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William Boyd

Ruhelos


Sie musste viele für sie neue Dinge lernen: Morsen und Stenographie, das Schießen mit diversen Handfeuerwaffen und Auto fahren, Karten lesen und den Kompass gebrauchen. Sie erfuhr, wie man Kaninchen fing, häutete und zubereitete, wie man Spuren verwischte und falsche Fährten legte. Ihr hatte man beigebracht, einfache Codes zu knacken und Dokumente zu fälschen. In weiteren Kursen musste sie lernen, ihr Gedächtnis zu trainieren und Verdächtige zu beschatten. Erstaunlicherweise fand sie das Ganze interessant und faszinierend und sie war sehr gut, denn sie erledigte ihre Aufgaben nicht nur professionell, sondern auch intuitiv richtig. Sie, Eva Delektorskaja, war Russin und Spionin des englischen Geheimdiensts im Zweiten Weltkrieg.

Immer misstrauisch, immer auf der Hut sein, alle verdächtigen und niemandem trauen, immer ruhelos bleiben, wer kann das auf Dauer aushalten? Vor allem, wenn es hin und wieder Situationen gibt, wo einem nur noch das Vertrauen weiter hilft. Aber Eva ist eine ungewöhnliche Frau, klug und bewundernswert.

Nun, das alles erfährt der Leser aus der Geschichte, die sie für ihre erwachsene Tochter Ruth schreibt, damit sie ihre Mutter besser verstehen kann, ihre damalige Situation, ihr Handeln und ihr Empfinden, aber auch ihr gegenwärtiges Denken. So muss Ruth Gilmartin mit Entsetzen erfahren, dass ihre Mutter Sally gar keine Sally, sondern in Wirklichkeit eben Eva Delektorskaja ist, dass sie 1939 von Lukas Romer für den englischen Geheimdienst angeworben, von ihm ausgebildet wurden war, sich in ihn verliebte und für die „British Security Coordination“ arbeitete, bis sie verraten wurde und fliehen musste. Ihn will sie jetzt, wo sie alt ist, noch einmal treffen, und dieses Treffen wird schicksalhaft für beide.

Ja, der Leser, der geht mit durch Betrug und Verrat, Liebe und Mord. Denn bekanntlich sind wir, was wir erlebt und uns erlesen haben; denn beim Lesen stürzen wir in Abgründe, verfolgen einen Mörder oder einen Helden. Und das alles, ohne unsere vier Wände zu verlassen. Der Leser erlebt es halt im Kopf und kommt schlauer heraus, ohne Schaden zu erleiden, indem er einfach aus der Geschichte auftaucht und das Buch zumacht.

Der Autor lässt den Leser ganz geschickt zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart pendeln, wodurch natürlich die Spannung des Handelns steigt und die Identität zweier Figuren, Mutter und Tochter, meisterhaft zum Ausdruck kommt.

Ein wunderbares Buch mit einem philosophischen Hintergrund über die Lebenseinstellungen des Menschen und über sein Wesen, auch über seine Bedeutung und seinen Platz im Leben. Der Roman ist erstaunlich leicht und präzise geschrieben, in einer fließenden, meisterhaft verwendeten Sprache. Eine absolut spannende, fesselnde und zum Nachdenken anregende Geschichte.

Also, ruhig mal ruhelos schmökern!

Ludmila Hück
Grafik Tipp 5 Sterne


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© 2007 Ludmila Hück, Harald Kloth
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