Von
einem möglichen Tieftauchrekord von 300 Metern ist die
Rede, denn der 21 jährige Sagan verfügt über
ein Lungenvolumen von 14 Litern, wobei die gentechnische
Veränderung der Architektur seines Blutplasmas von
Sagan weiterhin energisch bestritten wird. Ob die Teilnehmer
des Design-Marathon 2032 Veränderungen des
Lungenvolumens oder des Muskelgewebes vorgenommen haben,
wird man indess an ihrem Quellcode feststellen.
Auch die anderen Nachrichten
dieses Tages im Jahres 2028 malen ein düstere Bild der
Zukunft: In Lybien sind ölfressende Bakterien in ein
Ölfeld eingedrungen, in Amerika werden Schauspieler
entführt, um ihnen Eizellen zu entnehmen, die dann auf
dem Schwarzmarkt für gewaltige Summen gehandelt werden.
Und schon der Titel zeugt davon: Ein Kloonexperiment der
Maria Callas. Die Callias-Schwestern wachsen auf der Seatown
auf, wo, wie eine Nachricht vermeldet, an bakteriologischen
Waffen gearbeitet wird. Die Seatown ist jetzt endlich
geortet worden, auf Position 50°53'N 17°54' W, in
1640 Fuß Tiefe. Was auf ihr geschah ist Thema der
Hauptgeschichte, die der Reiseschriftsteller Joe Ellis
erzählt.
Diese Geschichte beginnt wie
folgt: "ATLANTIK 08.25 am. Seit es hell geworden ist halte
ich Ausschau nach Überlebenden. Leichter Wind von
Nordwest. Kein Kopf. Keine Bewegung. Kein Schiff. Kein
Flugzeug. Nachts geschlafen. Kurz. Wie ausgeschaltet. Dann
gerufen, eine Stunde, oder zwei. Keine Antwort. Habe eine
Signalfackel gezündet. Kein Ton. Kein Zeichen. Kein
Gegenfeuer. Aber die Wale sind zurückgekehrt." Der Text
ist lang und hält bis ans Ende an seiner poetischen
Qualität fest.
Aber er ist linear und
könnte, so der mögliche Einwand, ebensogut auf
Papier existieren. Nicht ganz. Denn die spezifische
Erzählsituation funktioniert nur im Internet. Die
Erzählung ist eingebettet in eine Website, die wie das
Medienangebot einer Nachrichtenagentur aussieht und sich
auch so verhält. Da werden Bilder, Graphiken, Karten
angeboten, die überhaupt nichts erhellen, da gibt es
Links zu vertiefenden Informationen und Formulare für
Rückmeldungen, für die einem der Einwahlcode
fehlt. In diesem Setting liegt der medienkritische Akzent
des Beitrages. Nicht die angebotenen Informationen allein
malen ein düsteres Zukunftsbild, die Umstände des
Angebots vervollständigen dieses - als Text zwischen
den Zeilen. Die spezifischen Eigenschaften des digitalen
Mediums werden in ästhetischer Hinsicht genutzt.
Aus dem
Interview
mit dem Autor:
dd:
Wie kamst du zum Schreiben digitaler Literatur?
ALS: Der Beginn
meiner Auseinandersetzung mit digitaler Literatur fällt
präzise auf die Entdeckung der Ausschreibung des
Wettbewerbs literatur.digital 2001 von dtv und T-online Ende
Mai 2001. Ich hatte mich während einer Reise von Site
zu Site durch das Internet zufällig auf dem Portal des
dtv-Verlages eingefunden und in mir sofort ein für mich
typisches Hitzegefühl verzeichnet, ein Signal, das mir
anzeigt, das ist etwas Spannendes, das möchtest Du
versuchen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keinerlei Erfahrung
in der Gestaltung von Hypertexten, weder verfügte ich
über Kenntnisse in Programmierung, noch hatte ich eine
eigene Homepage gestaltet, auch hatte ich bis dahin
Hypertexte nur in sehr bescheidenem Umfang wahrgenommen.
dd:
Welche Erfahrungen hast du bei der Produktion digitaler
Literatur gemacht?
ALS: Während
dieses Prozesses des Gestaltens und des Lernens, war mir zu
jeder Zeit bewusst, dass ich nicht eigentlich programmiere,
sondern programmieren lasse. Von Zeit zu Zeit habe ich die
Codeansicht <Dreamweavers> verwendet, um die erzeugte
Sprache, den digitalen Code der eben bearbeiteten Seite zu
betrachten. Da war nun Maschinensprache zu sehen, eine von
mir nicht lesbare Sprache, aber auch mein mit dem Kopf
unmittelbar erzeugter Text, gewohnte, erlernte, lesbare
Zeichenfolge, in unbekannte, nicht lesbare Sprache
eingebettet. Das war spannend. Auch zu sehen, dass
eingesetzte Bilder dort nicht als Bilder erscheinen, sondern
durch einen codierten Befehl herantransportiert werden, dass
also die sichtbare, auf dem Bildschirm erscheinende Seite,
eine Haut darstellt und darunter ist Leben, darunter
vollziehen sich Prozesse, im Falle eingesetzter Animationen,
unaufhörlich.
Ich habe die Erfahrung
gemacht, dass in der Produktion digitaler Literatur elegante
Optionen dafür bestehen, mit Zeit und Raum zu spielen,
mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, mit Bestimmung und
Zufall. Ich könnte, so stelle ich mir vor, einen Text
programmieren, der sich zur Stunde Null jeden Tages neu
strukturiert. Ein Lebewesen also könnte entstehen, ein
Text dessen weitere Ebenen sich zu einer bestimmten Zeit nur
öffnen lassen, oder innerhalb eines bestimmten
Zeitraumes erkundet sein müssen, um ein
Zurücksetzen an den Anfangspunkt zu
vermeiden.
dd:
Der Haupttext der Callas Box ist einem Romanprojekt
entnommen. Inwiefern bedarf er dann des digitalen
Mediums?
ALS: Während in
dem Roman-Projekt der <International Metamorphosis
Observer>, die <Seatown> und ihre Besatzung sehr
eng miteinander in Verbindung stehen, habe ich in dem
Projekt Callas Box den IMO zu einem entfernten,
übergeordneten Organ erhoben, in dessen aktuellen
Meldungen und Dokumentationen nun diese Tragikkomödie
auf dem Atlantik unter anderen merkwürdigen
Entwicklungen aufleuchtet. Der Roman, die Geschichte der
<Seatown>, war plötzlich zur Miniatur geworden,
eine Meldung in einem online-Medium, Dokumentation, und Joe
Ellis` Geschichte selbst digitalisierte Spur eines
Verschwindenden, eines von manipulierten, wohlmeinenden
Walen, bis zur Lebensgefährlichkeit hin
geschützten Lebewesens.
Indem sich der Leser durch
den Räume des Projektes bewegt, sollte es ihm
möglich sein, die Story weiterzudenken, aber auch einen
Eindruck zu erhalten von der Welt, wie sie sich dort
abzeichnet in Meldungen über diese Welt, einem
Schatten. Es ist eine tragikkomische Welt, in der
fürchterliche Geschichten sich ereignen und
amüsante, in der nichts sicher ist, nicht die Zeit,
nicht das Alter der Menschen, ihre Erscheinung, nicht die
Funktionstüchtigkeit des World Wide Web.

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