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Perlmond
Ein Knecht kam ihnen entgegen, als sie auf den Stall neben dem Gasthof zuritten. Die Menschen wichen ihnen aus und betrachteten die große gefleckte Katze misstrauisch, äußerten sich aber nicht dazu. Olrig stieg ab und reichte dem Stallknecht die Zügel seines Schimmels. »Volle Versorgung für die Pferde für eine Nacht«, trug er auf und gab ihm zwei Münzen.
Graum blieb dicht an Rowarns Seite, als sie das Haus betraten. Der Schankraum war düster, die Luft stickig, obwohl nur wenige Gäste anwesend waren. Der Wirt, erkennbar an seiner großen grünen Schürze, die sich über einen voluminösen Bauch spannte, kam ihnen eilig entgegen und stutzte, als er den Schattenluchs sah.
Olrig nahm den Helm ab und grüßte den Mann. »Wir benötigen ein Zimmer für eine Nacht.«
»Tiere sind hier nicht erlaubt«, brummte der Wirt und deutete auf Graum. »Und der sieht mir kaum gezähmt aus.«
»Er gehört zu mir wie ein Bruder«, sagte Rowarn ruhig. »Wollt Ihr einem Ritter von Ardig Hall, der für die Freiheit Eures Landes kämpft, Kost und Logis verweigern? Und ebenso einem Verbündeten vom Zwergenvolk?«
Der Mann wurde ein wenig blass und verneigte sich mehrmals. »Bitte um Entschuldigung, aber in diesen Zeiten ... Ihr versteht ... ich habe noch ein Zimmer, aber ich bitte Euch freundlichst um Zurückhaltung. Mein Gasthof ist ein neutraler Ort.«
Olrig wandte sich an Rowarn. »Das bedeutet, er muss Schutzgeld an Dubhani-Räuber zahlen.«
Der Wirt hob erschrocken die Hände, sein Blick flog ängstlich durch den Raum. »Ich bitte Euch ... wenn ich Euch doch überreden könnte, weiterzureiten ...«
»Kommt nicht in Frage«, sagte Rowarn streng. »Ich will wissen, was die Leute reden und mit eigenen Augen sehen, was vor sich geht. Zudem wird es bald dunkel, und ich denke nicht daran, wegen der Ängstlichkeit eines Gastwirtes unter dem nackten Sternenhimmel zu frieren. Habt Ihr nun Zimmer für Reisende oder nur für besonders ausgewählte Gäste?«
Olrig warf ihm einen erstaunten Blick zu und grinste dann vergnügt in seine dunklen Bartzöpfe.
Der Schattenluchs schnüffelte am Bein des Wirtes, seine langen Schnurrhaare zuckten.
»B-bitte«, flüsterte der Mann, dem jetzt deutlich sichtbar der Schweiß auf der Stirn stand. »Es sind nur wenige Stunden bis zur nächsten Stadt, in nördlicher oder in südlicher Richtung. Wir haben hier keine Stadtwache zum Schutz ...«
Olrig winkte ungeduldig ab und zog Umhang und Handschuhe aus, die er auf den Tresen legte. »Lasst unser Gepäck auf das Zimmer bringen, und dann serviert uns zwei ordentliche Schalen von Eurem Eintopf, außerdem Brot und Winterbier, und dem Luchs gebt einen Rindsknochen mit Fleisch dran, dann werdet Ihr keinen Ärger bekommen.«
Als der Wirt weiterhin reglos verharrte, zogen sich die buschigen Augenbrauen des Zwerges zusammen. Er zog einen Silberdrachen hervor und warf ihn auf den Tresen. »Hiermit ist das Morgenmahl großzügig mitbezahlt. Und haltet auch warmes Wasser bereit!« Ohne weiteren Widerspruch abzuwarten, ging er in die Gaststube. Rowarn legte ebenfalls Umhang, Helm und Handschuhe ab, dazu den Rückenköcher mit der Fahne, und folgte ihm.
Die übrigen Gäste taten, als bemerkten sie die Neuankömmlinge nicht, und unterhielten sich weiterhin angeregt. Die drei Gefährten ließen sich in einer Ecke am Fenster nieder, und kurz darauf wurde das Gewünschte serviert. Die Schankmaid vermied es allerdings, sie anzusehen, und verweilte gerade lange genug, um alles abzustellen.
»Wir werden früh schlafen gehen und morgen bei Tagesanbruch aufbrechen«, sagte Olrig. »Die Leute hier sind wie gelähmt vor Angst. Das wird vermutlich immer schlimmer werden, je weiter wir in den Einflussbereich Dubhans geraten.«
Rowarn nickte. Natürlich erregten sie mit Graum Aufsehen, doch die Leute hatten nicht nur vor dem gefährlich aussehenden Raubtier Angst. Die Stimmung war gedrückt, die Unterhaltungen wurden gedämpft geführt. Das änderte sich erst, als einige Händler eintrafen, die auf der Durchreise waren. Händler waren immer begierig darauf, Neuigkeiten auszutauschen und sich selbst genug in Szene zu setzen, um vielleicht noch ein zusätzliches Geschäft zu machen oder neue Handelskontakte zu knüpfen. So wurde wurde es schnell lauter, als sie anfingen, sich gegenseitig auszuhorchen. Rowarn und Olrig hörten ihnen aufmerksam zu. Im Wesentlichen gab es nichts Neues, der eine oder andere wollte jemanden kennen, der den Fürsten gesehen habe, und auch von dem Erben von Ardig Hall war die Rede.
»Aber was reden wir da!«, rief schließlich einer und deutete unverhohlen auf die Freunde. »Wir spekulieren über Gerüchte, dabei haben wir hier zwei leibhaftige Kämpfer von Ardig Hall, ist es nicht so?«
Rowarn hatte sein Wappenhemd nicht abgelegt. Er rührte sich nicht, als der Mann mit seinem Bierkrug an ihren Tisch trat.
»Nun, gibt es Neuigkeiten von der Seite des Regenbogens? Ich gebe Euch gern ein Winterbier aus, um ein paar Informationen zu erhalten, die ich weitertragen kann.«
»Was wollt Ihr hören?«, versetzte Rowarn. »Wir haben die Schlacht verloren, das ist eine Tatsache. Tatsache ist aber auch, dass wir den Krieg noch nicht verloren haben. Wir sammeln uns in Eisenwacht, um im Frühjahr gegen Dubhan zu marschieren.«
Daraufhin herrschte für einen Augenblick tiefes Schweigen im Raum. Dann sagte einer: »Ihr werdet uns alle ins Unglück stürzen.«
»Sollen wir einfach aufgeben?«, gab Olrig zurück. »Wir geben unser Blut für euch Bürger, und wir werden Dubhan besiegen, damit ihr wieder ohne Angst euer Bier genießen könnt. So zumindest halten es wir Zwerge.«
Rowarn sah, wie Graums Ohrpinsel heftig zuckten, doch der Dämon beherrschte sich.
Wie aufs Stichwort flog in diesem Moment die Tür auf. Eine fünfköpfige Truppe Warinen in voller Rüstung stampfte wuchtig herein und brachte eisige Kälte mit sich. Sofort wandten sich alle Gäste ab, auch der Händler setzte sich eilig, und eine angespannte Stimmung breitete sich aus. Rowarn konnte die säuerliche Angst der Leute riechen. Selbst das Feuer im offenen Kamin schien sich hinter dem Holz zu verkriechen. Der Wirt wieselte um die Dubhani herum, wies ihnen den besten Platz an, winkte nach Schankmaiden und Knechten und schwitzte deutlich sichtbar Blut und Wasser. Die Warinen musterten Olrig und Rowarn ein paar Lidschläge lang, dann setzten sie sich schweigend, ohne sie weiter zu beachten. Mit der Zeit setzten die murmelnden Unterhaltungen wieder ein, doch Rowarn sah, dass die Menschen immer wieder ängstlich zur inzwischen geschlossenen Tür schielten. Niemand wagte es, aufzustehen und den Raum zu verlassen, obwohl vermutlich jeder am liebsten ganz woanders wäre.
Olrig stopfte in aller Ruhe seine Pfeife und winkte der Schankmaid, noch zwei Winterbier zu bringen. Rowarn beobachtete unauffällig die Warinen, die schweigend ihre Mahlzeit verzehrten. Draußen war es inzwischen dunkel, und Eisblumen wuchsen am Fenster.
Graum blickte kurz auf, als durch die geschlossene Tür ein kurzes Poltern drang, das jeder andere im Raum geflissentlich überhörte. Der Wirt war schon eine ganze Weile draußen.
»Ich muss mal kurz raus«, sagte Rowarn daraufhin zu Olrig. »Warte mit Graum hier, ich bin gleich zurück. Du könntest derweil heißen Punsch und kandierte Früchte bestellen.«
Der Schattenluchs blinzelte zu ihm hoch und miaute leise.
»Ein paar Augenblicke kann ich wohl allein sein, oder?«, brummte Rowarn. »Was sollte mir da schon passieren.«
Der Zwerg sagte nichts, sondern beschäftigte sich mit seiner Pfeife.
Ohne die Warinen eines Blickes zu würdigen, ging Rowarn an ihnen vorbei nach draußen und schloss die Tür hinter sich. Im Vorraum war niemand, auch auf der Treppe nicht. Rowarn lauschte und glaubte dann, im hinteren Bereich, durch eine halb offenstehende Tür, ein Geräusch zu hören. Es klang wie ein schmerzliches Wimmern. Langsam schlich er sich näher heran. Weitere Laute, ein unterdrücktes Knurren. Dann konnte Rowarn die zitternde Stimme des Wirtes erkennen.
»W-wenn ich euch doch sage
Ich kann nicht mehr zahlen ... Kaum jemand macht hier mehr Rast, und wer hier lebt, hat kein Geld mehr, um in meine Schenke zu gehen ...«
»Weleb, Weleb, das stimmt mich traurig.« Eine krächzende, eiskalte Stimme. »Was tun wir nicht alles für dich. Wir beschützen dich vor marodierenden Banden, sorgen dafür, dass du nicht ausgeraubt wirst, dass dieser armselige Flecken, auf den du so stolz bist, nicht in Flammen aufgeht, und so dankst du es mir?«
»Aber ...«
Ein klatschendes Geräusch, gefolgt von schmerzlichem Wimmern.
Rowarn stieß die Tür auf. »Heda, Wirt, seid Ihr hier irgendwo? Ich suche nach ... oh, komme ich ungelegen?«
Mit einem raschen Blick erfasste er die Lage. Zwei Männer, die den Gastwirt in der Zange hatten. Keine Warinen, sondern Menschen. Söldner, Habenichtse in Friedenszeiten, die sich auf diese Weise zu bereichern trachteten. Die gab es auf beiden Seiten, doch Rowarn war froh, dass sie das Wappenhemd des zerbrochenen Tabernakels trugen.
Welebs Gesicht war blutüberströmt, ein Auge zugeschwollen, die Nase ein blutiger Klumpen. Sie hatten den armen Mann übel zugerichtet. Auf dem rissigen Holzfußboden unter seinen Füßen breitete sich ein feuchter Fleck aus und Rowarn stieg der beißende Geruch von Urin in die Nase.
Die beiden Söldner ließen ihr Opfer los und wandten sich Rowarn zu; sie mussten schon lange unterwegs sein, ohne festes Lager, denn sie wirkten heruntergekommen, die Bärte wucherten wild, die Haare waren lang und ungepflegt. Ihre Augen waren kalt und leblos, und ihr Gebiss zeigte Lücken und braune Stumpen, als sie Rowarn angrinsten. Auch ihre Rüstungen waren ungepflegt, die Wappenhemden fleckig und löchrig.
»Wem hast du denn das Wappenhemd geklaut, Kleiner?«, sagte der Mann mit der krächzenden Stimme, und der andere lachte hohl.
»Ein größenwahnsinniges Bürschlein, das sich für einen Helden hält.«
Langsam gingen sie auf Rowarn zu.
»Bei den Göttern, junger Herr, es ist alles in Ordnung, geht wieder zurück in die Stube, ich komme gleich und bringe Euch alles, was Ihr wünscht!«, rief der Wirt verzweifelt.
»Das übernehmen wir schon, Weleb«, sagte der zweite Mann. »Den edlen Recken Ardig Halls sind wir doch immer gern behilflich.«
»Bitte, bitte, nicht hier drin ...«, flehte der Wirt. »Es ist alles, was ich habe ...«
»Ihr habt euren Gastgeber gehört«, sagte Rowarn. »Gehen wir raus, dann höre ich mir gern an, wobei ihr mir behilflich sein wollt.« Hier drin auf engem Raum war sein Schwert ohnehin nutzlos.
»Mir gefällt deine Rüstung«, sagte der Krächzende.
»Und mir deine Stiefel«, setzte der andere nach.
Rowarn wich langsam durch den Gang zurück, und die beiden folgten ihm. Er tastete nach dem Türgriff, die Kälte traf ihn wie ein Schlag in den Rücken, als er die Tür öffnete. Ihn schauderte es, und beinahe hätte er dem Impuls nachgegeben; es war Dummheit, so ungeschützt in die Kälte hinauszugehen. Andererseits wäre der dicke Winterumhang im Kampf hinderlich gewesen. Er musste es einfach schnell hinter sich bringen, dann konnte er wieder zurück ins Warme.
Er hatte kaum einen Schritt nach draußen gesetzt, als er sein Schwert zog, ebenso wie die beiden Söldner, die sich sofort zu beiden Seiten verteilten. Sie waren mindestens zehn Jahre älter als er und bedeutend kräftiger gebaut. Aber keine Ritter. Sie verstanden sich nur auf schnelles Vorstürmen und kraftvolles Zuschlagen und hatten keine Ahnung von der wahren Kunst des Schwertkampfes.
Und Zeit wollten sie obendrein keine verlieren. Ohne die Lage wirklich abzuschätzen, griffen sie ihn gleichzeitig von zwei Seiten an. Rowarn zog seinen Dolch mit der linken Hand und parierte die beiden Schläge.
Sie waren gut eingespielt, das musste er ihnen zugestehen, und sie kannten eine Menge speziell einstudierter Finten, die sie mit kurzen Gesten und Blickkontakten absprachen. Für einige Zeit kam Rowarn aus der Deckung nicht heraus und wurde immer weiter zurückgetrieben. Die beiden fielen mit großem Geschrei über ihn her, lachten und verhöhnten ihn, während sie auf ihn eindroschen. Dieser Lärm sollte Zuschauer anlocken, die sich bald einfanden, auch aus dem Gasthaus kamen Leute, allen voran der Wirt, der rief: »Bitte, ihr Herren, wir können uns doch sicher einigen«, aber niemand hörte auf ihn.
Rowarn sah Olrig und Graum, den Händler von vorhin und zuletzt die fünf Warinen, von denen zwei an Keulen nagten, die sie vom Tisch mitgebracht hatten, ein anderer trank aus seinem Humpen.
»Passt gut auf!«, schrie der Krächzende in die Runde. »Da seht ihr, was wir mit den Anhängern von Ardig Hall machen! Lasst es euch eine Lehre sein!« Damit griff er erneut an.
Rowarn hatte die ganze Zeit keinen Laut von sich gegeben, sich von ihnen treiben lassen und die Vorgehensweise der beiden studiert. Wenn sie nicht solche Angeber gewesen wären, hätte er in großen Schwierigkeiten gesteckt. Er war froh, ihnen nicht auf dem Schlachtfeld begegnet zu sein. Dort waren sie bestimmt nicht so vorlaut; mit diesem Auftritt wollten sie auch die Bewohner des Goldgrunds einschüchtern. Auf dem Schlachtfeld hätten sie sich nur aufs Töten konzentriert. Daher hatte Rowarn es leichter, weil sie zu sehr abgelenkt waren; trotzdem durfte er nicht den Fehler begehen, sie zu unterschätzen.
Der zweite Mann war der Gefährlichere der beiden, da er sich mehr zurückhielt und einen günstigen Moment abwartete, um Rowarn in den Rücken zu fallen. An ihn kam Rowarn vorerst nicht heran, daher musste er erst dessen Kumpan ausschalten. Er sah, wie der Krächzende zu einem Ausfall nach links und einer Finte ansetzte, und stürmte plötzlich vor, stieß sich ab und flog über den verdutzten Angreifer hinweg, der unter ihm ins Leere lief; auch der Gefährte war so überrascht, dass er keine Gelegenheit bekam, das Schwert nach oben zu reißen. Für so etwas waren die beiden zu schwer, ihre starken Muskeln schränkten auch ihre Beweglichkeit ein. Rowarn aber war biegsam und leichtfüßig, er schlug einen Salto, landete im Rücken des Mannes und hieb ihm mit rückwärtigem Schwung das Schwert mit der scharfen Schneide in die Seite, woraufhin der Gegner brüllend einknickte. Das gab Rowarn Zeit, sich zu drehen, er umfasste dabei das Heft mit beiden Händen und setzte zum tödlichen Streich gegen den Hals an. Mit einem kraftvollen Hieb beendete er den Kampf. Der Schrei des Mannes riss abrupt ab, er taumelte, das erhobene Schwert fiel ihm aus der Hand, dann landete der kopflose Körper mit einem dumpfen Laut im Schnee.
Sein Gefährte hielt für einen Moment inne, völlig überrascht von der unerwarteten Wendung und kurzzeitig verunsichert. Er wandte sich an die Warinen. »Was steht ihr da herum? Greift ein!«
»Brauchst du Unterstützung, Memme?«, knurrte Rowarn und ging langsam auf den Gegner zu, das blutige Schwert halb erhoben. Seine Augen flammten wie Eisfeuer, sein Schatten kroch über den Schnee, schien zu wachsen, und der eine oder andere Zuschauer schwor später, der Schatten sei gehörnt gewesen wie ein Dämon. »Allein bist du wohl nur halb so viel wert. Dabei habe ich mich noch nicht einmal der Raserei ergeben.«
Der vorderste Warine, der nach wie vor an seiner Keule kaute, sagte ruhig: »Das erledigst du gewiss selbst, Ködegg, das Bürschlein ist nur eine halbe Portion im Vergleich zu dir.«
»Er hat euren Hauptmann getötet!«
»Und jetzt töte ich dich.« Nun ging Rowarn zum Angriff über, mit Dolch und Schwert. Es bedurfte nur dreier Schläge, dann war es vorbei. Doch Rowarn hielt sich nicht damit auf, seinen Sieg auszukosten; noch bevor der Leib des Mannes gefallen war, ging er mit vorgestrecktem Schwert direkt auf den nächststehenden Warinen zu, und sein Schatten schien hinter ihm weiter in die Höhe zu wachsen.
»Wir werden das jetzt beenden«, zischte er. »Entweder wird weiteres Blut fließen, oder ihr verlasst diesen Ort und werdet künftig einen großen Bogen um ihn machen. Eure Anführer sind tot, doch die Frage ist, ob ihr das Erbe übernehmen werdet? Ich kenne euch Warinen, ihr seid keine Räuber, sondern Krieger von Ehre. Ist das eure Art, Krieg zu führen? Wenn ja, kämpfen wir. Wenn nein, lasse ich euch ziehen und nehme euch den Schwur ab, dass ihr diesen Ort in Ruhe lasst. Und ich werde euch glauben.«
Die Warinen zögerten. Olrig legte die Hand an den Griff der Axt in seinem Gürtel. Graum schlug einen Bogen um die Warinen und stellte sich frontal vor ihnen auf. Er zeigte das gesträubte Rückenfell und die langen Reißzähne; Schwanz und Ohren waren steil aufgestellt. Seine Augen leuchteten wie Feuerbälle.
Ein Warine trat schließlich nach vorne, doch der Vorderste hielt ihn am Arm fest. Er zeigte mit der abgenagten Keule auf Rowarn. »Ich kenne diesen da«, erklärte er mit grollender Stimme. »Er war in der Splitterkrone.«
»Wie kommt er dann hierher?«, knurrte ein anderer.
»Er ist entkommen«, antwortete der Warine grinsend und zeigte spitz zugefeilte Zähne.
Da wichen die übrigen Warinen einen Schritt zurück.
Die Menschen ringsum starrten ihn mit aufgerissenen Augen an. Der Händler flüsterte: »Er ist es«, und ein anderer: »Der Erbe von Ardig Hall ...«
»Ja, der bin ich«, sagte Rowarn, und in diesem Moment konnte niemand mehr daran zweifeln, denn seine Gestalt leuchtete silbrig in der Dunkelheit, und der gehörnte Schatten überragte ihn. »Ich weiß, wer ihr seid, Warinen, und ich weiß, wie ihr kämpft. Ich kann eure Dämonenessenz riechen! Also, geht nach Dubhan und bewacht euren Herrn, denn ich werde bald kommen und Femris den Todesstoß versetzen.« Mit diesen Worten hob er den gestreckten Arm auf Augenhöhe des vordersten Warinen, sodass die blitzende Schwertspitze genau auf seine Stirn zeigte.
Darauf folgte Schweigen, und Kälte kroch langsam in die erstarrten Glieder. Die Menschen wagten sich nicht mehr zu rühren, auch Olrig und Graum verharrten reglos, behielten aber die Dubhani fest im Blick. Der Schnee zu Rowarns Füßen war rot vom Blut der Gefallenen.
Dann warf der vorderste Warine die Keule beiseite und hob die Hand. »Wir ziehen ab.« Während die vier anderen sich widerspruchslos umdrehten, die Sachen holten und sich auf den Weg zu den abseits angebundenen Pferden machten, wandte der Sprecher sich noch einmal Rowarn zu. »An einem anderen Tag«, sagte er gelassen.
Rowarn nickte. »Er wird bald kommen.«
Die fünf Warinen saßen auf und trabten in die Nacht hinaus.
Die Menschen standen immer noch wie erstarrt, auch als der Hall der Hufe schon vom Schnee erstickt war.
Rowarn wischte die Klinge im Schnee ab und steckte sie ein, mit dem Dolch verfuhr er ebenso. »Überlegt Euch, ob Ihr weiterhin ein neutrales Haus führen wollt, Herr Wirt«, sagte er zu Weleb und ging zurück zum Gasthaus.
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