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Frauen sind anders

Ruth Klüger liefert erneut stichhaltige Nachweise

© Die Berliner Literaturkritik, 19.10.10

WIEN (BLK) – Im Juli 2010 erschien im Wiener Zsolnay Verlag der Essayband „Was Frauen schreiben“ von Ruth Klüger. 

Klappentext: „Frauen lesen anders“ - das behauptete die große Schriftstellerin Ruth Klüger in ihrem berühmten Buch. Nun geht sie der Frage nach, ob Frauen auch anders schreiben. Werfen sie einen "Blick aufs Leben durch anders geschliffene Gläser"? Antwort sucht sie in Werken von so unterschiedlichen Autorinnen wie Herta Müller und Nadine Gordimer, Erika Mann und J. K. Rowling, Slavenka Drakulic, Doris Dörrie, Margaret Atwood und vielen anderen. Ruth Klügers Kanon: Eine Literaturgeschichte aus Sicht der Frau.

Ruth Klüger kam 1931 in Wien zur Welt. Als Jüdin überlebte sie wie durch ein Wunder mehrere KZ-Aufenthalte und emigrierte 1947 in die USA. Dort lehrte Ruth Klüger Germanistik an der University of Virginia, in Princeton sowie an der University of California in Irvine. Heute lebt die Schriftstelerin in Irvine/Kalifornien und Göttingen. Zahlreiche Auszeichnungen wie zuletzt der Thomas-Mann-Preis der Stadt Lübeck wurden ihr zuteil. Am bekanntesten sind ihre autobiographischen Werke „weiter leben“ (Zsolnay 1992) und „unterwegs verloren“ (Zsolnay 2008). (ku)


Leseprobe:

©Zsolnay Verlag©



Vorwort

Die Lust zu fabulieren habe er von seinem Mütterchen geerbt, schrieb Goethe. Es ist bezeichnend, dass wir diesen Tribut lesen, ohne gleich zu fragen: Heißt das, die Frau Rat Goethe hat Geschichten und Gedichte verfasst? Die Antwort ist wohl: Wahrscheinlich das eine oder andere (denn etwas muss Goethe mit seinem Vers ja gemeint haben), sie hat den Kindern vielleicht Selbstverfasstes erzählt oder vorgesungen, wie Mütter es oft taten und tun, aber abgesehen von Briefen haben wir nichts Aufgeschriebenes oder gar Veröffentlichtes von ihr und erwarten es auch gar nicht. Denn die Feminisierung der Literatur steckte zu ihrer Zeit noch in den Anfängen. 
  Viele Menschen haben als Kinder gedichtet und Geschichten erfunden, zum Aufsagen, zum Erzählen, zum Aufschreiben. Es kann sogar sein, dass mehr Mädchen als Jungen sich damit abgeben, und zwar bis ins Erwachsenenalter. Mädchen sind ja im Durchschnitt etwas sprachbegabter als ihre Brüder. Doch dank der passiven Rolle, die man den Frauen jahrhundertelang, unter dem Vorwand, es sei das ihnen Natürliche, aufgezwängt hat, sind noch immer mehr Autoren männlichen und – paradoxerweise – mehr Leser weiblichen Geschlechts. 
  Frauen sind die größte Minderheit in der Leserlandschaft, eine Randgruppe, die eigentlich die Mehrheit ist, eine Interessen- und Lesergemeinschaft, deren Eigenständigkeit man kaum mehr bestreiten kann. Als Leserinnen und Konsumenten von sowohl gehobener wie populärer Literatur war schon lange mit ihnen zu rechnen, bevor sie als ernst zu nehmende 8 Autorinnen massiv in Erscheinung traten und auch den männlich bestimmten literarischen Kanon in Frage stellten. 
  Die meisten der vorliegenden Besprechungen sind in meiner monatlichen Kolumne „Bücher von Frauen“, eine Erfindung von Rachel Salamander, die Herausgeberin der Literarischen Welt, erschienen. Ich hatte in den vorhergehenden Jahren viel für andere Zeitungen rezensiert und hatte es satt, ich mit Büchern abzuquälen, dir mir nicht gefielen und die ich, wenn ich mit den Lesern ehrlich umgehen wollte, verreißen musste – zum Ärger der Autoren und ihrer Verleger. Für die Kolumne in der Literarischen Welt konnte ich mir aussuchen, welches Buch ich unter die Lupe nehmen wollte, ich musste nur rezensieren, was ich mit gutem Gewissen den Leserinnen empfehlen konnte. Solang es von einer Frau geschrieben war. (Na ja, eine Ausnahme hat es gegeben. Sie werden sie schon selbst finden, und den Grund dafür!) 
  Meine Auswahl ist international, die rezensierten Bücher kommen aus den drei deutschsprachigen Ländern, es gibt einen Krimi aus Israel, eine Detektivin aus Chicago, England im Zweiten Weltkrieg, Irland, Kanada, Frankreich, Mutter- Tochter-Probleme aus Italien, Südafrika nach der Apartheid, Iran, Tschechien, die Niederlande, Russland, amerikanische Touristen in China und Burma, eine Türkin in Rio, eine Liebesgeschichte aus Japan, Bücher von drei Nobelpreisträgerin nen, ein paar vergessene Autorinnen und einige Anfängerinnen. Einige Biographien berühmter Frauen sind auch dabei: die Günderrode, Paula Modersohn- Becker, Frida Kahlo. 
  Über die Lesegewohnheiten eines breiten Publikums lassen sich Verallgemeinerungen, die mehr sind als Vermutungen, anstellen. Ich habe vor Jahren in einem Essay die Meinung vertreten, dass Frauen „anders“ lesen als Männer. Diese Behauptung wird seither öfters zitiert und variiert, um zu verdeutlichen, dass Frauen alles Mögliche anders tun als Männer, zum Beispiel schreiben. Aber kann man aus einem anonymen Text ablesen, ob er von einem Mann oder einer Frau verfasst worden ist? Man kann es nicht. Autoren sind einmalige Individuen, und alles, was sie erlebt und gedacht haben, mag ihre jeweils einmaligen Schöpfungen beeinflussen, natürlich auch ihr Geschlecht, aber eben nicht nur das. Man kann über ein Buch mutmaßen, ob es eher ein weibliches oder ein männliches Publikum ansprechen wird. Doch man kann werkimmanent nicht feststellen, ob eine Abhandlung, ein Roman oder ein Gedicht von einem Mann oder einer Frau geschrieben wurde. Patricia Highsmith zum Beispiel, die berühmte Erfinderin des Verbrechers Tom Ripley, hat sich für „gender problems“ nicht interessiert und hielt männliche Figuren für bessere Romanhelden, weil Männer das aktivere Geschlecht seien. (Womit sie recht hatte, zumindest damals.) Ähnliches lässt sich über die Bücher der philosophisch ausgebildeten Iris Murdoch sagen, von denen zwei hier besprochen sind. Herta Müllers „Atemschaukel“ handelt von einem Gefangenenlager für beide Geschlechter, und der Protagonist ist männlich und fußt auf den Erfahrungen des Dichters Oskar Pastior. Mit männlich und weiblich ist hier nichts anzufangen, jedenfalls nicht als Voraussetzung. 
  Warum dann überhaupt eine Zusammenstellung von Büchern aus weiblicher Feder, bzw. Computer? Erstens, weil Auto rinnen noch immer unterschätzt sind. Bei jeder Nobelpreisverleihung an eine Autorin ist das Erstaunen groß, gemischt mit spürbarer Entrüstung, als ob den Männern etwas entrissen werde, das ihnen von Rechts wegen gehört. Das Vorurteil gegen das weibliche Gehirn hat zwar stark abgenommen, aber verschwunden ist es nicht. Schon darum lohnt es sich, einen Scheinwerfer auf die Bücher von Autorinnen zu richten. Zweitens ergibt eine Zusammenstellung einer größeren Anzahl solcher Bücher dann doch Zusammenhänge. Die Behandlung von Frauen ist respektvoller, die Einsichten in ihr Intimleben überzeugender, Frauen sind seltener Nebenpersonen, und wenn, dann sind sie sorg- und vielfältig entwickelt. Drittens sind Frauen zwar heutzutage einigermaßen gut integriert im öffentlichen Leben, und Integration ist ja, was man sich von Minderheiten so oft wünscht; gleichzeitig haben sie, wie andere Minoritäten, besondere Erkenntnisse beizusteuern, die Männern nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehen. Dieses Besondere herauszustreichen war die Absicht meiner Auswahl und Kommentare. Sie mussten im Rahmen der Kolumne sinnvoll sein. Und doch war ich selbst erstaunt, beim Wieder- und Hintereinanderlesen dieser Kritiken, über den Einfallsreichtum, das Engagement, die Originalität der Werke, die sie behandeln. Im Aggregat bewirken sie eben doch einen Blick aufs Leben durch anders geschliffene Gläser.

©Zsolnay Verlag©


Literaturangabe:
KLÜGER, RUTH: Was Frauen schreiben. Zsolnay Verlag, Wien 2010. 261 S., 19,90 €.

Weblink:
Zsolnay Verlag


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