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Blutspur

BLUTSPUR
BLUTSPUR

Adrian Doyle
Roman / Mystery

Bastei

VAMPIRA: Band 6
Heftroman, 64 Seiten

Jul. 2011, 2. Auflage, 1.60 EUR

Es krachte hässlich, als Maud Edwards den Spiegel im Vorraum der Damentoilette zertrümmerte. Dem Scherbenregen entging sie mit einem eleganten Sidestep. Anschließend steckte sie den metallenen Briefbeschwerer in die Außentasche ihres strenggeschnittenen Kleids zurück.
Der Ausdruck auf ihrem Gesicht hatte, wie immer, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, etwas Debiles. Kurz darauf verließ sie den Toilettenraum ohne erkennbare Hast und kehrte zu ihrem Büro zurück.
Es war nicht das erste Mal, dass sie auf diese Weise sieben Jahre Pech heraufbeschwor. Pikanterie erlangte das Ganze lediglich dadurch, dass die brünette Frau eigentlich gar keine Toilette benötigte. Um im täglichen Dienstbetrieb nicht über Gebühr aufzufallen, musste sie jedoch hin und wieder nicht vorhandene Notdurft vortäuschen. Es war nie leicht gewesen, den Anschein zu wahren, und seit der Hausmeister per Aushang am Schwarzen Brett nach dem "Spiegel-Rowdy" fahndete, war es noch schwerer geworden.
Mauds einziges Glück war, dass sich der Hauswart im allgemeinen nicht seine Nächte um die Ohren schlug. Der alte Jeremy war jedoch ein gescheiter Bursche, und der Moment, in dem sie in eine seiner "Fallen" tappen würde, war abzusehen.
Spätestens dann würde sich die Sache mit dem Pech bewahrheiten.
Pech für Jeremy...
Äußerlich wirkte Maud wie eine etwas aus dem Rahmen fallende Frau um die Vierzig. Ihre Augen lagen weit zurückversetzt in den Höhlen. Dies, die fliehende Stirn, ihre Hakennase, ein ausgeprägtes Hohlkreuz und ein paar weitere Details trugen dazu bei, dass Chief Codds Sekretärin einen etwas lädierten Eindruck machte. Unerklärlich eigentlich, dass dennoch Scharen von Männern hinter ihr her waren.
Der Korridor innerhalb des Polizeihauptquartiers war von Neonlicht erhellt. Auf dieser Etage wurde um diese Stunde nirgends mehr gearbeitet. Hinter den meisten Milchglasscheiben war es folglich dunkel. Nur in den tieferliegenden Stockwerken summte das Leben in Wechselschichten. Wirklich zur Ruhe kam der Gesetzesapparat in einer Stadt wie Sydney nie. Auch das Verbrechen machte schließlich keine Pausen.
Als Maud das Vorzimmer betrat, blieb sie verdutzt stehen. Auf ihren Tischen hatte sich nichts verändert, aber auf dem Boden davor lagen einige Dinge verstreut, was sie sofort beunruhigte.
Das lag an der Natur der Gegenstände:
Ein Dienstrevolver.
Ein tragbares Funkgerät.
Eine Stablampe...
Maud bückte sich und hob nach und nach alles auf. Während sie die Dinge auf einen der Tische legte, irrte ihr Blick durch den Raum.
Die Tür zu Codds Büro war geschlossen. Das Summen des Computers auf Mauds Schreibtisch war das einzige hörbare Geräusch innerhalb des etwa vier mal vier Meter großen Raumes.
Sie wollte sich gerade vergewissern, ob Codd noch einmal zurückgekommen war, als das Telefon sie ablenkte. Jemand rief ohne den Umweg über die Zentrale zu ihr durch. Und das, dachte sie, konnte eigentlich nur derjenige sein, den sie gerade noch verdächtigt hatte, zurückgekehrt zu sein.
Sie hob ab.
"Maud?"
"Chef?"
"Al und ich fahren jetzt weiter zur Paddington. Ich werde diese Nacht nicht mehr ins Büro kommen. Sie können auch nach Hause gehen, wenn Sie wollen."
"Danke", sagte Maud. Ihre graugrünen Augen wanderten zu den Utensilien zurück, die sie gerade aufgesammelt hatte.
"Ist noch etwas?", fragte Codd. Sie und er waren vom gleichen Schlag. Kaum einer konnte vor dem anderen etwas verbergen.
"Nichts von Bedeutung", hörte Maud sich sagen. "Es hat Zeit, bis wir uns wiedersehen."
"Bestimmt?"
Maud nickte unbewusst. "Bestimmt."
Codd unterbrach die Verbindung, Maud legte auf, setzte sich auf ihren Stuhl und rollte damit zum Nebentisch, wo der Revolver und die beiden anderen Gegenstände lagen.
Als hätte jemand ziemlich radikal seinen Dienst quittiert, dachte sie.
Dass ihr Chef nicht nur Befürworter seiner Personalpolitik besaß, war ein offenes Geheimnis. Andererseits würde niemand es, wie hier geschehen, wagen, ihm die Insignien seines Jobs quasi vor die Füße zu pfeffern.
Maud nahm den schweren Revolver in eine Hand und drehte ihn sachkundig.
Es war eine Polizeiwaffe. Die eingravierte Nummer auf der Unterseite des Knaufs bestätigte es.
Als sie sich dem Walkie-talkie zuwenden wollte, gefror sie mitten in ihrer Bewegung.
Verantwortlich dafür war ein Geräusch aus dem Nebenzimmer – genauer, aus Codds Büro.
Maud Edwards war absolut angstfrei. Trotz des Umstands, dass ihr hier oben um diese Zeit im Ernstfall wohl niemand rechtzeitig zu Hilfe eilen konnte.
Sie stand auf und trat auf die Tür zu.
Das kurze Geräusch war längst wieder verstummt. Es hatte Ähnlichkeit mit dem harten Husten eines Menschen besessen, der einen Bissen in die falsche Kehle bekommen hatte.
Maud öffnete die Tür.
Ein Grund für ihre Furchtlosigkeit war, dass sie nicht annähernd so wehrlos war, wie sie erscheinen mochte.
Codds Büro war dunkel. Das war es fast immer, selbst wenn der Polizeichef anwesend war. Tagsüber wurde das Licht von Jalousien gedämpft.
Codd war – zumindest nach außen ihn – ein kranker, geplagter Mann. Allergisch gegen "alles und jeden". Auch gegen grelle Helligkeit. Dennoch wurde er auf geradezu wundersame Weise seit vielen Jahren immer wieder neu in seinem Amt bestätigt...
Maud hatte keine Mühe mit der Dunkelheit. Sie entdeckte die Gestalt in den Schatten sofort. Sie drehte ihr den Rücken zu und war damit beschäftigt, in einem von Codds Aktenschränken zu stöbern.
Wer immer es war, er musste bemerkt haben, dass sich die Tür öffnete. Aber er ignorierte es.
"Was tun Sie da?", fragte Maud scharf. Sie machte keine Anstalten, das Licht anzuknipsen. Aus ihrem Vorzimmer fiel Helligkeit in den Raum, jedoch nicht bis zu dem unbefugten Besucher. Maud Edwards warf keinen Schatten in die Lichtinsel auf dem Boden.
Der Mann suchte weiter. Viel mehr, als dass es sich um einen Mann handelte, war noch nicht erkennbar.
"Hören Sie auf, oder ich schlage Alarm!", warnte Maud.
Die Gestalt kam ihr vertraut vor. Dennoch traf es sie wie ein Keulenhieb, als der Mann sich zu ihr umwandte.
"Sie...?"
"Wo ischt Codd?"
Maud rang sekundenlang um ihre Fassung. Erst nach einigem Nachdenken begriff sie, was die hingenuschelte Frage bedeutete.
"Wo-her kommen Sie? Wer hat Ihnen...?"
"Wo ischt Codd?", schnarrte der schiefe Mund, dessen Kiefer unkontrolliert hin und her wackelten.
"Außer Haus", sagte sie und ging auf den Eindringling zu. "Es wird später Abend, bis er wiederkommt."
Auf dem Gesicht des Mannes erschien ein neuer Ausdruck. Mit abgehackten Bewegungen trat auch er ihr entgegen, sodass sie sich nach wenigen Schritten treffen mussten.
"Scholange kann isch nischt warten..."
Maud Edwards hatte längst begriffen, dass die Untensilien, die sie im Vorraum aufgelesen hatte, von dem unangemeldeten Besucher stammten. "Sie waren verschwunden", sagte sie und blieb zwei Meter von ihm entfernt stehen. "Tagelang. Was haben Sie gemacht in dieser Zeit? Wer – wer hat ihnen das angetan?"
Trotz ihrer Nachfrage sprach keinerlei Mitleid aus ihrer Stimme. Emotionslos nahm sie lediglich unübersehbare Fakten zur Kenntnis.
Auch ihr Gegenüber hatte seinen Vorwärtsdrang gestoppt.
Er hob die Hand. Sein gestreckter Finger wies auf Maud. "Blutschauger!", schnarrte er.
Es war längst egal, dass er sie durchschaute. Es war auch egal, welche Hölle ihn nach all den Tagen wieder ausgespien haben mochte. Er war zurück und damit eine unabsehbare Gefahr.
"Was wollen Sie um diese Zeit vom Chef?", fragte Maud kalt.
"Daschelbe wie von dir."
"Und das wäre?"
"Er musch erlöscht werden!"
Maud stemmte höhnisch die Fäuste in die Taille. Der Mann vor ihr war unbewaffnet. Seine zerrissene Kleidung ließ keine Versteckmöglichkeit zu. Die einzige Waffe, die er besessen hatte, lag draußen auf einem der Tische, und sie hätte ihm nicht viel genützt.
"Es war dumm, hierher zurückzukommen, wenn Sie schon wissen, wer Codd ist und wer ich bin..."
Er schien sie nicht zu hören. Mit marionettenhaften Bewegungen überwand er die schmale Kluft zwischen ihnen, und zum erstenmal fiel ihr auf, wie stumpf sein Blick war.
Sie wich nicht aus. Sie hob die Arme, um seinen Kopf zu fassen und es kurz und schmerzlos zu Ende zu bringen. Im selben Moment entwickelte er eine solche Behendheit, dass sie den Bewegungsabläufen kaum folgen konnte. Seine Hände schnellten hoch. Auch er zielte nach ihrem Kopf, aber nicht, wie sie im ersten Moment annahm, um ihr das Genick zu brechen. Er krallte eine Hand in ihr sprödes Haar, mit der anderen umfasste er ihr Kinn.
Sie stöhnte. Ihre Arme fanden nicht den Weg an ihm vorbei. Die Kraft, die er entwickelte, war für einen wie ihn absolut unnatürlich.
"Hören – Sie – auf!" presste sie hervor. Die Erkenntnis, dass es ein folgenschwerer Fehler gewesen war, ihn zu unterschätzen, spülte den letzten klaren Gedanken, den sie dringend gebraucht hätte, hinweg.
Sein Griff wurde noch zwingender. Er zwang ihren Kopf weit in den Nacken und hielt zugleich ihr Kinn felsenfest, sodass ihr Mund weit aufgerissen wurde. Als sie begriff, dass es um ihre Existenz ging, setzte die Metamorphose fast wie von selbst ein. Ihre Eckzähne verwandelten sich in tödliche Waffen, aber sie fanden kein Ziel.
Der Griff ihres Gegners wurde noch unnachgiebiger.
Dann hörte sie aus nächster Nähe wieder jenes Geräusch, das sie in den Raum gelockt hatte.
Dieses... Würgen.
Er ist wahnsinnig, dachte sie, als das missgestaltete Gesicht auf sie zuglitt. Dieser Narr will mich küssen?! Ich werde ihn...
Auch er riss jetzt den Rachen auf.
Es knirschte furchtbar.
Aus Mauds Kehle brach ein Fauchen, das jedem anderen höchste Gefahr signalisiert hätte. Ihre Reißzähne funkelten wie Elfenbein.
Aber wieder kam sie nicht dazu, ihre eigene Stärke zu entfalten. Vielleicht war sie auch zu fasziniert von dem widerwärtigen Akt, der sich genau vor ihren Augen abspielte. Etwas arbeitete sich den Rumpf und Hals des Mannes empor, als wollte es beides sprengen, und in dem Moment, als sich beide Rachen trafen...
... sprang etwas auf Maud über!
Etwas, das sich in ihren Mundraum quetschte und ihre Zunge zermalmte.
Im selben Moment ließ ihr Gegner los.
Sie taumelte rückwärts, und ihre Hände fuhren zur Kehle. Sie versuchte, den Fremdkörper in ihrem Mund wieder auszuspucken.
Es war unmöglich. Das Ding in ihr hätte sie erstickt, wenn Maud Edwards noch ein Mensch gewesen wäre. Es klemmte bereits weit hinten und ließ auch keine Nasenatmung mehr zu.
Maud war so wenig Mensch wie Virgil Codd.
Sie war nur noch eine Kreatur.
Obwohl sie schmerzunempfindlich war, hatte Maud das Gefühl, innerlich zerfetzt zu werden. Das Ding presste sich die viel zu enge Speiseröhre entlang abwärts. Vorbei am Herzen, das schlug, trotzdem es schon lange nicht mehr lebte.
Erst im Magen kam es zur Ruhe.
Sekundenlang geschah nichts.
Maud starrte in die Augen des Mannes, der ihr das Unbeschreibliche angetan hatte.
Da platzte die Frucht...

Andrä Martyna
Andrä Martyna
© http://www.andrae-martyna.de/

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