinahe zeitgleich. Ich fand bis heute keine Erklärung dafür, dass ich plötzlich blank geputzt wie ein Fisch war, dass meine Freunde mich aus ihren Geschäften raushielten, mir letztlich den Rücken kehrten und ich vor zwei Jahren in dieses Loch fiel.
Seitdem herrschte Ebbe im Geldbeutel, wie nie zuvor in meinem Leben. Nun war es soweit: Ich kam erstmals nicht mehr umhin, mir echte Arbeit zu suchen. Warum nicht als Chauffeur? Ich fahre gern Auto.
Langjährige Fahrpraxis, flexibel und sofort verfügbar. Das passte. Mehr habe ich ohnehin nicht vorzuweisen. Zumindest nicht, was den Arbeitsmarkt angeht. Zugegeben, ich hegte nicht allzu viel Hoffnung, dass man mir antworten würde. Meine Motivation ist, trotz Finanzengpass, nicht berauschend. Mein Lebenslauf, wie bereits erwähnt, ist nicht gerade etwas, was man freiwillig vorzeigt, weshalb ich ihn in meiner Antwort auf besagte Anzeige einfach wegließ und nur einen netten Brief formulierte. So nett, wie ich eben konnte. Nachdem mir selbst klar war, wie absolut illusorisch es war, jemals eine Reaktion zu erhoffen, vergaß ich die Sache schnell wieder.
Das war vor drei Wochen, und heute ist dieser Brief in der Post, den ich fast ungeöffnet entsorge, weil ich zuerst annehme, dass der Dummkopf von Zusteller ihn falsch eingeworfen hat. Edler, geriffelter Umschlag, akkurat geklebte Marke, saubere Handschrift mit blauer Tinte. Unmöglich die Art von Briefen, die ich sonst erhalte. Rechnungen, Schreiben des Sozial- oder Arbeitsamtes in Kuverts aus grauem Umweltpapier. Falls verzogen, bitte zurück an den Absender.
Nun, dieser Brief ist anders. Entgegen meinem ersten Reflex, ihn auf den Altpapierstapel zu werfen, halte ich ihn eine Weile in der Hand und streiche mit dem Daumen über die zarte Maserung. Gertrude von Ahrens und Drewsky steht auf dem Absender. Gertrude! Von Ahrens und Drewsky! Von!
Das hat eine gewisse Wirkung auf mich. Es klingt nach Geld. Geld und Adel. Stünde ich vor einem Spiegel, könnte ich die Gier in meinen Augen leuchten sehen. Schließlich kennt man sich selbst am besten.
Aber da ist noch etwas anderes. Ein mir bislang unbekanntes Gefühl, das kaum merklich meine Wirbelsäule hoch kriecht. Ich bin keineswegs der Typ, der sich von Autorität einschüchtern lässt. Eher das Gegenteil ist der Fall. Alphamännchen haben mich von jeher provoziert. In einer der zahlreichen Akten, die diverse Behörden über mich angelegt haben, steht, dass ich mich nicht unterordnen kann. Demzufolge ecke ich gelegentlich an, stoße auf gesellschaftliche Widerstände und bekomme zu hören, dass ich sozial nicht einzugliedern sei. Mir persönlich ist das Wurst. Bis vor kurzem lachte ich sogar noch darüber. Ich pflegte dieses Image. Zumindest, solange ich genug auf dem Konto hatte und glaubte, unsterblich zu sein. Vor nicht allzu langer Zeit haben mich Frauen angehimmelt und Spießer heimlich bewundert, weil ich so war, wie ich war. Aber jetzt?
Jetzt schreibt mir Gertrude von Ahrens und Drewsky, und ich habe erstmals in meinem Leben das Gefühl, dass ich stramm stehen müsste. Ob es am Namen liegt, an diesem sauberen Schwung in der Schriftführung oder am gesamten Erscheinungsbild des Briefes? Zumindest verspüre ich ein nicht unerhebliches Kribbeln in der Magengegend, wenn ich ihn so in der Hand halte.
Es ist eine Einladung. Dieselbe klare Handschrift wie auf dem Umschlag. Kein Fehler, kein Patzer, nichts durchgestrichen oder verwischt, kein Haken zuviel. Kein Knick im Papier außer der exakten Falzung in der Mitte, keine Kerbe, kein Riss, wie gebügelt. Blaue Tinte auf perlmuttfarbenem Papier. Ein Hauch von Lavendelduft. Morgen, vierzehn Uhr. Eine Adresse, zu der ich kommen soll und eine Telefonnummer, falls es mir nicht möglich wäre, zu erscheinen. Und wie ich erscheinen werde! Gertrude, dein Chauffeur kommt!


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