Reinhart Lempp, 1923 geboren, ist Kinder- und Jugendpsychiater und Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Werke. Zudem hat er selbst sechs Kinder und dreizehn Enkel, also wohl wirklich ein Fachmann für Kinderseelen.
In diesem Büchlein sind verschiedene Texte von Reinhart Lempp zusammengestellt. Es handelt sich um Vorträge und Artikel für allgemeine Zeitschriften, die größtenteils noch aus den Siebziger Jahren stammen. Diese Aufsätze sollen den Eltern helfen, Zusammenhänge besser zu verstehen und mit ihnen fertig zu werden. Er weist auf mögliche Hintergründe für Störungen hin. Er will auch Wege aufzeigen, wie Familie, Schule und Gesellschaft mit mehr Verständnis auf die Kinder und ihre Probleme und Nöte eingehen können.
So ist es im Bereich der Familie oft der Fall, dass Probleme nur entstehen, weil nicht richtig zugehört wird und auch Wünsche der Kinder als störend empfunden werden. Auch übertragen sich viele Ängste der Eltern auf die Kinder, was in Aggressionen ausarten kann. Er geht dabei auch auf die Problematik der Ehescheidungen ein.
Die Schule hat sich zum führenden pathogenen Faktor bei der Entstehung von Verhaltensstörungen entwickelt - was daran liegt, dass sich der Leistungsdruck schon vom Kindergartenalter an auf die Kinder auswirkt. Es herrscht von Anfang an Konkurrenzdenken und es wird kein Augenmerk auf Kooperation, Miteinander und gemeinsame Leistung gelegt. Lempp stellt auch die Notwendigkeit von Zensuren und Prüfungen in Frage.
In der Gesellschaft spielen Elektronik und Bildmedien eine immer größere Rolle. Hier geht Lempp darauf ein, dass die Kinder hierdurch falsche Werte und Vorbilder vermittelt bekommen und die Unterscheidungsfähigkeit von Wirklichkeit und Schein leidet. Die Gewaltverherrlichung nimmt zu, die Jugendlichen identifizieren sich mit den Helden der Computerspiele oder ähnliches und verlieren den Bezug zur Realität.
Das vorliegende Buch ist in jedem Fall sehr interessant und verständlich zu lesen und enthält viele nachvollziehbare Ausführungen und Gedanken. Es werden viele Hintergrundinformationen vermittelt. Manche Aussagen bringen einen als Mutter oder Vater zum Nachdenken und auch zur Änderung der Betrachtungsweise und evtl. auch der Verhaltensweise. Vor allem wenn es um eigene Ängste und auch um das Loslassen von den Kindern geht, wird sich wohl jeder, der eigene Kinder hat, des öfteren dabei ertappen, dem Kind manches nicht zuzutrauen, aus Angst, es könne etwas passieren. Beim Thema Schule geht Lempp zu sehr auf die seiner Meinung nach als Bewertungsmaßstab ungeeigneten Zensuren und Prüfungen ein. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich im Schulsystem in absehbarer Zeit in diese Richtung etwas ändern wird, weshalb diese Diskussion den Eltern momentan bei Schulproblemen in keinster Weise weiterhilft. Beim Thema Medien bekommt Lempp wohl von jedem Zustimmung, aber hier sind die Eltern gefragt, um das richtige Maß des Konsums zu finden.
Alles in allem bietet das auf jeden Fall lesenswerte Buch, wie bereits erwähnt, viele Informationen und Anregungen, aber der Titel Handbuch für gestresste Eltern ist meiner Meinung nach falsch gewählt. Es werden keinerlei Lösungen für konkrete Problemsituationen im Alltag angeboten, sondern eher nur Hintergrundinformationen.
Tanja Lentner
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Reinhart Lempp, Jahrgang 1923, ist emeritierter Professor der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Seine hier versammelten Aufsätze sollen ein Handbuch für gestresste Eltern ergeben, wie der Untertitel lautet. Thematisch gegliedert in die Bereiche Familie, Schule und Gesellschaft beleuchtet Lempp die Ursachen für verschiedenste Probleme, die Kinder haben und machen können, innerhalb der Familie etwa verursacht durch Scheidung, häufigen Wechsel der Bezugspersonen, zuviel Fernsehen, ganz natürliche Kinderängste etc.
Schon der etwas dozierende und altväterliche Ton des Autors erweckt beim Leser Missmut. Viele der Texte sind überdies drei Jahrzehnte alt, so dass sich die Frage stellt, warum die Aufsätze in dieser brandneuen Ausgabe lediglich „behutsam überarbeitet“ und nicht grundlegend aktualisiert wurden. Aussagen wie „Als die Volljährigkeitsgrenze vor einigen Jahren von 21 auf 18 herabgesetzt wurde...“ (Seite 38) oder „Mit den Änderungen des Familienrechts wurde nun 1980...“ (Seite 81) verschrecken auch den thematisch interessierten Leser. Aufzeigen zu wollen, welche Probleme schon vor 30 Jahren aktuell waren beziehungsweise was sich bis heute verändert hat, wird gestresste Eltern unserer Zeit wenig interessieren.
Auch der Buchtitel ist unnötig negativ gewählt, zumal der Autor darzulegen versucht, dass nicht die Kinder nerven, sondern die Probleme mit diesen zumeist durch Mängel in der Erziehung, durch Missverständnisse, Vorurteile oder Ungeduld entstehen.
Fazit: Es gibt aktuellere Bücher zum Thema Erziehung, etwa Die Erziehungskatastrophe von Susanne Gaschke - das eine echte Empfehlung ist.
Christa Rossmann
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© 2006/2007 Christa Rossmann, Tanja Lentner, Harald Kloth
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