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Diane Broeckhoven

Ein Tag mit Herrn Jules


Jeden Morgen Punkt acht beginnt Jules mit seinem Ritual: Tisch decken und Kaffee aufsetzen. Er kümmert sich um das Frühstück, eigentlich das Einzige, was er im Haushalt tut. Wenn dann der Duft von frischem Kaffee bis zu Alice ins Schlafzimmer dringt, wird auch sie wach, vertreibt das Gefühl "in einer Gebärmutter dahin zu treiben und einem neuen Tag entgegen zu schaukeln" und steht auf, um mit ihrem Mann gemeinsam zu frühstücken und wie immer gemeinsam den Tag zu verbringen.

Aber an diesem winterlichen Morgen ist einiges anders. Sie hört zwar in der Küche die letzten Tropfen durch die Kaffeemaschine fallen, findet ihren Jules aber auf dem Ledersofa im Wohnzimmer sitzend. Er erwidert nichts, wenn sie ihn anspricht. Alice setzt sich zu ihm und spürt noch die Wärme seiner Schulter an ihrer. Sie schüttelt und klopft ihn - keine Reaktion. Und erst jetzt merkt sie, dass ihr Mann tot ist.

Entsetzen, Angst und Traurigkeit überkommen sie. Wie geht es jetzt weiter? Wie soll sie ohne ihn durch den Tag kommen? Wie ohne ihn leben? Aber nur für einen kurzen Augenblick quälen sie diese Gedanken. Nein, es geht nicht, dass ihr Jules einfach so geht, wo es noch so viel zu bereden, zu klären und zu offenbaren gibt. Alice beschließt, diesen Tag, diesen einen Tag noch mit Jules zu verbringen, ihn für sich alleine zu haben. Er lebt solange sie das will, solange sie niemandem davon erzählt. Kein Sohn Hermann, kein Arzt, kein Nachbar, kein Bestatter und kein Fremder sollen sie dabei stören. Sie macht einfach weiter: Sie holt die Zeitung, trinkt zum letzten Mal von ihm gemachten Kaffee und redet mit ihm.

Eine alte Frau, die neben ihrem erkaltenden Ehemann den Tag verbringt und Teile ihres gemeinsamen Lebens Revue passieren lässt. Ihr Verstand ist wach und "die Erinnerungen springen unerwartet, wie Teufelchen aus einer Schachtel, hervor".

Da ist zum Beispiel seine Affäre mit einer gewissen Olga. Bis zuletzt hatte ihr Mann keine Ahnung gehabt, dass Alice über die beiden Bescheid wusste. Das erfährt Jules nun jetzt, wo er tot auf dem Sofa sitzt. Oder das gemeinsame Geheimnis von dem verlorenen Baby. Der autistische Nachbarsjunge David wird zu ihrem Verbündeten, indem er Alice bei seiner Mutter nicht verrät und zur täglichen Schachpartie mit Jules kommt, obwohl er merkt, dass der tot ist.

Dieser Tag mit Jules ist auf keinen Fall eine Abrechnung mit ihrem oft dominanten Mann. Es ist der Ausdruck des im Verborgenen gebliebenen Frusts, des Verschwiegenen und des Unerfüllten, das in jeder Ehe vorhanden ist. Es ist vor allem auch der Ausdruck der Dankbarkeit und Liebe. Die auf nur 92 Seiten erzählte Geschichte ist ungewöhnlich, (wer verbringt schon einen ganzen Tag mit einem Toten), bewegend, sehr eindrucksvoll und zärtlich. Sie ist für einen stillen Leser, der staunen und sich wundern kann. Und so taucht man in das Buch ein, um auf zutauchen, aber nun menschlicher, weiser und zufriedener. Eine beeindruckende, einfühlsame und schöne Lektüre.

Ludmila Hück
4 ****

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© 2005 Ludmila Hück, Harald Kloth
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