Werbung

Werbung

Werbung

Sehr frei nach Goethe – Jorge Edwards’ „Faustino“

Edwards’ Buch steckt voller Anspielungen und ist von ironischer Distanz

Von: ROLAND H. WIEGENSTEIN - © Die Berliner Literaturkritik, 10.06.08

 

Ein Schriftsteller, der mit dem „Premio Cervantes“ ausgezeichnet wurde, dem bedeutendsten Literaturpreis Amerikas, kann sich mit Fug zu den besten Autoren des Kontinents zählen. Der 1931 in Chile geborene Jorge Edwards hat ihn bekommen. Gleichwohl hat er es, obwohl drei seiner vielen Bücher dank des Wagenbach Verlags inzwischen auch ins Deutsche übersetzt wurden, hierzulande immer noch schwer. Er passt nicht recht in die Reihe der Autoren aus dieser Region, die wir kennen und schätzen gelernt haben: von Borges bis Cortázar, von Marquez bis Vargas Llosa. Edwards, der seinem Land 1973 bis zum Putsch gegen Allende als Diplomat diente (über seine Abenteuer als Geschäftsträger Chiles in Kuba hat er sein bekanntestes Werk geschrieben: „Persona non grata“), hat die ersten Jahre der Diktatur im Exil verbracht, ist 1978 zurückgekehrt, hat als Journalist gearbeitet, immer „unter Beobachtung“ und konnte erst nach 1980 wieder Bücher veröffentlichen.

Dazu gehört „Faustino“, eine Parodie auf Goethes „Faust“, die von einem Mitglied der „Unidad Popular“ erzählt, das nach Allendes Tod überstürzt das Land verließ, auf verschlungenen Wegen nach Ostberlin geriet und dort dreizehn Jahre blieb. Die Beschreibung der miserablen Existenz unter den Bedingungen des „real existierenden Sozialismus“ ist voller Insider-Kenntnisse und – wie vieles in diesem Buch – von trister Komik. Von dem Leben eines Flüchtlings ausgerechnet in der DDR, die damals viele Chilenen aufnahm, müssen ihm andere Exilanten erzählt haben. Er selbst war nämlich nach Spanien emigriert. „Das Exil war zu einer Form der Invalidität geworden, zu einer Lähmung, nicht der Muskeln, sondern des Willens. Ich hatte mich darauf eingerichtet, in einem winzigen, gut geschützten, mehr oder weniger gut beheiztem Winkel dahinzuvegetieren.“

Mit gelegentlichen Ausflügen nach West-Berlin, wo ihm Linke von damals auch einmal einen Hundert-Mark-Schein zusteckten. Aber der „apathische Abenteurer“ wird jäh aus seiner Untätigkeit herausgerissen: der untergeordneten Tätigkeit „in der Produktion“ , der armseligen Wohnung in einem Plattenbau am Rande Ostberlins, dem Kartenspiel mit anderen exilierten Genossen, der Teilnahme an Aufmärschen der SED, der Missinformation durch den Sowjetischen Sender „Hör zu, Chile“, der auf Spanisch sendete. Denn Mephisto tritt auf, der bei Edwards Apolinario heißt. Er füttert den zögernden Faustino mit Einladungen in den Westen an (das KaDeWe als surreale Konsumwelt!) und verführt ihn dazu, ihm zu folgen. In einem gelben Hubschrauber (!) fliegt der böse Geist mit ihm zurück nach Chile, damit beginnt eine absurde Reise in die verlorene Heimat, in der auch diese unkenntlich geworden ist.

Ob es sich um eine von deutschen Unternehmern verlassene Finca handelt oder um ein Bordell, eine Landschaft, die er nicht wieder erkennt oder die Börse von Santiago de Chile: alles wirkt falsch, gespenstisch, grotesk. Selbst die Goethesche Helena ist nur noch eine Phantasmagorie und hat komische Züge. Doch Apolinarios Plan, seinen etwas begriffsstutzigen Begleiter auf „etwas Großes“ vorzubereiten, misslingt. Zwar begegnet er seiner Tochter Asunta wieder, die im Untergrund lebt und auf Pinochet ein Attentat verübt: aber nicht er hat es ausgeführt. Er ist den Fängen des zweifelhaften Begleiters vorher entkommen, hat mit Hilfe Asuntas falsche Papiere bekommen und landet am Ende wieder dort, Wo er herkam, in Ostberlin – und in einer psychiatrischen Anstalt.

Seine Erzählungen von Hubschrauberflügen und all den seltsamen Begegnungen glaubt niemand, weder seine Genossen von früher, noch die bürokratischen Agenten des SED-Staats nehmen in ernst. Er wird wohl eingesperrt bleiben – als Verrückter. Denn Mephisto hat sich längst davongemacht: so einen „Faust“ konnte er nicht brauchen.

Der Roman wechselt ständig die Perspektiven, Faustino erzählt von sich in der ersten Person, redet mit sich selbst in der zweiten, und der Erzähler übernimmt zuweilen selbst die Regie, berichtet von Faustinos Missgeschicken also in der dritten. Damit verändert sich auch der Ton, changiert zwischen genauen Zustandsbeschreibungen einer für Faustino unerklärlich gewordenen Welt, sehr poetischen Beschreibungen dessen, was einmal seine Heimat war und kafkaesken Begebnissen. „Plötzlich schämte ich mich davor, Angst zu haben, und nicht nur diesen Moment Angst zu haben, sondern dafür, dass ich trotz des politischen Aktivismus, trotz vieler Dinge, so vieler Worte, schließlich immer noch gelähmt oder halb gelähmt war vor Angst, vor den anderen und Angst vor mir selbst, vor uns selbst.“ Kein Wunder, dass dabei die Ideologie auf der Strecke bleibt.

Faustino ist ein (reiner) Tor – aber ein cleverer. Er lässt sich auf ein Abenteuer ein, das zu groß ist für ihn, den Intellektuellen, der vor dem Putsch als Kunstkritiker sein Auskommen hatte, geschätzt und ein wenig gefürchtet wegen seiner spitzen Feder – aber er verweigert die Unterschrift unter den Teufelspakt. So endet er nicht in der Hölle (die wir selbst sind), aber auch nicht im Himmel, sondern in der Psychiatrie. Dort wird er seine Ruhe haben.

Jorge Edwards’ Buch steckt voller Anspielungen, ist von ironischer Distanz: er, der nüchterne (und zuweilen sentimentale) Linke ist kritisch mit sich selbst und all den politischen Zumutungen, die ihn umgeben. Allenfalls träumt er noch von einer Welt, in der es gerecht zugeht und wenn möglich demokratisch. Die erste Ausgabe des Buchs erschien 1987 in Santiago – da war Pinochet gerade noch an der Macht, aber schon deutlich geschwächt. 1988 wurde es in Spanien veröffentlicht. Es brauchte zwanzig Jahre, bis es auch hierzulande erschien. Immerhin: nun können wir es in der augenscheinlich guten Übersetzung von Sabine Giersberg lesen. Es lohnt sich, denn ironische, ja komische Bücher sind im Weltanschauungskrieg eher selten.

Literaturangaben:
EDWARDS, JORGE: Faustino. Roman. Aus dem chilenischen Spanisch von Sabine Giersberg. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2008. 188 S., 18,90 €.

Verlag

Roland H. Wiegenstein arbeitet als freier Literatur- und Kunstkritiker für dieses Literaturmagazin. Er lebt in Berlin und Italien


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: