BERLIN (BLK) – Am 10. April fand die diesjährige Präsentation der Stipendiaten der Autorenwerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin (LCB) im Literarischen Salon der Allianz statt. Der LCB-Mitarbeiter Thorsten Dönges führte durch den Abend und leitete in die einzelnen Texte ein. In diesem Rahmen stellten alle acht Werkstatt-Teilnehmer, die aus mehr als 300 Bewerbern ausgewählt worden waren, ihre Texte auszugsweise in 10-minütigen Lesungen vor. Unter der Anleitung der beiden Schriftsteller Katja Lange-Müller (geb. 1951; „Böse Schafe“ 2007) und Burkhard Spinnen (geb. 1956; „Mehrkampf“ 2007) hatten die Stipendiaten an vier Wochenenden im Herbst Meinungen zu ihren einzelnen Projekten austauschen können. Die Prosawerkstatt des Jahres 2007 war bereits die 10. ihrer Art. Ihre Tradition geht auf die Werkstatt „Prosa schreiben“ aus den 1960er Jahren zurück.
Das erste Projekt „Rumgehen“ des in Berlin lebenden freien Autors Albrecht Selge (geb. 1974) erzählt von dem Protagonisten August, dessen Leben aus der täglichen Arbeit in einem Shoppingcenter und dem Unternehmen nächtlicher Streifzüge besteht. Der innere Drang, immer weiter zu gehen, zeichnet August aus. Der Textauszug handelt von Augusts Ankunft im Shoppingcenter, das der Protagonist nüchtern und detailliert beschreibt – jedoch nicht ohne humoristische und zum Teil sogar groteske Ansätze. Die groteske Szenerie erreicht ihren Höhepunkt, als August die Haut eines Menschen mit einer Einkaufstüte vergleicht.
Nach diesem gelungenen Einstieg ging es mit dem Text „Nachbarn“ von Madeleine Prahs (geb. 1980) weiter. Die in Leipzig und am Ammersee lebende Werkstatt-Teilnehmerin befasst sich mit den Auswirkungen von Geschichte auf einzelne Lebensschicksale. So schildert sie den Alltag einfacher Leute vor und nach der Wende. In ihrem Textauszug erzählt sie die Geschichte einer Frau, die zu einer alten Liebe in den Westen reisen will, und ihrem Freund. Aus Angst, sie zu verlieren, möchte ihr Freund jedoch nichts von einer Wiedervereinigung wissen. Auch aus der Sicht der kleinen Tochter wird berichtet: Mit einer Dose Cola lässt sie sich vom Westen beeindrucken.
Es folgte der Beitrag „Falscher Frühling“ des in Essen lebenden Trägers des Literaturförderpreises Ruhrgebiet Sascha Reh (geb. 1974). Seine Hauptfigur ist Lothar Lohmann, ein abgehalfterter Schauspieler, der sich nunmehr schon in der „C-Liga“ befindet und sich auf den Weg zu einer Talkshow begibt. Der Protagonist bringt das Publikum des gut gefüllten Literarischen Salons zum Lachen. Das mag vielleicht an seinem Benehmen, an seinem zum Teil jargonhaften und unpassenden Ausdrücken liegen, jedoch sind diese ja auch Verdienst des Autors.
Der in Finnland lebende Übersetzer und Autor Stefan Moster (geb. 1964) schildert in „Die patagonische Therapie“ den Mikrokosmos eines Kreuzfahrtschiffes. Sein Textauszug enthält die atmosphärische Beschreibung eines Landausflugs und die bewegende Begegnung zweier Frauen mit einem Wal. Moster schloss sich der in Berlin als Sekretär arbeitende Steffen Friede (geb. 1964) an. Sein Text mit dem Namen „(voc)“ ist durchsetzt mit Songtexten einer Sängerin, die der Protagonist zutiefst verehrt. So dass die Frage aufgeworfen wird, ob sie ihm mit ihren Songs aus der Krise helfen kann.
Patrick Findeis (geb. 1975), in Berlin lebender Absolvent des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig, begibt sich in seinem Roman „Kein schöner Land“ in die süddeutsche Provinz, zu der er auch einen autobiografischen Bezug hat. Findeis befasst sich mit den Leuten die in dieser Gegend wohnen und erzählt aus der Sicht eines Mannes und seiner Mutter. Diese arbeitet hinter dem Tresen ihrer Wirtschaft, hat Mann und auch den Sohn verloren. Der starb an einer Überdosis. Der Autor schildert in dem von ihm gelesenen Auszug auf sehr authentische und eindrucksvolle Art den Alltag dieser Frau, ihre Arbeit, ihren Umgang mit der Trauer. Aufgrund dieser lebensnahen Schilderung des Alltags einfacher Leute kann man diesen Text auch als ein Beispiel des „Neuen deutschen Realismus“ bezeichnen.
Maria Cecilia Barbetta (geb. 1972) lebt als freie Autorin in Berlin und stellte ihren Roman „Änderungsschneiderei LOS MILAGROS“ vor, der im Juli erscheinen wird. Dieser spielt in ihrer Geburtsstadt Buenos Aires und schildert die Träume der Frauen dort. Mit der Durchdringung des Alltags durch das Wunderbare reiht sich ihr Text in die südamerikanische Romantradition ein. Der lebendige Textauszug wurde durch die spannende Leseweise der Autorin getragen, die diesen auf Deutsch verfasst hatte. Den Text in einer Fremdsprache zu schreiben, habe ihr dabei geholfen, zugleich Distanz und Nähe zu ihrem Werk aufzubauen, erzählte Barbetta dem Moderator.
Das Ende des Abends leitete die in München lebende Studentin Janine Adomeit (geb. 1983) ein. Die Arbeit der jüngsten Teilnehmerin „Unvorhersehbarkeiten“ handelt von einem Schriftsteller, der sein Leben in der dritten Person aufschreibt. Ihr Beitrag ist also Literatur über das Schreiben. Auf die Idee dazu kam Adomeit durch die Frage, wie Figuren über ihren Schöpfer denken mögen. Und so erörtert die eigene Romanfigur Leben und Laster ihres Schöpfers auf schonungslose Art und Weise. Nach diesem letzten Beitrag ging ein Abend zu Ende, der dem Publikum Einblicke in die facettenreichen Werke der Stipendiaten der Autorenwerkstatt des LCB und der neuen deutschen Literatur gab.
Von Carolin Beutel
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