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Dumas-Wälzer „Der Graf von Sainte-Hermine“

Zwischen Rache und Bewunderung

© Die Berliner Literaturkritik, 28.04.09

 

Längst ist das Blut auf dem Platz vor dem Pariser Rathaus getrocknet. Doch das tausendfache grausige Herabsausen des Fallbeins ist noch in aller Ohren. Hin und wieder wird die Guillotine auch im Jahr 1801 wieder aufgebaut. Dann nämlich, wenn ein sich der Verschwörung schuldig gemachter Royalist oder ein gefasster Bandit seinen Kopf verliert. Zwölf Jahre nach dem Beginn der Französischen Revolution und sieben Jahre nach Ende der Grande Terreur setzt die Handlung des Romans „Der Graf von Sainte-Hermine“ ein, der letzte und unvollendete des großen französischen Schriftstellers Alexandre Dumas d.Ä. (1802-1870). Ein Werk, von dem man lange nichts wusste und das in nichts den bekanntesten Werken Dumas („Die drei Musketiere“, „Der Graf von Monte Christo“, „Der Mann mit der eisernen Maske“) nachsteht.

Sollte der literarische Historienmaler ausgerechnet jene Zeit mit Aufstieg und Fall Napoleone Buonapartes (später Napoleon Bonaparte) in seinem umfassenden Gesamtwerk unberücksichtigt gelassen haben, die er als Kind selbst miterlebt hat? Der französische Dumas-Forscher Claude Schopp wollte das nicht glauben und suchte konsequent nach gegenteiligen Beweisen. Doch war es eher Zufall, dass er 1990 auf Manuskripte von „Le Chevalier de Sainte-Hermine“ in der Pariser Nationalbibliothek stieß. Die als Fortsetzungsroman 1869 im „Moniteur universel“ erschienenen Folgen hatte Dumas bis zu seinem Tod selbst noch teilweise in Buchform veröffentlicht.

Bei seinen ausgedehnten Recherchen stieß Schopp in Prag auf weiteres Material, das die Schlusskapitel bilden – und doch nicht das Ende des „Grafen von Sainte-Hermine“. Im Jahr 2005 kam Schopps Dumas-Puzzle als französische Originalausgabe auf den Markt, also 135 Jahre nach dem Tod des Romanciers. Nun ist der wunderbare Abenteuerroman auch auf Deutsch zu lesen. Endlich.

Napoleon, inzwischen Erster Konsul der Französischen Republik, bezieht mit Gattin Josephine die Tuilerien, jenen Palast, der vorletzte Station König Ludwigs XVI. vor seinem Gang zum Schafott war. Es hat durchaus royale Züge, das neue Leben des künftigen Kaisers der Franzosen. Seine politischen Fäden spinnt er in fürstlicher Umgebung. Statt auf Feldzügen gibt er auf Festen den Ton an. Doch bei allen Vergnügungen behält er das von inneren und äußeren Feinden bedrohte Land und die durch die Revolution erwirkten Errungenschaften im Blick – nicht ohne dabei nach der Krone zu schielen.

Überhaupt nimmt das Leben und die Politik des Korsen viel Raum in dem opulenten Werk ein, ebenso ein Großteil der französischen Geschichte vor der Revolution, die Beziehungen zu den europäischen Nachbarländern, insbesondere zum Erzfeind England, und historische Persönlichkeiten, die man kennen sollte, um den Roman zu verstehen.

Es dauert fast die Hälfte der 1040 Seiten, bis die Titelfigur zum ersten Mal in Erscheinung tritt, der Graf von Sainte-Hermine. Als Sohn eines guillotinierten Adligen, der Rache schwören musste, befindet er sich in einem heftigen Zwiespalt, denn Sainte-Hermine kann Bonaparte seinen Respekt nicht versagen.

Zudem befürwortet Napoleon seine Verbindung mit einer Freundin Josephines. Doch kurz vor der Eheschließung wird der an seinen Eid gebundene junge Graf als Rebell sozusagen zwangsverpflichtet. Und damit beginnen seine Abenteuer und die eigentliche Geschichte des Romans. Es ist schier unglaublich, welchen Gefahren Dumas seinen Helden aussetzt, wobei er ihn rund um die Welt schickt, um schließlich doch in die Dienste Napoleons zu treten, anstatt ihn zu bekämpfen.

So nimmt Sainte-Hermine an der Trafalgar-Schlacht teil und wird als jener Mann verehrt, der Lord Nelson ins Jenseits schickte. Er befreit das unter napoleonischer Herrschaft stehende Italien von Banditen und sichert mehrmals dem inzwischen zum Kaiserreich avancierten Frankreich seine bereits ausgedehnten Grenzen – doch immer fernab seiner großen Liebe.

Vieles in diesem faszinierenden Buch ist geschichtlich belegt. Dumas selbst sah sich eher als „romanhafter Historiker“ denn als „historischer Romanschriftsteller“. Dennoch gibt es einige sachliche Unstimmigkeiten und zeitlich verdrehte Abfolgen, was dem geübten Dumas-Leser sicher bekannt vorkommt, den Gesamteindruck aber nicht schmälert. Auch die großen Zeitsprünge und plötzlichen Ortswechsel verwirren nicht so, als dass man der Handlung nicht folgen könnte. Gleiches gilt für die fast unüberschaubare Zahl der aufgeführten historischen oder fiktiven Personen – zu letzteren gehört auch Sainte-Hermine.

Letztlich ist das wohl auch der ursprünglichen Form als Fortsetzungsroman geschuldet, denn viele der 119 Kapitel, zu denen sich noch drei Kapitel aus den „Prager Manuskripten“ gesellen, wurden von dem Vielschreiber vermutlich mit heißer Nadel gestrickt. Zum besseren Verständnis – ber auch unabhängig davon – sollte unbedingt der Anhang von Claude Schopp gelesen werden. Denn hier findet der Roman ohne Ende doch noch sein Ende – anz so, wie es sich Dumas zu Beginn seines Riesenprojekts vorgestellt hatte.

Von Frauke Kaberka

Literaturangaben:
DUMAS, ALEXANDRE: Der Graf von Sainte-Hermine. Aus dem Französischen von Melanie Walz. Blanvalet Verlag, München 2009. 1040 S., 24,95 €.

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