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Karin Kiwus

Nach dem Leben. Gedichte

Ach, Diana. Nieder mit den Waffen.

Karin Kiwus: Nach dem Leben. Gedichte
Karin Kiwus
Nach dem Leben
Suhrkamp 2006

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Der graue Umschlag mit der schwarzen Titelschrift Nach dem Leben verheißt nichts Gutes. Liest man den Anfang des ersten Gedichts Wir sehen jetzt, wie das Altarbild aufgeklappt wird..., möchte man gleich wieder zuklappen.
Täte man damit Karin Kiwus unrecht? Ihr letzter Lyrikband erschien immerhin vor vierzehn Jahren. Im neuen müsste eigentlich mehr stecken als Trauer und Trübsal. Liest man weiter, so entblättert sich in sechzig Versen die Geschichte einer Offenbarung, die sowohl Denkraum als auch Ruhe zum Durchatmen schafft. Dieses sehr breite Auffächern eines bestimmten Sujets in vielstimmige Kompositionen, oftmals ohne monologische Sprechinstanz, macht den Reiz vieler Werke von Karin Kiwus aus.
Ähnlich dem Genie eines Kindes, das unbedarft erste Farbkleckse aufs Papier schleudert und gleich den richtigen Ton trifft, wird der Leser mit kräftigen Schlagworten wie In aller Herrgottsfrühe oder Lustlos auf dem Hochsitz sofort mit Situation und Stimmung konfrontiert. Das nicht umkehrbare Nacheinander der Dinge, die Veränderung, Flüchtigkeit allen Seins wird im vorliegenden Band reflektiert, aber immer mit dem Fingerzeig, dass nach dem Leben nicht das Nichts steht. Alle auf ihrem Erdenweg in dieses eine womöglich zu lobende Einwanderungsland... heißt es in Lebendigen Todes und an anderer Stelle, wo die Autorin den Tod einer kleinen Schwalbe schildert:

Beklommene Andacht. Ein Begräbnis
im Rondell der jungen Orangenbäume.

Hoch oben im matten Blau
schwirren und lärmen
die anderen nordwärts
in einen Frühling
übermütig
wie sonst.

Keine Grabreden. Gegenwärtiges und vergangenes Leben werden geschickt miteinander verknüpft, die Übergänge sind teils fließend, teils schneidend, das Gestern prägt das Heute und lebt in der Erinnerung fort. Dieses Grundmotiv gestaltet Karin Kiwus in unterschiedlichster Art und Weise. Die Bandbreite reicht vom zarten Liebesgedicht bis hin zum missglückten Mordanschlag einer Frau auf einen Kerl, der sie mit Handschellen, Peitsche undsoweiter demütigte. Mal als dokumentarisches Zeitbild, mal in surrealistischen Traumbildern verfasst, mal kurz und knapp bekannt gegeben. Die Sentenzen zum Schluss haben bisweilen ironisch-anekdotischen Anstrich.
Verse wie wenn ich noch einen Einlauf bekomme, werde ich verrückt sind unheimlich kühl und deutlich, treffen den Leser nicht nur ins Gesäß. Aber auch Feierliches, Sakrales findet sich, so dass eine strikte Einordnung in profan und pontifikal nicht gelingen will. Religiosität und Glaube schwingen in den Texten mit, oft aber auch Nüchternheit und Komik, manchmal beides zugleich. So lautet die erste Strophe von Halali:

Lustlos auf dem Hochsitz
herumhängen in Erwartung
eines schweren geheimen Altbocks
eben vors Glas oder gleich vors Korn.


Die letzte hingegen:

Ach, freie Natur vormals und freudiges
Treiben, ach, versiegender Elan, zögerliche
Fortüne und beständig abnehmender Mond.
Ach Diana. Nieder mit den Waffen.

Lakonisches Beschreiben geht hier in feierliches Geseufze über, das sich bis zum Anruf der altitalischen Fruchtbarkeitsgöttin Diana steigert. Im Mittelteil tritt ein gealterter Hirsch auf, geklagt wird unmittelbar vor dem Schuss.
Eines der Werke trägt den bezeichnenden Titel Roman, es kommen darin sowohl stimmige Impressionen, als auch Dialoge und Geschichten vor. Am Ende entpuppt sich der Text als Suche nach dem verlorenen Vater. So entstehen Knotenpunkte der Künste, selbst gesetzte Grenzen werden mühelos überschritten. Wer nicht in der Nachkriegszeit seine frühe Kindheit erlebt hat, dem könnten die auftretende Bezüge zunächst Probleme bereiten. Macht aber nichts. Denn innehalten soll der Leser, sich vergewissern, durchatmen.
Wer das nicht will, darf gerne zuklappen. Alle anderen täten nicht der Autorin unrecht, sondern sich selbst. Denn mehr als Trauer und Trübsal quillt aus diesem bleichen Büchlein. Gedichte voll Farbe, Form und Fiktionalem, die einmal mehr beweisen, dass Karin Kiwus auch zu jenen Menschen gehört, welche so treffend von ihr umschrieben werden, den Virtuosen aller erdenklichen Künste im Hoheitsgebiet der Farben gut-wahr-schön.

Karin Kiwus wurde 1942 in Berlin geboren und lebt und schreibt in Berlin. Sie studierte Germanistik und Politische Wissenschaften an der FU und war Verlagslektorin in Frankfurt a. M. und Hamburg, Dozentin in Austin/Texas sowie Sekretär der Sektion Literatur an der Akademie der Künste Berlin.
Karin Kiwus | Suhrkamp

Moritz Borkowski      01.05.2006        Print

Moritz Borkowski