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Der Autor als literarische Attraktion

Clemens Meyer zu Gast im Literarischen Colloquium Berlin

© Die Berliner Literaturkritik, 24.04.08

 

BERLIN (BLK) – Das Literarische Colloquium (LCB) am Wannsee empfing gestern (23. April 2008) zum zweiten Mal den Autor Clemens Meyer (30). 2006 las er noch in der Reihe „Debütanten“ aus seinem Erstling „Als wir träumten“. Nun lud ihn das LCB für die Reihe „Das zweite Buch“ erneut ein.

Nach 20 Uhr beginnt die Lesung aus seinem Story-Band „Die Nacht, die Lichter“. Seine Gesprächspartnerin ist Ina Hartwig (45), Literaturredakteurin der „Frankfurter Rundschau“. Sie wird mit ihm über das Zweitwerk und den Umgang mit Ruhm sprechen. Im Hintergrund geht gerade die Sonne unter. Darauf macht Meyer aufmerksam. Die aufgestellten Stühle sind nicht alle besetzt. Der Altersdurchschnitt des Publikums liegt, herabgesetzt von ein paar jüngeren Zuschauern, bei etwa vierzig.

Der Protagonist dieses Abends ist Clemens Meyer, 1977 in Halle/Saale geboren, in Leipzig aufgewachsen, zweimal wegen Autodiebstahls in Jugendarrest. Nach dem Abitur übernimmt er Jobs als Bauhelfer, Wachmann und Möbelträger. Von 1998 bis 2003 studierte er am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. An seinem Debütroman „Als wir träumten“ (2006), der autobiografisch geprägt ist, arbeitet er sechs Jahre. Das Buch handelt von Jugendlichen, die verloren im Leipzig der Nachwendezeit ihr Dasein fristen. Was der Erstling 2006 noch nicht schaffte, gelang dem 2008 erschienenen Story-Band „Die Nacht, die Lichter“. Für den erhielt Meyer dieses Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse. In diesem Werk lernt der Leser in 15 Stories Menschen kurz vorm Absturz kennen.

Ina Hartwig spricht die einleitenden Worte. Eine Notiz von der Frankfurter Buchmesse 2006 habe sie gefunden. Sie beginnt, in der dritten Person von ihm zu sprechen, von ihrer ersten Begegnung mit Meyer auf der Messe, von Pappbechern und sprudelndem Mineralwasser, von seinem Ärger den Preis der Buchmesse nicht erhalten zu haben – „die anderen haben sich nicht getraut“, habe Meyer über seine Mitstreiter gesagt. Meyer hört zu. Es scheint befremdlich, wenn sie in der dritten Person von ihm redet. Es folgt eine Rezension zu „Die Nacht, die Lichter“. Der Autor habe „ein großes Gefühl für die Poesie des Absturzes“ und leihe seinen Protagonisten sein „Herz“ und „Herz, das habe er“, meint Hartwig. Allgemein hat sie stets nur lobende Worte für Meyer.

Meyer erzählt ungezwungener. Er entschuldigt sich, kein Buch mehr zu haben, muss sich zum Vorlesen Hartwigs Exemplar leihen. „Fans haben mir meines aus den Händen gerissen. Ist eine Restauflage“, scherzt er. Spätestens jetzt bemerkt man seinen sächsischen Dialekt, der ihn noch sympathischer macht. Er beginnt zu lesen. Die dritte Story mit dem Titel „Die Laterne, die Flinte und Mary Monroe“. Er lese sie gern und sie sei eine seiner Lieblingsgeschichten, obwohl er keine der 15 bevorzugen wolle. So liest er diese Geschichte vor, die eines Mannes und seiner Flinte, die sein Schatz nicht mag. Er ist auf Entzug, mit seiner Flinte zielt er auf Laternen, und sein Schatz soll ihm nicht böse sein, der sieht aus wie Marilyn Monroe, liegt ihm Bett und regt sich nicht mehr.

Ina Hartwig fragt ihn darauf, warum der Protagonist seine Freundin denn erwürgt und nicht erschossen habe. Das gehe nicht mit einer solchen Flinte, er habe auch so eine, die er mal auf dem Flohmarkt erstanden habe, entgegnete Meyer und schließt mit dem Satz: „Das ist schon dramaturgisch gut durchdacht.“ Meyer spricht auch über seine Arbeit, die Komposition dieser Geschichte sei enorm wichtig gewesen und habe ihm einiges abverlangt. Auf den so genannten „schwarzen Sog“ angesprochen, der einer der Zentren seiner Arbeit sei, bestätigt Meyer seine Affinität zu Abgründen, er müsse sie ausloten. So beeinflusse der Tod natürlich auch sein Werk. Er zitiert Hemingway: „Jede Geschichte kann immer nur ein Ende haben.“

Hartwig erkennt – an sich stellt sie fast nur Suggestivfragen –, dass es dem Autor stets um das poetische Areal ginge, nicht um das Milieu. Meyer bestätigt dieses. Er erwarte von einem literarisch interessierten Publikum einfach, dass dieses erkenne, dass es in erster Linie egal sei, wo eine Geschichte spiele. Jedoch gebe er zu, dass er von seiner „Milieuwahl“ auch profitiere. Er lacht. Ob er diesem Milieu treu bleiben werde, wisse er nicht. Er lerne stets neue Leute kennen. So könne er in „Die Nacht, die Lichter“ bereits von einem Maler, einem fettsüchtigen Lehrer und einem Weinhändler im Delirium schreiben, das hätte er zuvor noch nicht in dieser Weise gekonnt. Er sei kein Wolf-Biermann-Fan jedoch stimme seine Aussage „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.“

Was auffällt, ist, dass Clemens Meyer seine Figuren als eigenständige Personen betrachtet. Er steht ihnen Freiräume zu. Beispielsweise meint er, dass er nicht sagen könne, wann der Protagonist aus „Die Laterne, die Flinte und Mary Monroe“ seine Freundin erwürgt habe. Der Autor möchte seine Figuren, auch wenn sie zum Teil lächerlich seien, nicht denunzieren. Meyers Geschichten erheben so einen Anspruch auf einen eigenen Mikrokosmos. Auch finden sich immer wieder Leitmotive. Das Licht in Form von Laternen, Kerzen, Diskobeleuchtung. Das Licht im LCB ist ihm hingegen zu hell, er möge es „gedimmter“. Es ist vorstellbar, dass er sich unwohl fühlt, wenn alle Augen auf ihn gerichtet sind, und er abschließend den Anfang von „Wir reisen“, einer Geschichte über einen Mann, der aus dem Knast entlassen wird, liest.

Es stellt sich die Frage, wer „dieser Clemens Meyer“ ist. Es scheint, eine literarische Attraktion. Vor zwei Jahren wurde gesagt, dass er seine tätowierten Arme zur Schau stelle. Nun sagt man ihm nach, alles wäre nur eine Image-Kampagne gewesen, schließlich seien Meyers Haare nun länger, und er trage langärmelige Hemden. Das Milieu, von dem er erzählt – das der „Unterschicht“, der prekäre Situationen –, das gefällt dem Literaturbetrieb, nur versteht dieser ihn trotz allem kaum. Auch seien seine Auftritte zum Teil „trotzig“, er sei „undankbar“. Es wird dabei stets außer Acht gelassen, dass man auch als Träger eines Buchpreises seine Einstellung zu Literaturbetrieb und Medieninteresse nicht ändern muss. Es sollte doch die Qualität der schriftstellerischen Werke im Vordergrund stehen und nicht die Medientauglichkeit oder das äußere Erscheinungsbild eines Autors. Auch wenn die Authentizität seiner Person umstritten ist, kann man ihm nach diesem Abend ein hohes Maß an Natürlichkeit bescheinigen.

Von Carolin Beutel

Literaturangaben:
MEYER, CLEMENS: Die Nacht, die Lichter. Stories. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 272 S., 18,90 €.

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