Rund um Berlin und Cölln, die mittelalterlichen befestigten Städte beidseits der Spree, war einmal elende Wüstanei, wie es Shakespeare in seinem „Wintermärchen“ auch von den kultivierten Böhmen behauptet.
An der Spree und an ihren Armen war Sumpfland – ein wenig ins Land gegangen und schon fühlte man sich an die Wüste erinnert – und das wenige kultivierte Land musste mit Baumalleen und Sträucherstecklingen gesichert werden. So war vom Jagdrevier Tiergarten kommend der spätere Boulevard Unter den Linden ein sandiger Reitweg, der über die Hundebrücke zum Schloss und parallel dazu der Jägerweg, der zum Jägerhof auf Friedrichswerder führte.
Was sich da heute so vornehm geriert hat in Wirklichkeit eine stinkige Vergangenheit und so mancher wundert sich, was hier eine Jägerstraße soll, wo edelster Berliner Barock und ebenso edle Klassik im Bunde einen der schönsten Plätze Deutschlands, wenn nicht Europas definieren. Aber auch die von Karl Friedrich Schinkel wohlgestaltete Schlossbrücke war mal die Hundebrücke, weil hier die Hundemeute für die Jagd in den neuen Tiergarten hechelte.
Der Kurfürst von Brandenburg, Friedrich III.; später Friedrich I. als König in Preußen begann auf dem märkischen Sand westlich vor den Toren Cöllns eine neue Stadt zu projektieren: Friedrichstadt. Auch die Friedrichstraße trägt seinen Namen. Er war es, der die nun vorhandenen Städte Berlin, Cölln, Dorotheenstadt, nach seiner Stiefmutter genannt, nördlich der Behrenstraße angelegt, Friedrichswerder, nach dem Großen Kurfürsten benannt, und Friedrichstadt 1709 zusammenlegte, was mit den entstehenden Vorstädten im Grunde der Kern des alten Berlins ist und bis 1920 war, bevor die großen Städte Spandau, Charlottenburg, Schöneberg, Neukölln u.a. zu Großberlin vereinigt wurden.
Die Jägerstraße hatte zu Zeiten Friedrich I. ländlichen Charakter und auch der Gendarmenmarkt, der Friedrichstädtischer Markt hieß, war ein unbefestigter Marktplatz, auf dem zwei kleine Kirchen standen. Bis in die 1880er Jahre wurde hier alles verkauft wurde, was heute auch noch auf einem Wochenmarkt verkauft wird.
„Den Gendarmenmarkt habe ich jahrelang in seiner Glorie alle Mittwoch und Sonnabend zu sehen und zu riechen die Gelegenheit gehabt. Da standen in langer Reihe in der Mohrenstrassenfront die Fischbottiche, grün, schleimig und moosbewachsen und darin, meist tot, mit den Bäuchen nach oben schwimmend, im Sommer in lauwarmen, altem, stinkendem Wasser, im Winter im Eis, die spärlichen Fische (…) Wenn es fror, konnte man diese Seite gar nicht passieren, wegen des Glatteises. An der Markgrafenstrasse hatten Schlächter ihre Stände, Schmeissfliegen summten um die ekelhaften Tierkadaver, das Blut rieselte auf den Pflastersteinen (…) Am schrecklichsten aber war der Gang über den Platz von der Jäger- zur Französischenstrasse, wo die Käsehändler standen. Um eins wurden dann alle die Rumpelkasten von Buden abgebrochen, die Fischtonnen über das Pflaster ausgegossen, die unverkauften, halb verdorbenen Waren wanderten in die Grünkramkeller (…) das Chaos von alten Kohlblättern, Käsepapieren, Heringsschwänzen und Zwiebelschalen wurde stundenlang zusammengefegt. Nur der abscheuliche Gestank war nicht zu vertilgen.“
So schreibt der Sohn Fanny Hensels, Sebastian Hensel, über seine Heimat Friedrichstadt. Man stelle sich vor, die hochherrschaftlichen Gebäude am Gendarmenmarkt existierten zu diesem Zeitpunkt schon und abends fuhr man in Kutschen vor und schritt über die Treppe, dem Gestank entfliehend, ins Schauspielhaus. Wer jedoch Patrick Süskinds „Das Parfüm“ kennt, weiß, dass in früheren Jahrhunderten die Nase das auszuhalten gelernt hatte.
Noch bis in diese Zeit war die Jägerstraße und die Friedrichstadt ein Wohn- und Arbeiterviertel, angelegt für Abertausende von Glaubensflüchtlingen aus Frankreich (Hugenotten), aus Böhmen (Hussiten) und den deutschen Fürstentümern (meist Reformierte), außer dem Gendarmenmarkt gab es hier wenig Repräsentatives.
Das änderte sich abrupt im Deutschen Kaiserreich, als Berlin das erste Mal deutsche Hauptstadt wurde. Unter den Linden gab es eine Menge Cafes (Möhring, Bauer, Viktoria) und Hotels (de Rome, nach 1900 Adlon), die Friedrichstraße wurde Vergnügungsstraße mit unzähligen Etablissements, Theatern, Kaiserpassagen, Wintergarten. Die südlich des Stadtteils querende Leipziger Straße war die Verkaufsstraße der Berliner Konfektion geworden. Dazwischen mauserten sich die Behren- und Französische Straße zu einer Banken- und Versicherungenstraße. In der Charlottenstraße, quasi hinter dem Schauspielhaus, lagen die Lokale, in denen sich E.T.A. Hoffmann und Ludwig Devrient am köstlichen Schaumwein, dem hier genannten Sekt, bei Luther und Wegener delektierten.
Auf dem Gelände des ehemaligen Jägerhofes, 1869 abgerissen, wird Platz geschaffen für die Reichsbank, die in den folgenden Jahren ihr Areal erweiterte zwischen Jäger-, Oberwall-, Niederwall-, Kurstraße und Kleiner Jägerstraße. Das Gros wurde im 2. Weltkrieg zerstört, nur in der Niederwallstraße, heute Marokkanische Botschaft, sind winzige Reste erhalten. Den 2. Weltkrieg überstanden hat auch die zwischen dem Ufer des Spreearms und der Kurstraße gelegene, 1933 von den Nazis errichtete Reichsbank, die heute Teil des Auswärtigen Amtes ist.
In der Jägerstraße 54 lebte zu Zeiten der Französischen Revolution bis 1808 ein jüdisches Mädchen mit Namen Rahel Lewin (1771-1833), seit 1814 verheiratet mit dem Schriftsteller und Diplomaten Karl August Varnhagen von Ense (1785-1858), dem zuliebe sie sich christlich taufen ließ, die hier in ihrer Dachstube einen Salon eröffnete, den sie auch an ihren anderen Wohnorten fortführte. Bei ihr verkehrten die großen Denker der Zeit: Heinrich Heine, Heinrich von Kleist, die Humboldt Brüder, Leopold von Ranke und Hegel.
Im 20.Jahrhundert nimmt die Attraktivität der Gegend um die Jägerstraße nicht ab. Der jetzt wieder durch den sensationellen Fund der Negative bekannt gewordene Fotograf, Robert Capa, der mit dem „Tod eines spanischen Loyalisten“ Pressefotografiegeschichte schrieb, hat seine Spuren in der Jägerstraße 11 hinterlassen. Hier war die Bildagentur „Dephot“ (Deutscher Photodienst), die von Simon Guttmann geleitet wurde. Bei ihm waren so bekannte Fotografen wie Umbo, Felix H. Man, Harald Lechenperg u.a. beschäftigt. Die vom Bauhaus in Weimar kommenden Fotokünstler brachten eine neue, eine Großstadtästhetik in ihr Metier. Die Agentur war 1928 von Guttmann und Umbo gegründet und im November 1933 von den Nazis geschlossen worden.
Nachdem die Friedrichstadt im 2. Weltkrieg stark zerstört wurde, sah sie sich den rationalistischen Ansprüchen des real-existierenden Sozialismus ausgesetzt. Der Gendarmenmarkt war nur halb und notdürftig wieder hergerichtet worden, aus dem Schauspielhaus wurde das Konzerthaus. Auf dem Gelände der Preußischen Seehandlung residierte die Akademie der Wissenschaften, nach der der Platz von 1950 bis 1990 benannt worden war. Heute ist dort die Berlin-Brandenburgische Akademie.
Langsam wird die Gegend wieder attraktiv. Wenn die Turmhäuser auf dem Friedrichwerder bewohnt sein werden, wird hier auch wieder Wohnen und Arbeiten möglich sein.
Die verschiedenen Autoren und Autorinnen in dem Sammelband „Von der Jägerstraße zum Gendarmenmarkt“, Historiker, Literatur- und Kunst-Wissenschaftler etc. haben einen interessant bebilderten und gelungenen Band herausgebracht, der die Lücken in der Stadtgeschichte schließt ähnlich wie jetzt die kriegsbedingten Baulücken geschlossen werden.
PS:
Führungen zum Gendarmenmarkt / Jägerstraße, Hausvogteiplatz, Unter den Linden und der Friedrichstraße bieten an: Individuelle Stadtspaziergänge 030-892 13 38.
Literaturangaben:
KREHER, WOLFGANG / VEDDER, ULRIKE (Hrsg.): Von der Jägerstraße zum Gendarmenmarkt. Eine Kulturgeschichte aus der Berliner Friedrichstadt. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2007. 230 S., 29,90 €.
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