Totgesagte leben länger, erst recht, wenn sie Untote sind: Vampire steigen des Nachts aus ihren Särgen, um Lebenden in den Hals zu beißen und ihnen das Blut auszusaugen. Sie sind Wanderer zwischen Leben und Tod, zwischen Tag und Nacht, zwischen Körper und Geist – und zudem überaus sinnliche Verführer, Trendsetter für Mode, Outfits ganzer Gruppen und ein faszinierendes Phänomen. Ditte und Giovanni Bandini waren ihnen auf der Spur. Nach Elfen, Feen, Drachen und Engeln widmen sie ihr neues Buch Draculas weitläufiger Sippe. „Das Vampirbuch“ nennt sich der Streifzug der Heidelberger Autoren durch die Jahrhunderte, durch Volksglauben, Literatur und Film bis hin zu den zeitgenössischen Psivamps und Vampyren der Goths und Vampir-Communitys.
Bram Stoker („Dracula“, 1897) verhalf ihm zu literarischen Ehren. Doch zuvor gaben schon Joseph Sheridan Le Fanu („Carmilla“, 1872) und John Polidori, der Leibarzt und Reisebegleiter Lord Byrons mit „The Vampyre“ (1816) dem Nachtwesen Sehnsucht und Seele im literarischen Format. Die US-amerikanische Schriftstellerin Anne Rice („The Vampire Chronicles“, seit 1976) schuf den Prototyp des „neuen“ Vampirs: eine melancholische, „menschliche“ Variante. Der Ursprung des „wandelnden Leichnams“ liegt jedoch im Karpatenraum: Im osteuropäischen Volksglauben sind Vampire Blut saugende Nachtgestalten, meist wiederbelebte menschliche Leichname, die von menschlichem oder tierischem Blut leben und übernatürliche Kräfte besitzen.
Je nach Mythos und Kultur variieren Kräfte und Eigenschaften, eine Grenzziehung fällt schwer: Müssen Vampire unbedingt Blut trinken? Sind sie mit den Werwölfen verwandt, den Wiedergängern oder den Zombies? Wer war Dracula wirklich? Die Bandinis, beide ausgewiesene Religions- und Völkerkundler, versuchen eine Antwort fern aller exakten Wissenschaftlichkeit. Ihr „Vampirbuch“ will unterhalten, den Bogen schlagen zwischen den Zeiten, zwischen den Monstern des Aberglaubens und ihrer Wandlung im Laufe der Jahrhunderte. Denn eines muss man Vampiren lassen: Sie sind lebendig, wenn auch nicht mopsfidel, wie Robert Gernhardt sehr frei in seiner Drei-Bilder-Geschichte „Nachricht über Ghoule“ schrieb.
Des Vampirs lose Familienbande reichen weit: von den Wiedergängern und schmatzenden Toten bis zu den Nachzehrern, Zombies und Ghulen (engl. ghoul). Auch zu den Werwölfen gibt es Verbindungen, wie Peter Mario Kreuter in seiner wissenschaftlichen Monografie „Der Vampirglaube in Südosteuropa“ (2001) belegt: „[...] besonders unter den Balkanslaven und den Griechen gehen Vampir und Werwolf eine derart enge Verbindung in den volkstümlichen Vorstellungen ein, dass der Werwolf als eigenständiges Wesen des Volksglaubens praktisch zu existieren aufhört.“ Wie es aussieht, gab und gibt es neben dem Vampir noch eine Vielzahl anderer untoter Gestalten.
Ditte und Giovanni Bandini klären auf, kurzweilig und plaudernd. Zahlreiche teils farbige Abbildungen veranschaulichen, eingefügte Geschichten machen das Buch lebendig. Klar, ein wenig Grusel darf nicht fehlen: Der Vampir ist nicht lieb und nett – Töten gilt als sein Metier. So war es zumindest beim realen Vorbild Draculas, bei Vlad Dracul, jenem finsteren Fürsten der Walachei, dessen Leben vor sadistischer Grausamkeit und Brutalität nur so strotzte. Er wütete im 15. Jahrhundert, steckte Dörfer in Brand, plünderte, mordete und markierte seine Wege mit dem, was sein Markenzeichen wurde: mit Reihen über Reihen gepfählter Männer, Frauen und Kinder. Ein grausiges Spektakel, das der Abschreckung seiner Feinde diente. Nur, und das ist der Haken, Vlad Tepeº, der Pfähler, lief nach seinem Tod (1476) nicht als Blut saugendes Monster umher. Er wurde enthauptet, sein Kopf abtransportiert.
Auch die Geschichte der Erzsébet Báthory (1560-1614) ist reinster Horror: Im Laufes ihres Lebens soll die ungarische „Blutgräfin“ mehrere Hundert Mädchen und Frauen gefoltert und getötet haben – dass sie eine Vampirin war, lässt sich jedoch nach dem jetzigen Stand der Forschung nicht sagen. Auch die Serienmörder Fritz Haarmann, Peter Kürten und der Franzose Gilles de Rais gehören, so Ditte und Giovanni Bandini, hier nicht her. Bei allen drei stehe die Assoziation mit einem Vampir auf äußerst wackligen Beinen. Obwohl: Im Namen des Vampirs mordete nachweislich der derzeit lebenslang in US-Haft einsitzende Rod Ferrell, ehemals Oberhaupt eines Vampirclans, in Murray/Kentucky.
Doch es gibt keinen wirklichen Grund zur Sorge: Die Vampire des überlieferten Volksglaubens als auch der literarischen Vorlagen mutierten in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu mehr oder weniger umgänglichen Wesen. Die Bandinis haben sich umgesehen: Psivamps und Human Living Vampires (HLV) bevölkern nicht nur das Internet, sondern tummeln sich mitten unter uns. Als Wesen der Nacht, als perfekter Grenzgänger zwischen Leben und Tod, hat der Vampir freundliche Aufnahme gefunden: in der Vampir-Subkultur und bei den Goths erscheint er nicht Furcht erregend, sondern durchaus sympathisch und mit zuweilen unwiderstehlichem Sex-Appeal.
Literaturangaben:
BANDINI, DITTE /BANDINI, GIOVANNI: Das Vampirbuch. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 220 S., mit zahlr. Abb., 14,90 €.
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