In Zeiten wie diesen - temporeich, rasend, anonym, Ich-bezogen - passt "er" ganz und gar nicht hinein. "Er", 46 Jahre alt, verdient sich seinen Lebensunterhalt als Tester und Einläufer von eleganten, handgenähten Luxushalbschuhen.
Bei dieser "Arbeit" kann er seiner Passion am besten frönen: Beim Gehen denken! Dieser intellektuelle Taugenichts ist ein Voyeur des alltäglichen, dem - wie er selbst zu sagen pflegt - "die Berechtigung zum Leben fehlt".
Der Protagonist, aufmerksamer Beobachter vielschichtiger Alltagsminiaturen, erkennt die Exotik banalster Begebenheiten und Kleinigkeiten: die Arbeiterfrau beim Wäscheaufhängen, Kinder auf ihrem täglich gleichen Schulweg, das ewig gleichbleibende Ritual beim Striegeln eines Pferdes oder eine Japanerin beim Essen eines Apfels und die darauf folgenden Probleme bei der Beseitigung des Apfelbutzens (oder vielleicht doch Apfelkrutzen?).
Doch auch in seinem auf stoische Erhaltung bedachten Leben geht es nicht ohne Umbrüche ab. Sein Honorar für das Probetragen wird drastisch gekürzt und die Probleme mit den Frauen in seinem unspektakulären, ereignislosen Leben wachsen dem Flaneur zusehends über den Kopf.
Trotzdem erhält sich dieser Außenseiter seinen Blick für die Dramaturgie des Einfachen; Als Voyeur der Alltagskomik und -tragik "fotografiert" er mit seinen Augen. Die offenkundige Busenfixierung des "Antihelden" wird mit sorgfältiger Diskretion abgehandelt, selbst die eindeutig sexuelle Begegnung mit eindeutigen Problemen entbehrt jeder Peinlichkeit.
Dieses Buch über die Skurrilitäten und Banalitäten des Lebens besticht durch seine unaufdringliche Präzision und feinem hintergründigen Humor. Leise ironisch, melancholisch, poetisch - so präsentiert Wilhelm Genazino diesen stillen, actionlosen und höchst philosophischen "Spaziergang der Sinne", der sich sehr angenehm vom Trubel und der Alltagshektik des Großstadtlebens abhebt.
Ein bezauberndes Spektakulum der Wahrnehmungen - lassen auch Sie sich verzaubern!
© 2003 Wolfgang Gonsch, Harald Kloth
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