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Julia Schochs Roman „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“

Der neue Roman von Julia Schoch

© Die Berliner Literaturkritik, 25.03.09

 

Von Frauke Kaberka

Immer hat sie von Freiheit geträumt. Ihr äußerlich angepasstes Leben in dem tristen Garnisonsstädtchen an der deutsch- polnischen Grenze ist eine Farce. Nur die Schwester weiß um die Zerrissenheit der Älteren und sieht doch das Unglück nicht kommen. Dann bringt der Mauerfall die ersehnte Freiheit. Aber „Mit der Geschwindigkeit eines Sommers“ – so der Titel des neuen Romans von Julia Schoch – enden die Träume der Frau; sie kann mit der Freiheit nichts mehr anfangen.

Es ist eine besondere Sicht auf das Ende der DDR. Und es stellt sich nach der Lektüre die erschreckende Frage: Wie kann ein totalitäres System auch ohne augenscheinliche Repressalien, unter denen ja viele andere Menschen zu leiden hatten, einen Menschen derart zerstören, dass er nicht mehr leben will. Die Antwort findet sich nur teilweise in der Psyche und Mentalität der jungen Frau. Mit einer übergroßen Portion Sensibilität ausgestattet, zerbricht sie innerlich an der Erfahrung, wie ein Staat dem Individuum das Individuelle nimmt, den dem Menschen angeborenen Drang nach eigener Entfaltung und Erkenntnis schon im Kindesstadium unterdrückt.

Julia Schoch hat 20 Jahre nach dem Ende der DDR einen Nerv getroffen, von dem viele Ex-DDRler nicht einmal wussten, dass sie ihn haben. Zu vordergründig war zur Wendezeit die Erfüllung materieller Wünsche, die schon wenig später bei so manchem die einst so wichtige Freiheit verdrängte. Bei einigen war es eh nie etwas anderes als der Wunsch nach Reisefreiheit gewesen. Und nun kommt eine junge Autorin, selbst 1974 in der DDR geboren, und erinnert in einem knappen strengen Stil so eindringlich an die subtilen Seiten des Arbeiter- und Bauern-Staates, dass Gänsehaut beim Lesen ständiger Begleiter wird.

Schochs Figuren haben keine Namen. Alle und alles bleiben seltsam anonym, und sind doch so wirklich. Es beginnt schon bei der Schilderung des Ortes am Stettiner Haff, ein seit je her vergessenes Fleckchen, das die DDR für einen großen Militärstützpunkt entdeckt. Einheitliche Plattenbauten, Kindergarten, Schule, Kaufhalle und andere infrastrukturelle Einrichtungen für die hier stationierten Offiziere und Soldaten bringen kein Leben, sondern machen den Ort noch trostloser. Das Bild lange nach der Wende, auf dem Bagger und anderes Gerät den DDR-Hinterlassenschaften zu Leibe rücken, gleicht dem des sozialistischen Beginns: grauer Beton, Schutt und Müll.

Einheitlich auch die Familienleben – für die meisten ohne Perspektiven bis zum Mauerfall. Sicher, für viele kommt danach schlagartig Farbe ins Spiel – mitunter seltsam deplatziert. Ebenso wie manche mit der Freiheit hinübergespülte West-Errungenschaft. Doch was die Mehrheit der Menschen im Osten glücklich macht, ist für die Frau inzwischen bedeutungslos. Nicht einmal die Liebe – zunächst über die Wende „gerettet“ – kann sie bewahren. Sie fürchtet ihre eigene Nutzlosigkeit und die der Gesellschaft.

 

Der kritische Blick Schochs wendet sich also nicht nur der Vergangenheit zu, sondern durchaus auch der Gegenwart. Es ist ein bemerkenswerter Roman der mehrfach preisgekrönten Autorin („Der Körper des Salamanders“), der vor allem auch Lesern in West empfohlen sei: Hier können sie verstehen lernen, warum manche ihrer ostdeutschen Landsleute auch zwanzig Jahre nach der Vereinigung noch etwas anders ticken.

Literaturangaben:
SCHOCH, JULIA: Mit der Geschwindigkeit des Sommers. Piper Verlag, München 2009. 150 S., 14,95 €.

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