www.dichtung-digital.com/2001/11/30-Wettbewerb

Wettbewerb Literatur.digital 2001
Autoren und Beiträge
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AutorInnen:

Andreas Luis Seyerlein

Beitrag:

Die Callas Box

Antworten von:

Andreas Luis Seyerlein



Wie kamst du zum Schreiben digitaler Literatur? Und wie verhalten sich für dich dabei dessen verschiedene Sprachen - Wort, Programmierung, Bild - zueinander?

Der Beginn meiner Auseinandersetzung mit digitaler Literatur fällt präzise auf die Entdeckung der Ausschreibung des Wettbewerbs literatur.digital 2001 von dtv und T-online Ende Mai 2001. Ich hatte mich während einer Reise von Site zu Site durch das Internet zufällig auf dem Portal des dtv-Verlages eingefunden und sofort ein für mich typisches Hitzegefühl verzeichnet, ein Signal, das mir anzeigt, das ist etwas Spannendes, das möchtest Du versuchen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keinerlei Erfahrung in der Gestaltung von Hypertexten, weder verfügte ich über Kenntnisse der Programmierung, noch hatte ich eine eigene Homepage gestaltet, auch hatte ich bis dahin Hypertexte nur in sehr bescheidenem Umfang wahrgenommen. Marc Amerikas Gammatron war mir ein Begriff, ich hatte längere Zeit zurück Julio Cortazar's Rayuela gelesen, hatte eher lineare Projekte wie Thomas Hettches NULL oder Rainald Goetz Abfall für alle verfolgt und Plattformen, wie das Forum der 13.

Das war der Ausgangspunkt. Und da war eine Deadline. Ich hatte 78 Tage und ein paar Stunden Zeit. Ich hatte einen Computer und eine Idee im Kopf, Callas Box. Und so habe ich einen Tag später die Arbeit aufgenommen.

Sehr bald wurde deutlich, dass der verfügbare Zeitraum nicht genügen würde, eine Programmiersprache in ausreichendem Umfang erlernen zu können. Ich habe deshalb eine Art <Übersetzungsprogramm> angeschafft, Dreamweaver 4 Fireworks 4 Studio.

Dann <Learning by doing>, Tag und Nacht, ein paralleles Erarbeiten des Hypertextraumes, der Story, der graphischen Gestaltung, des Bildeinsatzes, der Möglichkeiten und Notwendigkeiten des verwendeten Programms. Indessen aber auch die Arbeit in meinem Job, einer Teilzeitbeschäftigung, die mit der Herstellung von Kunst nicht in Verbindung steht, mir aber ein recht sorgenfreies, künstlerisches Arbeiten ermöglicht.

Während dieses Prozesses des Gestaltens und des Lernens, war mir zu jeder Zeit bewusst, dass ich nicht eigentlich programmiere, sondern programmieren lasse. Von Zeit zu Zeit habe ich die Codeansicht <Dreamweavers> verwendet, um die erzeugte Sprache, den digitalen Code der eben bearbeiteten Seite zu betrachten. Da war nun Maschinensprache zu sehen, eine von mir nicht lesbare Sprache, aber auch mein mit dem Kopf unmittelbar erzeugter Text, gewohnte, erlernte, lesbare Zeichenfolge, in unbekannte, nicht lesbare Sprache eingebettet. Das war spannend. Auch zu sehen, dass eingesetzte Bilder dort nicht als Bilder erscheinen, sondern durch einen codierten Befehl herbeitransportiert werden, dass also die sichtbare, auf dem Bildschirm erscheinende Seite, eine Haut darstellt und darunter ist Leben, darunter vollziehen sich Prozesse, im Falle eingesetzter Animationen, unaufhörlich.

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Welche Erfahrungen hast du bei der Produktion digitaler Literatur gemacht? Wo siehst du die entscheidenden Herausforderungen? Wo lauern die Gefahren?

Nun, eine wesentliche Erfahrung ist gewesen, Zeit und Raum in anderer Weise, neu denken zu müssen und denken zu können. So habe ich mit der Gestaltung des Gehäuses des <International Metamorphosis Observer> ein Stück Wirklichkeit simuliert. Das war etwas Neues für mich und tatsächlich aufregend.

Ich komme von der Arbeit auf dem Papier her. Ich bewirke dort durch die Aneinanderreihung von Worten Zeitaufwand bei einem Leser, der sich auf meinen Text einlassen möchte. Indem Zeit vergeht, indem sich der Leser die Wortlinie entlang arbeitet, entstehen im Kopf des Lesers Bilder, die ich anstoße, deren Reihenfolge, deren Frequenz ich gewissermaßen lenke, auch die tatsächliche Entwicklung der Figuren, ihre Beziehungen, Ursache und Wirkung, Himmel und Hölle, die Temperatur der Landschaft. Habe ich gut gearbeitet, habe ich einen Code bereitgestellt, der eine spannende, sinnliche Inszenierung des Textes im Kopf des Lesers gestattet, dann habe ich gewonnen und der Leser wird mir bis ans Ende der Wortreihe folgen. Natürlich ist der Leser als letzte Instanz einer Aufführung des Textes für die Qualität der Performance mitverantwortlich. Auch dafür, ob er und an welcher Stelle er die Inszenierung unterbrechen wird, für eine Nacht beispielsweise, ob er noch einmal im Text zurückgehen oder zunächst die letzte Seite anlesen wird. Als Autor eines linearen Textes habe ich innerhalb des Textes keine Weichen eingesetzt, keine Zeichen, die auf der Seite 57 des Textes den Leser auf Seite 25 zurücksetzen oder eine Unterbrechung des Lesevorganges fordern würden, abgesehen vielleicht von groben Strukturen, die Absätze oder Kapitelfolge bilden können.

In der Produktion digitaler Literatur stehen nun Mittel zur Verfügung, über die ich als Autor linearer Literatur für das Papier, nicht so ohne weiteres, sagen wir elegant verfüge, oder überhaupt nicht verfüge. Ich kann beispielsweise Verhaltensweisen programmieren. Ich kann sagen, dieser Pfad öffnet sich nur dann, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind. Ich kann mich auf den programmierten Zufall berufen, um für jeden neuen Lektüreansatz einen neuen Zugang zu programmieren. Ich kann dem Leser Mitgestaltungsoptionen eröffnen, ich kann ihm einen Bausatz verfertigter Fragmente offerieren, so dass er sich als Forscher, als Detektiv (Beat Suter) die Geschichte oder andere Geschichten erschließen muss und kann.

Diese Optionen unterscheiden sehr wesentlich digitale Literatur von nicht digitaler Literatur. Ich kann natürlich auch innerhalb eines Buchgefäßes Weichen stellen, ich kann sagen, Variante 1 [tragisch] > lesen Sie weiter, und ich kann sagen, Variante 2 [komisch] > lesen Sie weiter auf Seite 88. In diesem Falle hätte das Tragische jedenfalls einen Platz im Buch, wäre sichtbar, würde einen Raum einnehmen, müsste übersprungen werden. Dazu im Gegensatz erscheint im elektrischen, im digitalen Raum eines Hypertextes nur jene Variante, die ich durch Bewegen des elektrischen Fingers bedeute und damit aktiviere. Alles andere bleibt im Dunkel, ist O, ist Möglichkeit, ist Option, kann auf 1 gestellt werden.

Als Autor digitaler Literatur ist es also möglich auf elegante Weise in Varianten zu erzählen. Ich kann den Leser in ein Looping schicken, ohne dass er das zunächst bemerken würde, in eine Schleife, deren Wesen er erst dann erkennen würde, wenn er an den Ausgangspunkt zurückgekommen sein wird. Überhaupt ist es möglich, und das scheint mir eine sehr spannende Angelegenheit zu sein, den eigentlichen Umfang eines Hypertextes im Verborgenen zu halten. Der Leser eines Buches wird sehr sicher sagen können, das ist ein dickes Buch oder das ist ein dünnes Buch, viel Text oder wenig, viel Zeit im Text oder Text nur für eine Stunde, ohne natürlich darüber befinden zu können, ob er die geistigen Dimensionen des Stundentextes in seinem Leben jemals wird ausmessen können. Dem Leser eines digitalen Textes dagegen kann grundsätzlich im Verborgenen bleiben, über welche räumlichen Dimensionen die digitale Textur verfügt, die er eben zu erarbeiten beginnt. Dieser Text, dessen Portal eröffnet ist, kann ein sehr flaches Gebilde sein, oder aber über 400 oder 500 Ebenen verfügen, die kunstvoll vernetzt sind, vielleicht sind so viele Varianten angelegt, dass ein Menschenleben nicht ausreichte, alle möglichen Wege zu beschreiten.

Ich habe also die Erfahrung gemacht, dass in der Produktion digitaler Literatur elegante Optionen dafür bestehen, mit Zeit und Raum zu spielen, mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, mit Bestimmung und Zufall. Ich könnte, so stelle ich mir vor, einen Text programmieren, der sich zur Stunde Null jeden Tages neu strukturiert. Ein Lebewesen also könnte entstehen, ein Text dessen weitere Ebenen sich zu einer bestimmten Zeit nur öffnen lassen, oder innerhalb eines bestimmten Zeitraumes erkundet sein müssen, um ein Zurücksetzen an den Anfangspunkt zu vermeiden. Spielerische Elemente also könnten verwendet werden und eben der Zufall, der, wenn gewünscht über einen Generator beliebig viele Portale innerhalb eines kristallin angelegten Hypertextes ansteuern würde.

Selbstverständlich sehe ich die Herausforderung, doch recht bedeutenden Gefahren begegnen zu müssen und zu dürfen. Je aufwendiger, je komplizierter die digitale Struktur des Textes gedacht ist, je nuancierter beispielsweise der Einsatz der gates, der Hyperlinks, desto stärker möglicherweise die Beeinträchtigung der Lesbarkeit des Textes, des Leseflusses, der Möglichkeit in einen Text einzutauchen, unterzugehen, also textamphibisch zu werden, halb Textwelt, halb noch lesendes Individuum. Es ist also stark die Frage zu berücksichtigen, kann sich der Leser dieses Textes, den ich mache, diesen Text noch mit Lust, mit Genuss erschließen, oder scheitert er bereits daran, einen Zugang zu finden. Nichts scheint mir wichtiger zu sein, als in der Phase der Konzeption die Frage zu klären, an wen wende ich mich, an Wahrnehmungsspezialisten oder an ein Publikum, das die Wahrnehmung digitaler Techniken zunächst erlernen muss. Ich denke, es ist von zentraler Bedeutung, einzusehen, dass die Wahrnehmung digitaler Literatur erlernt werden muss, zu einer bereits kindlichen Erfahrung werden muss, erlernt also, wie vor etwas mehr als hundert Jahren, das Wahrnehmen eines Film erlernt werden musste, die Technik des Schnitts.

Während ich an der Callas Box arbeitete, habe ich Einblick erhalten in eine für mich hochinteressante Vielfalt neuartiger Gestaltungsmöglichkeiten. Und ich bin natürlich rasch an meine Grenzen gekommen. Nicht nur deshalb, weil da tiefgehende Kenntnisse der Programmierung notwendig sind, um einen Text zu generieren, der sich wie ein Lebewesen verhält, sondern auch deshalb, weil ich Aufgaben übernehmen musste, die unter anderen Umständen von Graphikern eines Verlages übernommen werden, Raumgestaltung also, Seitenlayout, Schriftauswahl, Einbindung und Manipulation von Bildern, Zeichnung, Farbkonzept, Entscheidung über Bewegung oder Bewegungslosigkeit. Schon die Organisation der Ordnerstruktur war nicht ganz einfach, immerhin verfügt Callas Box über annähernd 1200 Dateien, die ich wiederfinden wollte, wenn das einmal notwendig werden sollte.

Ich habe also für mich bestimmt, dass es in der Kürze der Zeit nicht möglich ist, eine hochkomplexe, interaktive Struktur zu entwickeln, sondern mich für einen eher einfach gestalteten Hypertextraum entschieden. Ich habe Ideen, die mir mit kompetenter Unterstützung und mehr Zeit zu realisieren möglich gewesen wäre, sorgfältig notiert. Somit war die Umsetzung der Callas-Box zugleich auch eine Erkundung weiterer, zukünftiger Projekte, aber auch ein Prozess, der mir zahlreiche Gefahren anzeigte, gerade für meine weitere schriftstellerische Arbeit.

Ich denke, es wird in Zukunft nicht immer leicht fallen, zu entscheiden, ob ich nun ein Stück digitaler Literatur anstrebe oder aber einen linearen Text, der nur aus Worten besteht, ihrem Zauber, ihrer Möglichkeit einen bewegten Film im Kopf des Lesers einzuspielen. Diese Entscheidung sehr frühzeitig zu treffen, wird aber bedeutend sein, um verhindern zu können, dass unentschiedene Wesen entstehen, Werke, die das eine nicht mehr richtig sind und das andere noch nicht.

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Zur Spezifik deines Beitrags als ein Beispiel für digitale Literatur. Die Callas Box ist in ihrem Hauptteil - den Aufzeichnungen des schiffbrüchigen Joe Ellis - im Grunde ein linearer Text, der auch auf dem Papier funktionieren würde. Die Einbettung dieses Textes in die Webseite des International Metamorphosis Observer macht daraus dann freilich doch noch ein Projekt, das sich der spezifisches Eigenschaften des Mediums bedient. Wie Verhalten sich Dein Haupttext und diese Einbettung zueinander. Wie entscheidend ist die mediale Einbettung der Story für das Verständnis der Story selbst?

Callas Box, die Figuren dieser Arbeit, das Schiff, die Wale, die Orte ihres Auftretens, sind einem größeren Romanprojekt entnommen.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung einen Ausschnitt dieses Romanprojektes als digitalen Text für den Wettbewerb zu erarbeiten, war keine der agierenden Figuren zu Papier gebracht. Da waren Entwürfe, Skizzen, Stichworte. Der zentrale Text der Callas Box, also Joe Ellis Aufzeichnungen, wurde in den letzten vier Wochen vor Abgabetermin aufgeschrieben. Ich habe natürlich die Struktur, die Entwicklung des Textes ziemlich genau im Kopf gehabt, so dass ich während der Gestaltung des <International Metamorphosis Observer> als Raum, beide Komplexe, Text und Raum, gegenseitig immer wieder einander annähern konnte. Spannend war es wieder einmal zu sehen, wie sehr sich die in der Erzählung des Joe Ellis auftretenden Figuren selbstständig gemacht haben. Insbesondere Mrs. Callas hat sich zu einer sehr starken Persönlichkeit entwickelt, ich hatte höchstes Vergnügen mit ihr, aber auch mit den Walen der <Seatown>, die doch bedeutende und sehr wirkungsvolle Charaktere geworden sind.

Der <International Metamorphosis Observer>, online-Medium des Jahres 2028, ist nun selbst eine Figur, eine Instanz meines Romankonzeptes. Die von mir bereits angesprochene Hitzewelle bei der Entdeckung des Wettbewerbes, ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass ich die Chance erkannte, dieses Medium, soweit meinen bescheidenen Mitteln zur Zeit möglich, auf dem Papier nicht nur zu behaupten, zu beschreiben, sondern tatsächlich simulieren zu können.

Die Option einer Simulation, das war das Aufregende, das Spannende gewesen.

Während in dem Roman-Projekt der <International Metamorphosis Observer>, die <Seatown> und ihre Besatzung sehr eng miteinander in Verbindung stehen, habe ich in dem Projekt Callas Box den IMO zu einem entfernten, übergeordneten Organ erhoben, in dessen aktuellen Meldungen und Dokumentationen nun diese Tragikkomödie auf dem Atlantik unter anderen merkwürdigen Entwicklungen aufleuchtet. Der Roman, die Geschichte der <Seatown>, war unvermittelt zur Miniatur geworden, zur Meldung innerhalb eines elektronischen Mediums, Dokumentation, und Joe Ellis` Geschichte selbst digitalisierte Spur eines Verschwindenden, eines von manipulierten, wohlmeinenden Walen, bis zur Lebensgefährlichkeit hin geschützten Lebewesens.

Während ich die elektrischen Räume der Callas-Box entwickelte, während ich die Auswahl der Bilder traf, Bilder, die jeweils Ausschnitte anderer, größerer Bilder zeigen, und in ihrer Erscheinung auf dahinter liegende Räume und ihre Inhalte verweisen, war da auch die Idee, Joe Ellis Stimme aufzunehmen, Geräusche von Wasser, von Wind, die Stimmen der Wale. Aber ich hatte wenig Zeit und so habe ich Charlie eingeführt und Charlies Auge, Charlies Gedächtnis, Charlies Fühler. Wir sehen, in dem wir lesen, das Meer, die geographische Position der Rettungsinsel, Luftdruck und Temperatur, die aktuelle und die ablaufende Zeit, das nahende Ende der Kommunikation, und auch die Wale. Seite für Seite also einen Ausschnitt, eine Photographie der gewaltigen Kuppel, die das Drama um Joe Ellis überspannt.

Indem sich der Leser durch den Räume des Projektes bewegt, sollte es ihm möglich sein, die Story weiterzudenken, aber auch einen Eindruck zu erhalten von der Welt, wie sie sich dort abzeichnet in Meldungen über diese Welt, einem Schatten. Es ist eine tragikkomische Welt, in der fürchterliche Geschichten sich ereignen und amüsante, in der nichts sicher ist, nicht die Zeit, nicht das Alter der Menschen, ihre Erscheinung, nicht die Funktionstüchtigkeit des World Wide Web. Ich folge dem von mir sehr verehrten Friedrich Dürrenmatt, seiner kurz vor seinem Tode in einem Interview zum Ausdruck gebrachten Verwunderung, dass sich Schriftsteller der heutigen Zeit, nicht darum kümmerten was in den Laboren der Welt, in den Naturwissenschaften vor sich gehe.

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Wie siehst du die Zukunft der digitalen Literatur und wie siehst du sie für dich speziell?

Digitale Literatur hat eine spannende Zukunft vor sich. Da bin ich sicher. Nicht nur deshalb, weil Generationen heranwachsen, die, wenn überhaupt, Literatur weitgehend über das elektrische Medium des Computers wahrnehmen werden. Generationen vor allem, deren Wahrnehmung der Welt sehr stark von der Möglichkeit der Simulation geprägt sein wird - womit man spielen kann, ist interessant, was man verändern, zusammensetzen, manipulieren kann, ist spannend, wenn ich etwas selbst zusammenbauen kann und erforschen, ist das <mega-in>. Hier bietet sich eine Chance für interaktive Literatur, Literatur, die unterschiedliche mediale Konzepte zusammenführt. Hier ist aber auch die Gefahr verankert, dass eigentliche Geschichten, Stories, Inhalte, narrative Zusammenhänge, verschwinden oder so unbedeutend werden, dass die Definition des Objektes als <Literatur> zu hinterfragen wäre. Ich sehe die Gefahr, dass Sprache, sprachlicher Ausdruck hinter Bewegung, hinter bewegten Bildern vollständig verschwinden wird, dass also das Kino im World Wide Web zum Standart werden wird. Hier wird sich sprachlicher Ausdruck behaupten müssen.

Aber da ist noch die Welt der elektrischen Aufführungsmaschinen jenseits des Netzes. Seit Xerox, im vergangenen Jahr glaube ich, programmierbares, elektrisches Papier zur Produktionsreife führte, seit über e-books nachgedacht und seit die Kapazitäten, die Formate tragbarer Computer für Anwender immer angenehmer werden, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass digitale Literatur einen Platz in dieser Welt, im Alltag der Menschen zu erobern vermag. Weshalb nicht mit Stefan Maskiewicz' Quadrego in der U-Bahn reisen und die Haltestelle verpassen.

Mit dieser Perspektive hoffe ich natürlich, dass sich Verlage, wie nun bereits der dtv-Verlag, der Förderung dieses Genres öffnen werden. Vor allem hoffe ich auf eine höher werdende Frequenz gut dotierter Wettbewerbe. Ich könnte mir vorstellen, dass dann auch große und größere Talente des bestehenden Literaturbetriebes, vielleicht auch arrivierte Autoren und Autorinnen sich auf dieses Feld vorwagen werden. Ganz sicher scheint mir zu sein, dass verstärkt Projekte in Koproduktion entstehen werden, Dichter und Dichterinnen, Musiker, Programmierer, Animateure und auch Experten der Finanzwirtschaft sich zusammenschließen werden.

Gleichfalls bin ich aber sicher, dass das Medium des Buches überleben wird, der linear erzählte Text, die Aufführung im Kopf, der Text, mit einem Bleistift auf eine Kaffeehausserviette geschrieben, Graffiti, als Auftrag und Eintrag mit einfachsten Mitteln, die Struktur der mündlichen Erzählung.

Ich selbst habe vor, sowohl herkömmlich, also rein für das Papier zu arbeiten, aber auch sehr intensiv an Projekten digitaler Literatur. Mein besonderes Interesse gilt indessen der Beobachtung jener Spannung und ihrer Ursachen, die ich zwischen beiden Genres jetzt schon spüre. Das ist ein Abenteuer für sich und so gesehen, ein derart interessanter Gegenstand, dass daraus ein Motiv erzählender Literatur entstehen dürfte.

Die Wirklichkeit ist so wirklich wie die Methode ihrer Wahrnehmung. So habe ich jetzt die Möglichkeit eine weitere Wahrnehmungsmethode an meine Welt anzulegen. Die Arbeit an einem digitalen Projekt ist bereits eröffnet. Ein Speicherplatz im Internet angemietet, Ort einer elektrischen Fabrik sozusagen. Mehrere Künstler und Künstlerinnen werden zusammenwirken. Die Veröffentlichung der Arbeit ist für das Frühjahr 2004 vorgesehen.

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