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Kurz gefasst: Rogier van der Weyden

„Rogier van der Weyden. Leben und Werk“ von Felix Thürlemann

Von: ROLAND H. WIEGENSTEIN - © Die Berliner Literaturkritik, 31.03.06

 

„Keines der Gemälde, die heute in den großen Museen das Namenstäfelchen ‚Rogier van der Weyden’ tragen, ist signiert. Die Namensgebung geht in allen Fällen auf das Urteil der sogenannten Kenner zurück. Die Zuschreibung von unsignierten Werken an einen Künstler aber ist ein komplexer und vielfach auch langwieriger Prozess. Er setzt zwei Schritte voraus. Erstens: die Zusammenstellung einer kohärenten Gruppe von Werken, die einen gemeinsamen persönlichen Stil verraten, zweitens: die Verbindung wenigstens eines dieser Werke mit einem Künstlernamen, der mit biografischen Daten unterfüttert werden kann. Im Fall Rogier van der Weyden scheint dieser doppelte Prozess noch nicht vollständig abgeschlossen“. So der Konstanzer Kunsthistoriker Felix Thürlemann in dem Taschenbuch „Rogier van der Weyden, Leben und Werk“. Es erlaubt eine Übersicht über das Werk des großen Flämen, der 1399 oder 1400 in Touunai geboren wurde und im Jahr 1464 in Brüssel starb. Der Autor gibt gleich zu Beginn des konzentrierten kleinen Buchs ein Beispiel dafür, wie kompliziert die Sachlage sein kann. Gehört er doch selbst zu den „sogenannten Kennern“, wobei er für sich das „sogenannt“ vermutlich gern streichen würde. Die Autorschaft der großen, heute im Madrider Prado aufbewahrten „Kreuzigung“ wird allgemein Rogier zugeschrieben. Aufgrund Thürlemanns Studien zu dessen Lehrer Robert Campin, auch unter dem Notnamen „Meister von Flémalle“ in der Kunstgeschichte bekannt, glaubt der Kunsthistoriker allerdings, dass das Bild vielmehr von eben diesem Campin stammt – aus stilistischen Gründen, die man leider angesichts einer kleinen Schwarzweiß-Abbildung nur schwer überprüfen kann. Doch abgesehen von diesem „Streitfall“, an dem sich wie an anderen ähnlich gelagerten, ganze Generationen von Fachleuten, nicht ohne gelegentliche Streitsucht, abarbeiten ist das Büchlein eine gute Einführung in Rogiers Werk und Leben. Über dieses sind, sowohl von Zeitgenossen als auch von späteren Autoren, doch eine Fülle von Details bekannt, aus Verträgen, zeitgenössischen Zeugnissen und Inschriften. Sicher ist, dass Rogier bei Campin in Tournai das Handwerk gelernt hat, dass er in Brüssel ein geachteter Meister (mit großer Werkstatt) war, Aufträge von Höfen, Kirchen, Patriziern erhielt und dass eines seiner Bilder, die „Madonna, vom Heiligen Lukas gemalt“, gar zu einer Ikone dieses Bildthemas wurde, die zahlreiche Nachahmer fand. Der Evangelist wurde in mittelalterlichen Legenden als Maler beschrieben und galt als Schutzpatron der Malergilden. Thürlemann weist nach, dass sich Rogier für dieses Motiv bei Campin und Jan van Eyck bedient hat (der sogenannten „Rolin-Madonna“ – heute im Louvre). Doch er hat die Bild-Zitate auf eine Weise abgewandelt, die das Bild beispielhaft machte, gleich als habe Maria eben so und nicht anders ausgesehen, wie sie dieser Lukas gesehen hat.

Der Autor verfolgt nicht nur die kunsthistorischen Debatten um Rogier, er analysiert vielmehr die „gesicherten“ Werke, beschreibt einlässlich ihren Symbolgehalt und erklärt ihre besondere ästhetische Qualität. Auch wenn er zuweilen Zeichen zeremonieller Erstarrung und die Tendenz zur Selbstwiederholung wahrnehmen will, was im ausgehenden Mittelalter gewiss nicht als Mangel empfunden wurde, vom völlig unbekannten modernen Begriff des Plagiats zu schweigen. Dass Rogier zu den bedeutendsten Malern der frühen flämisch-niederländischen Kunst gehörte, das ist auch für ihn unstrittig. Jan van Eyck, Campin, Rogier, Memling – so lautet das Quartett der ganz Großen.

Das Buch hat seine besonderen Meriten eben darin, den Beschauer auf Dinge und Farben, Kompositionsprinzipien und verborgene, nur dem gebildeten Zeitgenossen zugängliche Details aufmerksam zu machen. Dem flüchtigen Blick des Museumsbesuchers von heute würden sich diese nicht ohne weiteres erschließen, weil sie die Kenntnis der religiösen Ausdrucks- und Gedankenwelt der spätmittelalterlichen Gesellschaft und der von ihr geprägten Kunst erfordern. Solche Kenntnis erhöht zweifellos den Kunstgenuss. Sätze wie „Das Konzept der ‚versteckten’ Symbolik macht es möglich – dies ist vielleicht der entscheidende künstlerische Gewinn – himmlische Ereignisse ohne Zwang zur Abstraktion und ohne idealisierende Verfremdung in einer dezidiert realistischen Bildsprache wiederzugeben“ zeigen, worum es Thürlemann geht: um eine Deutung, die moderne kunstwissenschaftliche (und ästhetische) Kategorien mit dem kompatibel macht, was damals ohne weiteres „lesbar“ war. Seine Bilddeutungen etwa des großen „Jüngsten Gerichts (im burgundischen Beaune), der beiden heute in Berlin befindlichen Triptychen, die einen zuverlässigen Vergleich vor Ort erlauben, oder des „Sakramentsaltars“ in Antwerpen, sind einlässlich und plausibel. Besonders dieser Altar mit seiner überraschenden, riskanten Inkonographie ist ein kompositorischer Geniestreich: ein übergroßes Kruzifix steht mitten in einer gotischen Kirche, im Hintergrund der Haupttafel und auf den Seitenflügeln werden die Sakramente realistisch als eigene Bilderzählungen dargestellt. Die wichtigen Werke sind in kleinen Farbabbildungen in der Mitte des Büchleins platziert.

Als Handreichung für Museumsbesuche bei Rogier van der Weyden ist das Buch sehr praktisch: es schärft die Aufmerksamkeit und erlaubt eine genauere Vorstellung von der Welt, in welcher dieser eminente Künstler arbeitete.

Literaturangaben:
THÜRLEMANN, FELIX: Rogier van der Weyden. Leben und Werk. C.H.Beck Verlag, München 2006. 127 S., 7,90 €.

Roland H. Wiegenstein arbeitet als freier Literatur- und Kunstkritiker für dieses Literaturmagazin. Er lebt in Berlin und Italien


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