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Besessen
Duncan Luther frühstückte an diesem Morgen allein. ![]() "Heckenrosen?", hatte die Floristin zweifelnd nachgefragt. "Da müssen Sie in eine Gärtnerei gehen. Täten's normale Rosen nicht ebenso...?" Duncan Luther hatte sich breitschlagen lassen. Zumal er weder wusste, noch Lust dazu verspürte, herauszufinden, was Pater Lorrimer mit dem seltsamen Sortiment eigentlich bezweckte. Die Rosen waren die letzte Position, die auf der Liste noch offengestanden hatte. Mit einer großen braunen Papiertüte und einem in Zellophan eingeschlagenen Rosenstrauß beladen, kehrte er zur Kirche am Trumper Park zurück. Wie seit neuestem üblich, musste er sich schleppenden Verkehr und ein paar Umleitungen gefallen lassen. Weite Teile der Paddington Street waren durch Absperrungen unzugänglich gemacht worden. Wie aus der halbstündigen Nachrichtensendung im Radio zu erfahren war, hatten auch viele Anlieger ihre Häuser bis auf weiteres räumen müssen. Bürgermeister Weinbergs Statements dazu klangen mehr als halbherzig. Man konnte den Medien nicht verdenken, dass sie Informationslöcher mit nicht immer seriös klingenden Mutmaßungen stopften. Die zuerst aufgekommene These vom Zusammensturz einer der alten, im viktorianischen Stil erbauten Villen schien – das jedenfalls wurde deutlich – nur die "Spitze des Eisbergs" darzustellen. Sogar die Gerüchte über tote Polizisten und rapide gealterte Angehörige eines städtischen Bautrupps, die anfangs niemand für bare Münze genommen hatte, erschienen vielen durch ihre ständige Wiederholung inzwischen gar nicht mehr so abwegig. Von der City aus hatte Duncan Luther kurz mit seinen Eltern in Leichhardt telefoniert. Wie er sie kannte, sorgten sie sich bereits, dass er irgendwo unter den Trümmern eines Gebäudes liegen könnte. Sie hatten schon mal das Kunststück fertiggebracht, das australische Konsulat in Kenya in Aufruhr zu versetzen, weil Duncan sich gerade mit Studienfreunden auf einem Urlaubstrip aufhielt und zeitgleich ein Militärputsch im Tschad stattfand. Für Bewohner eines Kontinents, der vielleicht noch unüberschaubarer als der afrikanische war, benahmen sich Duncans Eltern schon etwas verschroben. Aber er verzieh es ihn. Sie hatten ansonsten ein phantastisches Verhältnis, und solange er sie zu nehmen wusste, wie sie waren, gab es auch keine Probleme. Sie akzeptierten ihn schließlich auch, wie er war, obwohl weder seine Mutter, noch sein Vater je etwas mit der Kirche am Hut gehabt hatten. Sein Vater war Prospektor und oft auf Dienstreisen für eine Landerschließungsgesellschaft. Seine Mutter aber hatte das schwerste Los: Ehegattin, Hausfrau und Mutter. Duncan schmunzelte. Von weitem lugte schon die Kirchturmspitze über die grünen Wipfel des Parks, als er einen kleinen, geschlossenen Transporter mit einer Panne am Straßenrand stehen sah. Die Haube war aufgeklappt, und außer einer jungen Frau mit einem Baby auf dem Arm war weit und breit keine Menschenseele zu entdecken. In dem Moment, als er sich auf gleicher Höhe mit ihr befand, traf Duncan der Blick aus den flehenden Augen der Frau. Wie lange sie hier schon stand, ohne dass jemand angehalten und ihr geholfen hatte, wusste er nicht. Er hätte auf jeden Fall angehalten. Die Nächstenliebe gebot es – etwas, was für Luther keine leere Worthülse war. Er stoppte seinen altersschwachen, günstig erworbenen Vauxhall wenige Meter vor dem fremden Transporter und stieg aus. "Probleme?" Er ging auf die Frau im schwarzen Kleid zu. Sie lächelte scheu. "Ich fürchte." Sie sah etwas ungewöhnlich aus. Ihre strichdünnen Augenbrauen schienen eine einzige, unterbrechungsfreie Linie entlang der glatten, hohen Stirn zu bilden. Das kohlrabenschwarze Haar unterstrich die Blässe ihres Teints noch zusätzlich. Dem gegenüber wurde der Mund von einem tiefroten Lippenstift hervorgehoben, wodurch er – was Duncan auf die Entfernung nicht aufgefallen war – eine obszöne Note erhielt. Er versuchte, darüber hinwegzusehen. "Vielleicht kann ich helfen..." Er schob sich an ihr vorbei, erhaschte einen Blick auf das winzige, in Decken eingeschlagene Bündel auf ihrem Arm – und versteinerte inmitten der Bewegung. Das Baby war kein Baby. Es war eine Puppe. "Miss..." Weiter kam er nicht. Sie ließ die Puppe einfach in den Rinnstein fallen und streckte die Hand aus. "Du bist ein hübscher Bengel. Ich mag, was du anhast." Er trug, obwohl er es etwas kindisch fand, denn er war ja noch kein Priester, schwarze Hosen, schwarze Schuhe und ein schwarzes Hemd. Lorrimer hatte darauf bestanden. Es war ihre erste Auseinandersetzung gewesen, und der Pater hatte sie gewonnen. Duncan tröstete sich seither damit, dass er ihn hatte gewinnen lassen. "Wenn du brav bist, zeige ich dir etwas." Ihre Stimme war voller Lockung. Sie selbst (was für ein eigenartiger Gedanke, durchzuckte es Luther) war die personifizierte Verführung! Was ihn wenige Sekunden vorher noch an ihr gestört hatte, machte sie plötzlich unwiderstehlich! Er reichte ihr seine Hand. Den Druck kurz darauf nahm er kaum wahr. "Im Wagen sind wir ungestört", versprach sie. Noch bevor sie die seitliche Tür des Transporters erreichten, glitt diese zur Seite. Duncan begriff dumpf, dass sie von innen geöffnet worden war. Mehrere erwartungsfrohe Gestalten drängten sich in der Enge. "Steig ein", sagte die Frau. Duncan zögerte. Hände packten ihn und zogen ihn ins Innere. Er wehrte sich nicht. Er wunderte sich nicht einmal richtig. Die fremde Frau folgte ihm zu den fremden Männern. Hinter ihr sprang die Tür zurück in die Arretierung. Durch die getönten Scheiben drang genügend Licht in den Stauraum, um Duncan Einzelheiten erkennen zu lassen. Mit der Frau umgaben ihn fünf Personen. Er hörte, wie die verführerische Schwarzhaarige sich an die Männer wandte und mit bebenden Lippen bat: "Lasst ihn mich kosten! Nur ein klein wenig... Ich muss wissen, wie er schmeckt! Bitte!" Sie sahen alle jung aus. Wie Halbstarke in den Filmen der frühen 50er. Einige waren tatsächlich in Leder gekleidet, als hätten sie die aktuellen Trends verschlafen. "Narschwitz!" fauchte einer der Männer. Sein Haar glänzte pomadig und war streng nach hinten gekämmt. "Du musst von Sinnen sein! Was hätten wir gewonnen, wenn du nur an dich denkst?" Narschwitz? hallte es in Duncan nach. Er musste sich verhört haben. "Wir könnten einen anderen schicken", rechtfertigte sich die Frau. Aus ihren Mundwinkeln versuchte sich etwas hervorzuschieben. Ihr Gesicht zuckte vor mühsam gezügelter Erregung. Duncan betrachtete sie fasziniert. Erst als die Stimme des Mannes ihn einfing, sah er weg. "Wir haben keine Zeit für Spielchen. Niemand weiß, wie viel Zeit uns überhaupt noch bleibt! Sie kann von Stunde zu Stunde, die wir vergeuden, mächtiger werden – was wissen wir schon über sie?" Er stach mit dem Zeigefinger einer Hand in Duncans Richtung und sagte hart: "Du wirst sie für uns aufspüren und töten! Dich wird nichts daran hindern!" Er blickte kurz in die Runde der anderen, die schwiegen, und fuhr, nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand weitere Einwände erheben würde, fort: "Du wirst sie für uns töten und ihren Kadaver ins Freie schleifen, damit alle sehen können, dass niemand sie länger fürchten muss!" "Glaubst du wirklich, dass es so einfach ist?", fragte eine zaghafte Stimme. "Wer redet von einfach? Aber haben wir eine andere Wahl? Wir haben IHN noch nicht erreicht – und bis ER hier sein könnte..." Er verstummte. Er nickte der Frau zu und schlug einen versöhnlicheren Ton an: "Wenn alles vorbei ist, kannst du mit ihm machen, was du willst." Er deutete auf Duncan, als wäre er nur eine Ware in einem Schaufenster. "Dann gehört er dir. Aber ich weiß jetzt schon, dass du seiner schnell überdrüssig sein wirst... Menschen!" Duncan stand immer noch leicht gebeugt unter dem Dach des Transporters und hörte so unbeteiligt zu, als ginge es um einen anderen. Das änderte sich, als sich die Fünf wirklich mit ihm befassten. Sie gaben ihm die Instruktionen, die er benötigte. Und sie übergaben ihm etwas in einem geschlossenen Koffer, den er erst öffnen durfte, als er wieder allein in seinem Vauxhall saß. Pater Lorrimer erwartete ihn voller Ungeduld, als er Minuten später im Hof des Kirchengebäudes parkte. "Hast du alles bekommen, was ich dir aufgeschrieben hatte?" Duncan nickte und gab ihm die feste Papiertüte. Lorrimer warf einen schnellen Kontrollblick hinein. "Und die Rosen?" Duncan lief noch einmal zum Auto zurück und holte den Strauß. "Sie hatten keine Heckenrosen." Lorrimer verzog missmutig das Gesicht, nahm den Strauß aber trotzdem. "Ich will die nächsten Stunden nicht gestört werden", erklärte er in barschem Ton. Duncan zuckte die Achseln. Er wartete, bis der gewichtige und schon wieder schwitzende Pater im Anbau verschwunden war. Dann folgte er ihm. [Zurück zum Buch] |
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