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Walter Dean Myers

Himmel über Falludscha

Roman

Am 21. Mai 2009 kamen bei verschiedenen, fast zeitgleich durchgeführten Anschlägen im Irak mehr als 70 Menschen ums Leben. Bereits sechs Jahre zuvor hatte jedoch der damalige amerikanische Präsident und Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte, George W. Bush, medienwirksam auf dem Flugzeugträger "Abraham Lincoln" das Ende der offiziellen Kriegshandlungen im Irak bekanntgeben - nur wenig mehr als zwei Monate nach Beginn des Krieges. Dass offensichtlich bereits ab dem Einmarsch eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Darstellung und Wahrnehmung der Sicherheitslage durch die Politik und der Einsatzrealität im Irak bestand, dies beweist nachhaltig das neue Buch des amerikanischen Autors Walter Dean Myers.

Meyers, der eigentlich für seine Kinder- und Jugendromane bekannt wurde, begleitet zu Beginn der Intervention als sogenannter "embedded journalist" eine Einheit für zivil-militärische Zusammenarbeit von ihrem Weg aus der vorgeschobenen Operationsbasis Kuwait über die Einnahme Bagdad und dem Sturz Husseins bis hin zu den verzweifelten Versuchen "nach dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen" die Situation zu stabilisieren und zu konsolidieren. Die dort gewonnenen Erfahrungen verwendet Meyers als Grundlage für seinen quasi autobiografisch verfassten Erlebnisbericht eines fiktiven einfachen Soldaten namens Robin Perry, der sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 (9/11) freiwillig für den Dienst bei der Armee gemeldet hat.

Obwohl (oder gerade weil) nicht in einem Kampfverband an vorderster Front eingesetzt, sind die Männer der Einheit heiß auf ihre Aufgabe, müssen jedoch mangels Aufträge erst einmal ihre Zeit mit untätigem Warten totzuschlagen, während andere Verbände als die Helden gefeiert werden. Nach der Einnahme Bagdads läuft alles irgendwie nach "Schema F" ab, ohne dass Sinn und Zweck der Mission erkannt werden. Zweck und Absicht der Politik sind den einfachen Soldaten nicht bekannt. Diese Situation, eingepfercht in der Hochsicherheitszone der irakischen Hauptstadt, der sogenannten "Green Zone", nagt bald am Enthusiasmus der Männer. Abwechslung in das triste Lagerleben bringen die wenigen Einsätze auch außerhalb des Lagers. Diese nicht ungefährlichen Einsätze werden gerne ausgeführt - ja, bis bei einem Auftrag der erste Kamerad der Einheit seinen Einsatz mit dem Tod bezahlen muss und auf der Straße weitere Kameraden getötet oder schwer verletzt werden. Dies alles, obwohl doch der eigene Oberbefehlshaber die offiziellen Kriegshandlungen bereits für beendet erklärt hat?!

Trotz eigentlich überlegener Ausrüstung merken die Soldaten zunehmend ihre Ohnmacht gegen die verdeckt und irregulär agierende Kräfte der Aufständischen. Die Hightech-Armee agiert teilweise hilflos gegen Lowtech-Aufständische. Die Soldaten haben Schwierigkeiten zu erkennen, wer in "gut" und "böse" zu kategorisieren ist. An einem Ende der Straße erledigen Menschen ihren täglichen Einkauf, am anderen Ende detoniert eine Bombe. Ein Araber bringt die Situation nach dem Sturz Husseins auf den Punkt: „Wenn man ein Kamel tötet, sollt man lieber den Körper als den Kopf abschlagen. Wenn man nur den Kopf abschlägt, weiß das Kamel nicht mehr, was es ist.“ Anstatt den Wiederaufbau zu fördern und zu schützen, igelt man sich zum Selbstschutz zunehmend in der "Green Zone" ein. Auch stellen sich die Soldaten die Frage, wo eigentlich die Massenvernichtungswaffen seien, für die man ja einen souveränen Staat angegriffen hat. Der Sinn des Einsatzes wird nun mehr und mehr angezweifelt, insbesondere als den Soldaten zunehmend bewusst wird, wie sehr den Freunden und Verwandten zuhause ein verfälschtes Bild präsentiert wird.

In Kenntnis der beiden Perspektiven Politik - Soldat illustriert Meyers, wie gezielt die amerikanische Administration, aber auch die Medienkollegen die wahre Situation an der Front verfälscht darstellten, damit an der sogenannten Home Front Ruhe herrschte. Es sollte mit allen Mitteln eine Situation wie gegen Ende des Vietnamkrieges vermieden werden, als nicht zuletzt die aufgebrachte kriegsmüde Bevölkerung den Abzug amerikanischer Soldaten und damit das Ende des Krieges forcierte. Die Medien spielten dabei zu großen Teilen mit, versprach doch die Administration im Gegenzug dafür weitere Informationen aus erster Hand.

Meyers gelingt es, den inneren Konflikt von Perry als Sinnbild der Gefühle einer ganzen Armee darzustellen. Meyers vermeidet dabei jede persönliche Einflussnahme auf die politischen und militärstrategischen Gedankenspiele und Befehlsstränge, sondern sucht immer den Bezug zu den aktuellen Geschehnissen vor Ort. Auch wenn die Psyche der Soldaten im Mittelpunkt steht, ist die anfängliche teils hilflose Situation der USA, sich trotz der weltweit größten und modernsten Streitkräfte gegen einen einzeln oder in kleinen Gruppen asymmetrisch agierenden Feind zu wehren, allgegenwärtig.

Insgesamt ein beeindruckender "After Action Review" der ersten Monate im Irak. Meyers gibt die Stimmungslage der Soldaten authentisch und spannend, wieder, von dem Gefühl, als Befreier agiert zu haben, aber als Besatzer wahrgenommen zu werden, bis hin zur Situation der Hilflosigkeit und Verzweiflung. Die Frage, warum einem die Bevölkerung böses will, wo man sie doch vom Diktator Hussein befreit hat, lässt sich nicht verdrängen. Auch die offensichtliche Arroganz der sich gegenüber allen überlegen fühlenden Amerikanern, auch gegenüber Verbündeten wie beispielsweise den Italienern, wird an verschiedensten Stellen deutlich.

Meyers macht den Krieg in all seinen Facetten begreifbar. Er unterstreicht dies durch jegliche Vermeidung eines intellektuell abgehobenen Sprachstils. Stattdessen spricht er ohne Umschweife die Sprache der einfachen, noch jugendlichen Soldaten, die durch Sarkasmus ihre Ängste überspielen und verdrängen. Man fühlt sich dabei in dem Geschehenen und Erlebtem. Die Aussage eines Kameraden von Perry: „Der einzige Tod, der etwas bedeutet ist dein eigener. Bei allen anderen schüttelst du nur den Kopf und versuchst, weiter durchzuhalten“ spiegelt die Situation erschreckend treffend wider. Nach und nach erkrankt ein Großteil der Soldaten schleichend am posttraumatischen Stresssyndrom (PTSD). Der Krieg hat bleibende Spuren in den desillusionierten Köpfen der Soldaten hinterlassen. Aber anstatt die Spuren auszukurieren, werden die amerikanischen Soldaten nach einer kurzen Pause zuhause erneut in den Irak entsandt.

Erst Jahre später hat die amerikanische Regierung gerade aufgrund der positiven Erfahrungen der Briten und der Niederländer ihre Strategie verändert. Weg von einer Kriegsführung ausschließlich mit martialischen militärischen Mitteln, hin zu einem eher ganzheitlichen Ansatz (Stichwort: "Vernetzte Sicherheit"), um so die "Hearts and Minds" der Bevölkerung zu gewinnen. Mit einem ähnlichen Ansatz hat auch Deutschland erste Erfolge in Afghanistan. So dauerte es nach Robin Perry noch viele Jahre, bis an ein wirkliches Ende der Kampfhandlungen und an einen Abzug der Streitkräfte zu denken war.

Andreas Pickel
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© 2009 Andreas Pickel, Harald Kloth
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