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Donna Leon

Das Mädchen seiner Träume

Commissario Brunettis siebzehnter Fall

Der neue Roman mit dem bekannten Commissario Brunetti beginnt an einem sonnigen Frühlingstag mit der Beerdigung von dessen Mutter, die nach einem langen und erfüllten Leben eingeschlafen ist. Die ganze Familie ist da und trauert um die Verstorbene.

Einige Tage später stattet der Priester Antonin, der ein Freund von Brunettis Bruder ist und der der Mutter bei der Beerdigung seinen Segen gespendet hat, Brunetti einen Besuch ab. Es geht um die Sekte "Die Kinder Jesu Christi", derer Anführer Geld von Mitgliedern verlangt und es für undurchsichtige Zwecke benutzt. Der Priester ist besorgt und bittet Brunetti, diesen zu durchleuchten. Da der Commissario große Vorbehalte gegen die Kirche hegt, lässt seine eigene Glaubensferne ihn an dieser Geschichte zweifeln. Nun will er einen Rat bei seiner Schwiegermutter, einer frommen Frau, in Sachen Kirche einholen und sie überrascht ihn mit ihrem Philosophieren über die Religion, sodass dann auch der Leser in den Genuss ihrer scharfen und klugen Beobachtungen kommt, hinter denen sich zweifellos Donna Leons Ansichten verbergen.

Dieses Thema beherrscht nun mehrere Seiten des Romans und so beschäftigt sich auch der Leser damit, um dann doch festzustellen, dass der eigentliche Kriminalfall erst mit der Entdeckung einer Kinderleiche in einem Kanal beginnt.

Es geht um ein Zigeunermädchen, das einen Ring und eine Uhr bei sich hat, zweifellos Diebesgut. Beides gehört einem gewissen Giorgio Fornari, einem wohlhabenden Herrn. Die Indizien sprechen dafür, dass das Mädchen von einem Dach oder einer Terrasse gefallen ist. Was für einige wie ein Unfall aussieht, lässt Brunetti keine Ruhe, er will Gewissheit haben. Der Gedanke an das Böse belastet Brunetti, er leidet, verzweifelt, sucht nach dem „Warum?“ Geht es hier um ein Verbrechen oder ist das Mädchen unglücklich gestolpert, gestürzt oder ertrunken, weil es nicht schwimmen konnte?

Nun wird dieses Kind überhaupt nicht vermisst, aber ein Kind geht doch nicht einfach verloren. Von der Familie Fornari war an diesem Abend nur die Tochter mit ihrem Verlobten zu Hause, die Terrassentür stand offen und so sind die Kinder - das Zigeunermädchen war nicht allein - in die Wohnung eingedrungen. Der Verlobte ist der Sohn des Innenministers, des Chefs der Ordnungskräfte einschließlich der Polizei. Und dessen Ehefrau gehört zu den Erben eines mächtigen Industriemagnaten. Was für eine Familie! Ihr Sohn ist unberechenbar und ein bei der hiesigen Polizei wegen unerlaubten Drogenbesitzes, schwerer Körperverletzung und Trunkenheit am Steuer Bekannter. Hat er das Zigeunermädchen beim Diebstahl erwischt und von der Terrasse in den Kanal gestoßen?

Dieser Fall raubt Brunetti jegliche Ruhe, die kleine hübsche Zigeunerin wird zum Mädchen seiner Alpträume. Und wieder hat Brunetti eigentlich nichts in der Hand, um den wahren Verbrecher zu stellen. Der einzige Anhaltspunkt besteht in der Aussage eines Kindes, des Bruders des gefundenen toten Mädchens, minderjährig und auch ein Zigeuner. Er hat den Mann gesehen, wie er seine Schwester von der Terrasse runter geworfen hat. Doch gilt offiziell Ertrinken als Todesursache. Klar, da findet sich kein Staatsanwalt, der bereit wäre, auf Grund dieser windigen Zeugenaussage ein Strafverfahren einzuleiten. Ein straffälliges Zigeunerkind als Kronzeuge gegen den Sohn des Innenministers ins Rennen schicken? Unmöglich, gefährlich und aussichtslos. Wie steht es aber mit dem Gesetz, wo "gleiches Recht für alle" gilt? In diesem Fall sind Brunettis Überzeugungen wertlos und ohne Bedeutung.

Die Zigeuner sind doch sowieso für Raub, Einbruch, Diebstahl und sogar Kinderprostitution bekannt. Die so genannten "fahrenden Völker" waren und bleiben von den Gesellschaften, in deren Mitte sie leben, völlig isoliert. Diese Ausgrenzung mussten sie im letzten Krieg in den Vernichtungslagern der Nazis teuer bezahlen, traurig und deprimierend.

Nur zu Hause bei seiner klugen und einfühlsamen Frau Paola und seinen absolut "normalen" Kindern findet Brunetti Trost und Ruhe, aber auch die Erkenntnis, dass das Leben auch noch andere, fröhliche und glückliche Seiten hat. Die Familie gibt ihm Kraft, die anstrengenden Tage mit ihrem Grübeln und Suchen zu überwinden und auf andere Gedanken zu kommen.

So bleibt Brunetti in diesem Fall nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen, sich mit der Unlösbarkeit des Falles abzufinden und seinen guten Grappa zu trinken.

Der neue Roman von Donna Leon ist kein Roman über Mädchenträume, hier fließt kein Blut und es ist auch kein abenteuerlich spannender Thriller. Aber wieder einmal hat es die Autorin geschafft, soziale, gesellschaftliche und menschliche Spannungen zum Ausdruck zu bringen. Sie berührt in ihrem Buch sehr sensible Themen: Religion und ihre Rolle in der heutigen Gesellschaft, die Lage der Ausländer in Italien, die Situation von Familie und Staat und die Probleme durch die Touristenmassen in Venedig. Sie beobachtet messerscharf und tiefgründig.

Wie immer findet der Leser eine breite Palette des bunten venezianischen Lebens in kleinen Alltagsszenen sehr liebevoll von der "Insiderin" Donna Leon dargestellt.

Ludmila Hück
4 ****


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© 2009 Ludmila Hück, Harald Kloth
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