BERLIN (BLK) – Joe Boyd erinnert sich in „White Bicycles“ an die Rockmusik der Sechziger. In „Der Andere nebenan“ beschreiben 21 Autoren ihre Heimat, den Balkan. Außerdem in der Presseschau: Alberto Moravia, Jakob von Hoddis und der Sachcomic „Olaf G.“.
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Der amerikanische Journalist Michael Walker erzähle in „Laurel Canyon“ vom „Sündenfall der Hippies“, anhand eines geographischen Rahmens, schreibt die „FAZ“. Der Canyon sei das „kulturelle Epizentrum“ des „Hippietums“ gewesen. Walker vermöge jedoch nicht, diesen Ort auf eine Weise abzubilden, die tatsächlich packe, schreibt die „FAZ“. Was im Buch aus alten Quellen und neuen Interviews zusammengetragen werde, sei „sattsam bekannt“. Leser, die mit der kalifornischen Popmusik der späten Sechziger nur minimal vertraut seien, würden die „bisweilen spannungsarm erzählten Anekdoten bald langweilen“, kritisiert die „FAZ“.
Ein Lexikon historischer und literarischer Gestalten des Mittelalters haben die beiden Würzburger Germanisten Horst Brunner und Mathias Herweg herausgegeben, informiert die „FAZ“. Das Vorwort bezeuge, dass die Herausgeber sich über die Auswahl „heftig den Kopf zerbrochen“ hätten. Am Ende hätten sie sich aber zu viele Gedanken gemacht, schreibt die „FAZ“. Alle Artikel seien solide gearbeitet, jedoch von unterschiedlicher Qualität. Das gesamte Buch sei aus einem germanistischen Fachhorizont entworfen worden und hätte somit seine „Chance vertan“, meint der Rezensent.
Um einige Stücke erweitert, hat Regina Nörtemann nun „Dichtungen und Briefe“ des Berliner Expressionisten Jakob von Hoddis (1887-1942) neu herausgegeben. Die Ausgabe sei eine „vorzügliche Edition“, lobt die „FAZ“. Ein obszöner Witz gebe den Gedichten die Würze, meint der Rezensent. Ebenso seien sie von einer „exaltierten Lautgestalt“. Der Autor wäre nach kurzer schöpferischer Phase in den Stumpfsinn und die Schwerhörigkeit verdämmert und hätte ab diesem Zeitpunkt in einer Heilanstalt leben müssen, bevor er 1942 in Sabibor ermordet wurde, informiert die „FAZ“.
Die ehemalige Zahnärztin und „Bild“-Kolumnistin Katja Kessler lege mit „Herztöne“ ihren ersten richtigen Roman vor, schreibt die „FAZ“. Sie habe sich dabei „keinen Maulkorb angelegt“. Die Autorin erzähle mit einer „bitterbösen Zunge“ die eher „peinliche Geschichte “ einer „Aschenbrödel-Journalistin“, die sich verliebe. In geringen Dosen lasse sich aber über die „aufgekratzte Mischung aus den Standardreferenzen der Frauenmagazine durchaus schmunzeln“, meint der Rezensent.
In dem Sachcomic „Olaf G“, hätten sich die beiden Norweger Zeichner Lars Fiske und Steffen Kverneland mit dem „berühmten Karikaturisten“ Olaf Gulbransson (1873-1958) beschäftigt. Der Band sei in seinen Zeichnungen großformatig und opulent. Gegenstand des Buches sei eine Reise der beiden Autoren zu den beiden wichtigsten Wirkungsorten Gulbranssons: München und Tegernsee. Die Erlebnisse der einwöchigen Deutschlandreise seien allerdings hanebüchen erzählt, meint der Rezensent. Auch über Gulbranssons Strich werde viel geredet, ohne dass viel darüber zu erfahren wäre, schreibt die „FAZ“.
Eine Einführung in die russische Orthodoxie habe Thomas Bremer mit seinem Buch „Kreuz und Kreml“ vorgelegt, schreibt die „FAZ“. Ohne Kenntnis der orthodoxen Kirche ließe sich Russland nicht verstehen, meint der Rezensent. Bremer durchmesse auf knappem Raum mehr als tausend Jahre von der Christianisierung bis zu Putin. Das Buch zeige des Weiteren auf, dass „die traditionelle Staatsnähe der Kirche die Herausbildung einer loyalen Haltung zum Sowjetstaat begünstigte“. Der Rezensent empfiehlt Bremers Buch „unbedingt“ als „erste Information zum Thema“.
„Süddeutsche Zeitung“
Joe Boyd, Musikproduzent der sechziger Jahre erinnere sich in „White Bicycles“ an die „Geburtswehen der Rockmusik“, schreibt die „SZ“. Der Autor verfolge in seinem „blitzgescheiten“ Buch den „langen Weg vom Idealismus zum Hedonismus“ der damaligen Jugendkultur. Das zentrale Thema der Erinnerungen sei das „ewige Ringen von Subkultur und Mainstream“. Dabei überblende Boyd immer wieder Musik und Politik und spüre so dem Geist der Epoche nach, der er „grenzenlosen Optimismus“ attestiere.
„Die literarische Welt des Mittelalters“, ein Buch der Kasseler Professorin Claudia Brinker-von der Heyde, enthalte einen „reichen und vielfältigen“ Stoff, meint die „SZ“. Darin beschreibe von der Heyde „das Buch im deutschen Mittelalter, von den Anfängen bis zur Erfindung des Buchdrucks“. Der Rezensent befindet den Titel des Buches allerdings „eine Nummer zu groß“. Der im Buch untersuchte deutschsprachige Literaturbetrieb des Mittelalters sei dem Lateinischen mengenmäßig weit unterlegen gewesen. Dennoch sei es ein anregendes, nützliches und schönes Buch.
In „Die österreichische Oberfläche“ behandele Andrea Maria Dusl „einzelne Aspekte der österreichischen Kultur, Geschichte und Lebensart“, kommentiert die „SZ“. Die Wiener Kolumnistin und Zeichnerin vertrete in ihrem Buch die These, Österreich bestehe nur aus Oberfläche hinter der nichts vorhanden sei. Sie beschreibe diese „Oberflächenphänomene“ oft aus ihrem persönlichen Blickwinkel heraus. Viele dieser „Spezifika Österreichs“ träfen jedoch auch auf andere Länder zu, meint der Rezensent. Andrea Maria Dusl hätte ihr Werk mit „hübschen Vignetten geschmückt“, schreibt die „SZ“.
Erstmals auf Deutsch erschienen sei nun Alberto Moravias „Cosma und die Briganten“. Man könne im besten Sinne, schreibt die „SZ“, das Werk als eine „Novelle in alter Manier“ nennen. Moravia (1907-1990) greife darin „weit hinter sich zurück auf die Tradition Boccaccios“. In „gediegenem“ Tonfall beschreibe Moravia das „wundersame Abenteuer“ seines Helden Cosma, ein Abenteuer, welches „hinter jeder Weggabelung mit einer glücklichen Wendung“ aufwarte, meint der Rezensent.
Richard Swartz, 30 Jahre lang Osteuropakorrespondent, habe nun eine Anthologie mit Texten über diese Region herausgegeben. In „Der Andere nebenan“ kämen 21 Autoren zu Wort, die „zur Lösung des Rätsels Balkan beitragen sollen“, schreibt die „SZ“. Es sei eine lesenswerte, „hin und wieder in der Darstellung von Brutalität erschreckende“ Anthologie. Sie werfe, schreibt der Rezensent, „erhellende Schlaglichter“ auf die Region des Balkans. In allen Texten flackere eine „geradezu spürbare Unruhe“. Als von „herausragender Qualität“ lobt die „SZ“ die autobiographische Familiengeschichte des Autors Miljenko Jergovic. (wag/wip)
Literaturangaben:
BOYD, JOE: White Bicycles. Musik in den Sechziger Jahren. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Verlag Antje Kunstmann, München 2007. 148 S., 24,90 €.
BREMER, THOMAS: Kreuz und Kreml. Kleine Geschichte der orthodoxen Kirche in Russland. Herder Verlag, Freiburg 2007. 256 S., 19,90 €.
BRINKER-VON DER HEYDE, CLAUDIA: Die literarische Welt des Mittelalters. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2007. 191 S., 29,90 €.
BRUNNER, HORST / HERWEG, MATHIAS (Hrsg.): Gestalten des Mittelalters. Ein Lexikon historischer und literarischer Gestalten. Verlag Alfred Kröner, Stuttgart 2007. 504 S., 73 Abb., 26 €.
DUSL, ANDREA-MARIA: Die österreichische Oberfläche. Österreich findet zwischen Innen und Außen statt. Residenz Verlag, Wien 2007. 240 S., 19,90 €.
FISKE, LARS / KVERNELAND, STEFFEN: Olaf G. Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger. Avant Verlag, Berlin 2007. 184 S., 24,95 €.
KESSLER KATJA: Herztöne. Roman. Diana Verlag, München 2007. 414 S., 19,95 €.
MORAVIA, ALBERTO: Cosma und die Briganten. Aus dem Italienischen von Marianne Schneider. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2007. 96 S., 13,90 €.
SWARTZ, RICHARD (Hrsg.): Der Andere nebenan. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 342 S., 28 €.
VON HODDIS, JAKOB: Dichtungen und Briefe. Herausgegeben von Regina Nörtemann. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 376 S., 29 €.
WALKER, MICHAEL: Laurel Canyon. Im legendären Tal des Rock ’n’ Roll. Aus dem Englischen von Bernhard Schmid. Verlag Rogner und Bernhard, Berlin 2007. 352 S., 22,90 €.
Presseschau vom 3. Januar
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