HONIGMANN, BARBARA: Bilder von A. Hanser Verlag, München 2011. 144 S. 16,90 €. ISBN: 978-3446237421
Von Günter Nawe
Barbara Honigmann ist vieles in einer Person. Sie ist eine hochgeachtete Autorin, deren Bücher zum Besten gehören, was die deutsche Gegenwartsliteratur zu bieten hat. Sie hat erfolgreich als Regisseurin und Dramaturgin gearbeitet. Sie ist Jüdin. Ihre Eltern mussten als deutsche Juden vor Hitler fliehen – und kamen nach dem Krieg als Kommunisten zurück: in die DDR.
1984 verließ Barbara Honigmann die DDR, „konvertierte“ zum Judentum. Am Ende eines langen, teilweise schmerzhaften Weges resümiert sie: „Hier bin ich gelandet vom dreifachen Todessprung ohne Netz: vom Osten in den Westen, von Deutschland nach Frankreich und aus der Assimilation mitten in das Thora-Judentum hinein“.
Über diesen „Todesprung“ und den Weg dahin schreibt Barbara Honigmann in ihrem Buch „Bilder von A.“ – in einem aufregenden autobiografischen Bericht, einem „Liebesroman“ und einem Stück weit auch einer Theatergeschichte. Und über eine Auseinandersetzung mit ihrem Judentum als eine Art Suche nach der Identität und eine Selbstfindung im Dialog. Letzteres ist nicht neu, handeln doch alle Bücher der Barbara Honigmann von diesen existentiellen Themen, doch sind sie immer wieder spannend und interessant.
Neu ist die – wenn man so will – Verdichtung der komplexen Thematik in diesem einen Buch, das neben allen Fakten auch eine fiktive, eine Art Erzählung darstellt. Und in deren Mittelpunkt steht A., hinter dem sich der bekannte Theaterregisseur Adolf Dresen verbirgt, nein: offenbart wird. Es sind, um auf den Titel des Buches zu rekurrieren, sehr eindringliche Bilder, und nicht nur von A., die uns Barbara Honigmann zeigt.
Zwischen der Autorin und Ich-Erzählerin Barbara Honigmann und dem jungen A. entspinnt sich eine anfangs zauberhafte, später fast dramatische Liebesgeschichte.
Getroffen haben sie sich sozusagen auf einem Fahrrad. „Damals, in Berlin, im Osten… fuhr A. immer mit dem Fahrrad durch die Stadt…dann setzte ich mich vorne quer auf die Fahrradstange … Das war verboten…“. Sie waren auf dem Wege zu einer Kleist-Inszenierung. Daraus erwuchs eine intellektuelle Freundschaft und dann eine Liebe mit allen Höhen und Tiefen und mit einem erschreckenden Schluss. Eine Affäre also und mehr als das! Sie gaben sich ein Motto: „stärker, größer, schöner, leidenschaftlicher, dunkler“. Ihr Leben war alles das. Und war es auch nicht. „A. ist jetzt tot“, steht am Ende vieler Kapitel in diesem Buch. Adolf Dresen ist 2001 gestorben.
Wunderbar leicht, lakonisch und manchmal auch ein wenig melancholisch, beschreibt Barbara Honigmann den künstlerischen und privaten Lebensweg, den sie und A. zusammen und dann getrennt gegangen sind. Das macht das Buch auch zu einer großen literarischen Leistung. Die meisten Bücher der Honigmann haben einen persönlichen, einen autobiografischen Hintergrund. Dieses scheint ihr persönlichstes Buch zu sein – und ist vielleicht deshalb so überzeugend.
Am Ende verstanden sie sich nicht mehr. Vor allem A. könnte den Schritt in das „Thora-Judentum“ nicht nachvollziehen. Die Auseinandersetzungen darüber gehören zum Eindringlichsten, das dieses Buch zu bieten hat, weil sie einen deutschen Nerv treffen: Judentum und Antisemitismus. Auf tragische Weise blieben Barbara Honigmann und Adolf Dresen dennoch auch über A.’s Tod hinaus verbunden.
So ist das ganze Buch ein Stück weit deutsch-deutsche Geschichte jüngster Zeit. Ost und West, Diktatur und Freiheit, Kunst und das Verständnis davon hüben und drüben, Antisemitismus und Judentum, Kapitalismus oder Sozialismus – wir schauen wie in einen Spiegel.
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