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Schöne Geschichten eines Unermüdlichen

Andrea Camilleris Sammelband „Der Hirtenkönig“

© Die Berliner Literaturkritik, 15.08.08

 

Der sizilianische Schriftsteller Andrea Camilleri ist ein Phänomen: 1924 in Porto Empedocle bei Agrigent geboren, hat er einen großen Teil seines Lebens als Lehrer an einer Schauspielschule und als Fernseh- und Theaterregisseur verbracht, ehe er Bücher zu schreiben begann. Inzwischen sind es dreizehn Kriminalromane und drei Bände mit Kurzgeschichten, deren Held der Kommissar Montalbano ist (viele davon wurden auch fürs Fernsehen aufbereitet), sowie vierzehn „historische“ Romane allein bei seinem Hausverlag Sellerio, dazu noch ein halbes Dutzend Bücher in anderen Verlagen. Porto Empedocle hat dem Ortsnamen ganz offiziell „Vigata“ hinzugefügt, zu Ehren seines berühmtesten, wenn schon fiktiven Bürgers Montalbano. Denn Vigata heißt das Städtchen in den Romanen! Jeder neue Camilleri gerät in Italien sofort auf die Beststeller-Liste, und das obwohl dieser Autor seit Jahren alle seine Bücher in einer Art Kunst-Sizilianisch schreibt, einer Mischung aus Hochsprache und Dialekt, die auch Italiener erst „lernen“ müssen und die man im Deutschen (die meisten seiner Romane und Erzählungen sind in den Verlagen Wagenbach, Piper und Lübbe übersetzt erschienen) leider nicht „retten“ kann. Das ist schade, denn genau in dieser seiner Sprache ist der literarische Anspruch dieser Bücher aufgehoben. Camilleri ist nicht einfach ein beliebiger Unterhaltungsschriftsteller, so unterhaltsam seine Bücher auch sind, sondern ein Autor von Rang und ein Chronist italienischer und vor allem sizilianischer Befindlichkeiten wie vor ihm so nur Leonardo Sciascia (1921-1989).

Natürlich spielt darin neben den historisch gewachsenen Eigenarten des sizilianischen Lebens und Denkens auch die Mafia eine Rolle, aber es ist eher die „alte“ mit ihrem Ehrbegriff und ihren Riten, ihren vorhersehbaren Verbrechen: Schutzgelderpressung, Bandenkrieg, Prostitution, auch Drogenhandel – eine in sich geschlossene Welt, die besser zu bekämpfen gewesen wäre, hätte sie nicht alleweil die Protektion der jeweils Mächtigen genossen. Die Chefs der „neuen“ verbergen sich nicht mehr in abgelegenen, einsamen Höfen, wie die über Jahrzehnte untergetauchten, schließlich doch gefassten Bosse Riina und Provenzano, sondern domizilieren in feinen Büros in Mailand, Rom oder Frankfurt und erwirtschaften zusammen mit der ’Ndrangheta in Kalabrien, der Camorra in Kampanien und der Santa Corono Unita in Apulien einen beängstigend großen Anteil am Sozialprodukt des Landes – immer noch von den Regierenden (vor allem von der Regierung Berlusconi) gedeckt. Diese neue Mafia ist für den alten Mann aus Vigata eine ziemlich fremde Welt, mit der Hochfinanz kommt er nicht klar, oder nur, indem er sich mit wütenden und verzweifelten Zeitungsartikeln einmischt, die sich vor allem gegen den marktschreierischen Regierungschef richten, den die Italiener nun schon zum dritten Mal gewählt haben.

Halten wir uns also an den Erzähler. In einem kleinen Bändchen hat Klaus Wagenbach unter dem Sammeltitel „Der Hirtenkönig“ Camilleris „schönste Geschichten aus Sizilien“ gesammelt – heitere Anekdoten, komische Intermezzi, eine phantastische Paraphrase auf Platons Begegnung mit dem Tyrannen von Syrakus und eine kurze, aber tief berührende Geschichte von zwei alten Schauspielern, die für ihren Tod „üben“. Camilleri hat Humor und er weiß solche Geschichten wunderbar zu pointieren. Sie sind ein reines Lesevergnügen und ein wunderbarer Einstieg in die Welt dieses Autors und seines geliebten Sizilien. Sie haben ein hohes Suchtpotential, verlangen danach, mehr vom Kommissar Montalbano zu lesen, davon, wie Bürger von Vigata im 19. Jahrhundert ein eigenes Theater bauten oder wie schwer es damals war, den Behörden einen Telefonanschluss abzutrotzen. Derlei ist übrigens auch eine ideale Lektüre für alle, die zwischen Rimini und Taormina Ferien machen, und nicht nur im Meer schwimmen und Pizza essen wollen.

Literaturangaben:
CAMILLERI, ANDREA: Der Hirtenkönig. Die schönsten Geschichten aus Sizilien. Zusammengestellt von Klaus Wagenbach. Salto im Wagenbach Verlag, Berlin 2007. 96 S., 13,90 €.

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