Werbung

Werbung

Werbung

Zettel aus der Unterwelt

Der neue Roman „M wie Mafia“ von Andrea Camilleri

© Die Berliner Literaturkritik, 22.07.09

Von Konrad Dittrich

Kein noch so bildungshungriger Mensch ist wohl je auf die Idee gekommen, ein Lexikon von A bis Z durchzulesen. Jetzt gibt es die Ausnahme. M wie Mafia nennt der aus Sizilien stammende Autor Andrea Camilleri sein neues Buch in Form eines Lexikons. Hauptperson ist Bernardo Provenzano, geboren 1933 im sizilianischen Carleone. Jahrelang war er der meistgesuchte Mafiaboss Italiens.

Camilleri schrieb weder einen Roman noch eine Geschichte der Mafia. Er zeigt vielmehr am Beispiel Provenzanos, wie das Verbrechersyndikat funktioniert, das auf Sizilien inzwischen Casa Nostra genannt wird. Provenzano arbeitete sich unter zwei Vorgängern nach oben, beging in deren Auftrag Dutzende Morde. Er schießt wie ein Gott, schwärmte Luciano Leggio, seinerzeit oberster Chef der Organisation. Dass die Polizei ihn jahrelang nicht fand, liegt auch daran, dass es von ihm keine Fotos gab. Lediglich ein Passbild aus Jugendjahren existierte, wurde von Polizeicomputern als Phantombild fortgeschrieben. Außerdem war der spätere Mafiaboss bereits in den sechziger Jahren abgetaucht, lebte in Verstecken. Als sein direkter Vorgänger als Capo di tutti capi (Boss der Bosse) 1993 verhaftet wurde, glaubten Mitglieder der Clans, Provenzano sei längst tot.

Aus dem Untergrund heraus wurde er der unangefochtene Nachfolger von Totò Riina. Zu Beginn seiner Karriere traf sich der neue Boss gelegentlich mit den Chefs der Familien. Als das zu gefährlich wurde, ersann er eine neue Kommunikations- und Befehlsstruktur. Er schrieb im Versteck kleine Zettel, so genannte Pizzini. Über eine Stafette von Zuträgern gelangten sie nach Tagen zu den mit Nummern bezeichneten Empfängern. Von allen empfangenen und versandten Pizzini fertigte Provenzano Abschriften. Als er am 11. April 2006 verhaftet wurde, fand die Polizei mehr als 200 solcher Briefchen. Andrea Camilleri erhielt sie von der Polizei in Palermo zur Auswertung.

Sein Buch besteht aus Stichworten, alphabetisch geordnet. Der Leser begibt sich auf den Weg von A wie Abschrift und Abtauchen bis Z wie Zichoriengemüse. Er wird auf eine äußerst spannende Wanderung mitgenommen, auf eine aktuelle obendrein. Aufschlussreich, dass der einstige Meisterkiller zu Beginn seiner Herrschaft einen neuen Stil durchsetzte: kein Sprengstoff, keine Schüsse. Der Mord an Unschuldigen hatte die Bevölkerung gegen die Cosa Nostra aufgebracht. Mit sensibleren Methoden ginge es auch, fand Provenzano. Makaber berührt, dass der Gangsterboss ausführlich die Bibel zitiert, seinem verehrten Herrn Jesus Christus für manche Hilfe dankt. Der deutsche Leser vermisst möglicherweise ein Stichwort Anfänge oder Geschichte der Mafia.

Literaturangabe:

CAMILLERI, ANDREA: M wie Mafia. Kindler im Rowohlt Verlag, Hamburg 2009. 224 S., 16,90 €.

Weblink:

Kindler im Rowohlt Verlag


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: