www.dichtung-digital.com/2001/11/30-Wettbewerb

Wettbewerb Literatur.digital 2001
Autoren und Beiträge
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AutorInnen:

Julius Raabe

Beitrag:

Knittelverse (Review)

Antworten von:

Julius Raabe



Wie kamst du zum Schreiben digitaler Literatur? Und wie verhalten sich für dich dabei dessen verschiedene Sprachen - Wort, Programmierung, Bild - zueinander?

Die freie Verbindung der verschiedenen Sprachen ermöglicht einen sehr spielerischen Umgang mit dem nun nicht mehr ganz so neuen Medium. Der Spieltrieb und die Neugier auf die Verbindung der diversen Ausdrucksformen boten mir einen starken Antrieb für die ersten unsicheren Versuche im Bereich der digitalen Literatur. Das technische Handwerk wurde zudem durch den täglichen beruflichen Umgang mit dem Computer geschult (auch wenn ich mich, soweit es die Programmierung betrifft, schwer überschätzt habe) und so fiel mir zumindest der Anfang sehr leicht.

Auschlaggebend für die Beschäftigung mit der digtalen Literatur war der ausgeschriebene Wettbewerb. Ein Wettbewerb bietet ein Forum, liefert Kritik und setzt ein zeitliches Limit für eine Arbeit. Dieser Rahmen war sicher nicht nur mir sehr wichtig.

Als Architekt ist mir der Umgang mit verschiedensten Ausdrucksformen wohl geläufig. Wahrscheinlich hat schon Imoteph seine ersten Pyramidenprojekte in der Verbindung von Zeichnung, Modell (3D und Echtzeit), Rhetorik, Kostenmorphing und Verwaltungsprosa multimedial präsentiert.

Die Verbindung der verschiedenen Ausdrucksformen nun nicht in einen Dienst zu stellen, sondern gleichsam mit einem Eigenleben zu versehen, ist eine spannende Aufgabe.

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Welche Erfahrungen hast du bei der Produktion digitaler Literatur gemacht? Wo siehst du die entscheidenden Herausforderungen? Wo lauern die Gefahren?

Am Beginn einer Arbeit steht ein Konzept. Diese "Absichtserklärung" will nun in der Folge inhaltlich und handwerklich ausgearbeitet werden. Da es sich hier um meine erste Arbeit in diesem Bereich handelt, verstrickte ich mich sehr schnell in den digitalen Fallen der Programmierung, was sicher zu Lasten der Literatur geschah. Hier ist die erste Eigenart der digitalen Literatur beschrieben. Der Autor muß etwas mehr als nur eine Schreibmaschine bedienen können, er muß sich Fähigkeiten aneignen, die sich sehr von jenen unterscheiden, die er gemeinhin pflegt und entwickelt. Beim Programmieren wird er in jedem Computerprogramm einen gnadenlosen Lektor finden. Wie ein Musiker muß der Autor sein Instument blind beherrschen, es sei denn er findet jemanden, der nach seinen Anweisungen spielt. Ich versuche mich gerade an den ersten Tonleitern. Die Herausforderung besteht darin, beide Bereiche zu verbinden.

Die zweite Eigenart der digitalen Literatur zeigt sich, wenn der Autor sein Instrument virtuos beherrscht und dann richtig aufspielen möchte. Hier lauert die Gefahr, daß eine visuelle Dominante die Arbeit bestimmt. Diese Problematik führt zu der Frage nach der Form, nach der Tarierung aller eingesetzten Mittel, die sich gemeinsam dem Konzept unterordnen müssen.

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Die Knittelverse konfrontieren einen zunächst mit George Grosz' Bild Brillantenschieber im Cafe Kaiserhof, dem man durch Klicks erst die Geschichten der abgebildeten Personen in Versform entlocken muss. Ein recht interessanter Ansatz, der mit dem versteckten Text im und in diesem Falle unter bzw. hinter dem Bild spielt. Wie kamst du auf diese Idee?

Für mich war die Frage nach den Besonderheiten der digitalen Literatur wichtig. Ein Unterschied zu anderen Medien liegt in der Möglichkeit, Varianten einer Geschichte anzubieten, die vom Betrachter entdeckt werden müssen. Diese Varianz wollte ich zu Thema machen. Eine wie auch immer geartete visuelle Gestaltung musste also zwei Aufgaben übernehmen: Sie sollte einerseits den vielen Geschichtchen einen gemeinsamen Rahmen, einen gemeinsamen Ausgangspunkt bieten und andererseits als Navigator fungieren. Ein Bild als Ausgangspunkt einzusetzten lag nahe, eines von Grosz zu wählen nicht.

Die Brillantenschieber erwiesen sich jedoch als dankbares Objekt. Die Art der Darstellung und die Bildaufteilung unterstützten die Möglichkeit kleiner Animationen, die dominanten Köpfe förderten das intuitive Auffindung der Verlinkung und die im Bild ungenannte Beziehung der Schieber zueinander ließen Raum für verschiedene vorstellbare Geschichten.

Knittelverse wurden von den akademischern Wächtern der Poesie lange Zeit als volkstümlich abgelehnt. Zwar hat Goethe sie dann gewissermaßen rehabilitiert, aber Wilhelm Buschs Aufgriff der Knittelverse bestätigte wiederum ihre Eignung als leichte Kost und zwar schon in Verbindung mit dem Bild. Worum ging es dir, als du dem Grosz-Bild Text hinzufügtest?

Die leichte Kost war mir durchaus recht. Ich bin bald von dem Variantenreichtum überrollt worden, weshalb mir auch einige der schlichten Verse nur sehr holperig gelungen sind. Bei der vollen Ausnutzung von je fünf aufeinanderfolgenden Versen mit jeweils 4 Verlinkungen wären insgesamt 1024 Verse nötig gewesen. Ich habe mich redlich bemüht, diese Zahl durch zeitige Abgänge der Protagonisten zu vermindern. Wilhelm Busch hätte mich wahrscheinlich ausgelacht.

Es stimmt aber, daß diese etwas stoppeligen Verse mit der karikaturartigen Darstellung von Grosz einhergehen. Das Schriftbild unterstützt zusätzlich das Gemenge der leichten Kost. Es ging mir um die Unterbringung vieler verschiedener Geschichten in einem übersichtlichen Bild und dem Betrachter sollte sich diese Arbeit ohne Umwege selbst erklären. Die einfachen Texte gehören zu diesem Konzept.

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Wie siehst du die Zukunft der digitalen Literatur und wie siehst du sie für dich speziell?

Die digitale Literatur wird sich etablieren. Die technischen Möglichkeiten sind vorhanden und der unbändige Gestaltungswille einer ganzen Generation, der sich bisher noch vornehmlich in bunten Webseiten austobt, wird beizeiten neue Betätigungsfelder suchen.

Die Vermittlung digitaler Ästhetik im Rahmen des Studiums findet ja schon statt, denn in vielen Bereichen gehören die digitalen Medien bereits zum gängigen Präsentationskanon. Sie sind zwar selten Teil der Lehre, aber dafür häufig selbstverständliche Werkzeuge der Arbeit, mit denen natürlich auch experimentiert wird.

Ich werde, zusätzlich durch den Wettbewerb motiviert, mich an weiteren Projekten versuchen und glaube, daß es da noch unglaublich viele weiße Flecken auf der digitalen Landkarte gibt.

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