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„Er war ein Virtuose der grafischen Techniken ...“

Ein Buch der Erinnerung an Herbert Tucholski

© Die Berliner Literaturkritik, 15.12.08

 

Tausendmal ist ihm die Frage gestellt worden: „Sind Sie verwandt mit dem …“ Und im „Tausendjährigen Reich“ wurde ihm auch nahegelegt, den Namen des „berüchtigten jüdischen Literaten“ abzulegen, mit dem er zwar nicht verwandt war, den er aber zeitlebens bewunderte. Nach dem Studium in Berlin und Dresden bereiste Herbert Tucholski 1927/29 und noch einmal 1939/40 mit und ohne Stipendium Rom, Florenz und die Toskana, nahm zunächst nur die Seheindrücke auf, erst später entstanden Zeichnungen und Grafiken. Im Atelierhaus der Berliner Klosterstraße, der Gemeinschaft der Künstler, die Gegenakzente zur Kunst der Nationalsozialisten setzten, war er mit den Malerkollegen Werner Heldt und Werner Gilles, den Bildhauern Ludwig Kasper und Hermann Blumenthal, vor allem aber mit der verehrungswürdigen Käthe Kollwitz verbunden.

Nach 1945 initiierte er viele Ausstellungen, unter anderem die große Gedächtnisausstellung für Käthe Kollwitz 1946, und verfasste kunsttheoretische Beiträge zu kompositorischen Gesetzmäßigkeiten. Da ihm Italien verschlossen blieb, wählte er nun Bulgarien und die Schwarzmeerküste als Reiseziel. In den 1960er-Jahren wurde er künstlerischer Leiter der Zentralen Werkstätten für Graphik in Berlin und war hier jüngeren Künstlern ein anregender Mentor. Auch die gleichaltrige Malerin Charlotte E. Pauly erlernte bei ihm die Kunst des Radierens. 1984 starb er 88-jährig.

Gudrun Schmidt, langjährige Leiterin der Kunstsammlung der Berliner Akademie der Künste und eine exzellente Tucholski-Kennerin, hat jetzt ein Buch verfasst – „Herbert Tucholski. Ratio und diskrete Leidenschaft“ -, das an den Berliner Altmeister der Grafik erinnert. Es erschien im Zusammenhang mit Tucholski-Ausstellungen in Ahrenshoop und Berlin (letztere in der Berliner Galerie Parterre war bis zum 23. November 2008 zu sehen). Die Publikation enthält neben ausgezeichnet wiedergegebenen Abbildungen jeweils Beiträge von Gudrun Schmidt („Warum so viele Boote?“) und dem Bildhauer, Zeichner und Grafiker Wieland Förster („Für Tucholski, den Meister“) und eine ausführliche Lebenschronik Tucholskis, in die die Autorin auch Zitate aus Selbstzeugnissen des Künstlers eingebracht hat.

Bleistift-, Feder- und Tusche- und Kreidezeichnungen in unterschiedlichen Kombinationen, Aquarelle, Pastelle, Ölstudien, Holz- und Linolschnitte, Radierungen und Aquatinten mit überraschenden Lösungen an der Platte und an den – mitunter auch kolorierten - Drucken ziehen den Leser sofort in den Bann. Mehr als vier Jahrzehnte im Schaffen Tucholskis werden hier durchschritten. Sein Werk kennt eigentlich nur wenige Motive: die Landschaft in der Verbindung mit der Architektur, die südliche Landschaft Italiens oder Bulgariens, die norddeutsche Küste, Landschaften in und um Berlin, Fluss- und Hafenlandschaften. Ein Fischerhafen mit seiner scheinbaren Unordnung, so schreibt Tucholski in seinen Erinnerungen, beflügele seine Fantasie und rege zur bewussten Bildordnung an. Menschenleere Stille wechselt mit ständigen Bewegungen und Veränderungen.

Der flächige Holzschnitt fordert monumentale Formen und erzielt kontrastreiche Wirkungen. Die Wahl des Bildausschnittes ist frei von aller Zufälligkeit, das Motiv wird zum konzentrierten Mittelpunkt der Darstellung. Der Künstler zeichnete bald vor dem Motiv, benutzte dann auch das Foto als Erinnerungsspeicher, aber von vornherein mit der Vorstellung einer Synthese, in der sich der Ausdruck des Lichts mit dem greifbaren, in festen Raumbeziehungen eingeordneten Formkörper verbindet. Seine Arbeiten scheinen wie die der Impressionisten aus der Anschauung entstanden zu sein und geben doch das genaue Gegenteil wieder: nicht den flüchtigen Augenblick, nicht das Vorüberhuschende und Entgleitende der Erscheinung, sondern deren Dichte und Dauer. Eine neue geometrische Ordnung, eine energische Konturenführung, architektonische Klarheit, eine nahezu kubische Festigkeit und Formgebung stehen jetzt im Kunstwerk selbstständig gegenüber der Natur und verleihen diesem eine gewisse Klassizität und Zeitlosigkeit.

Die auf Reisen entstandenen Zeichnungen bildeten in der Regel die Grundlage für grafische Umsetzungen, die oft erst Jahre, auch Jahrzehnte später erfolgten. Tucholski war ein Virtuose der Technik: Er verwendete in seinen Holzschnitten zum einen den reinen Schwarz-Weiß-Kontrast ohne Zwischentöne und Übergänge als Gestaltungsmittel. Dann wieder beeindruckt die verhaltene Durchlichtung und feine Farbabstimmung. Die Clair-obscur-Technik wurde von ihm bevorzugt, der Druck von einer Strich- und mehreren Tonplatten, wobei die Linien über den Farben (Olivgrün, Mattbraun, Grau oder Beige) liegen. Seine Radierungen und Aquatinten wirken durch feinste Graunuancen und eine bestechend präzise Komposition, die jedes Sujet für den Betrachter zu einem Erlebnis von Harmonie werden lassen.

In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre experimentierte er vornehmlich mit dem Farbendruck, er hat mit Ölfarbe auf der Platte gemalt und in der Art der Monotypie gedruckt. Tucholski war ein hochmusikalischer Mensch und seine Grafiken sind mit der musikalischen Fuge als der „höchstentwickelten Kunstform eines konzentrierten Stils“ (Lothar Lang) verglichen worden. Besonders in den selteneren Figurendarstellungen wird aus klar umgrenzenden Flächen zugleich der Eindruck des Plastischen vermittelt. Mit der Vielfalt der Ausdruckswerte in seinen Hoch- und Tiefdrucktechniken hat Tucholski der Berliner Grafik zu einem Höhepunkt verholfen.

Dieses Buch lädt so richtig ein zum Blättern, zum Sinnen und Verweilen.

Literaturangaben:
SCHMIDT, GUDRUN: Herbert Tucholski. Ratio und diskrete Leidenschaft. Blätter von Berlin und der Ostseeküste. Hrsg. von Guenter Roese. Mit einem Textbeitrag von Wieland Förster. MCM ART Verlag, Berlin 2008. 96 S. mit 78 Abb. und 19 Fotos, 24 €.

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