Henning Boysen, die Hauptfigur des Romans, ist ein Schriftsteller. Er fährt nach Süden, um dort seine Ruhe zu haben und endlich anzufangen, sein neues Buch zu schreiben. Hierher flieht er auch, um etwas gegen die Angst vor der Vergänglichkeit zu tun, sich seinen Erinnerungen zu stellen und ihre Bruchstücke auszugraben und sich von der Asche der Zeit zu befreien. Denn Henning weiß, die Erinnerungen können genauso gefährlich sein wie das Vergessen.
Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive des Sohnes. Von der ersten Seiten an wird der Leser gefesselt von der Darstellung des Geschehnes um Henning herum und ganz nahe geführt an sein Leben, Denken und Empfinden und vor allem in seine Vergangenheit, die ihn sehr beschäftigt und fast verfolgt.
Doch es wird nichts mit seinem Buch, ihm fehlen Ideen, ein Anstoß, die Lust. Er trinkt zu viel, ist antriebslos und müde. Er kommt mit seinem Buch einfach nicht voran. Ihn quälen die Bilder aus seinen Kinderjahren.
Er denkt an seine Mutter, zu der er ein kompliziertes Verhältnis hatte. Sie konnte sofort die Schwächen eines Menschen spüren und war in der Lage, mit ihrer destruktiven Phantasie sein eventuelles Scheitern voraus zu sehen. Und wenn sie ihren Sohn auf vielfältige Weise inspirierte, vermittelte sie auch zugleich die vermeintlichen Grenzen seiner Talente und Fähigkeiten. So wechselten bei ihr übertriebene Komplimente mit abschätzigen, abwertenden Bemerkungen, was für den Jungen fatal war, da er nun nie wusste, wo er steht, was er ist.
Sein Vater war das krasse Gegenteil. Als leidenschaftlicher Seemann war er oft abwesend und gegenüber seinem Sohn streng. Der junge Henning musste kämpfen um Vaters Liebe und seine Anerkennung. Die Kindheitsjahre hinterließen bis heute tiefe Spuren. Jetzt ist die Mutter schon tot, der Vater hat Krebs. Es ist nicht leicht mit ihm. Er ist stur, unsensibel, bockig, egoistisch und in seiner Weltanschauung sehr konservativ. Wie unterhält man sich mit so einem Menschen? Erst recht, wenn er dein Vater ist?
Da bekommt der Sohn die Nachricht, dass sein Vater im Sterben liegt. Henning eilt nach Hause, um ihn noch zu sehen und von ihm Abschied zu nehmen. Diese Tage werden die wichtigsten in seinem Leben. Vater und Sohn führen intensive Gespräche; Erinnerungen werden wachgerufen und sie kommen sich näher. Diese Gespräche sind für den Sohn wie eine Befreiung und Erlösung. Plötzlich sieht er seinen Vater und dessen Leben ganz anders, er versteht ihn, er erfährt einiges über seine Liebe zu der Mutter. Aber in diesen Gesprächen nimmt Henning auch Abschied vom Vater, der stirbt. Aber Henning empfindet nicht nur Schmerz, Verlust und Trauer, sondern auch eine neue Freiheit.
Die Geschichte ist ein sehr tiefer psychologischer Roman, der den Leser beeindruckt und anrührt. Es gibt wenige Personen im Buch, aber die Intensität der zwischenmenschlichen Beziehungen ist enorm stark und glaubwürdig.
Ein wunderbares Buch über die menschlichen Wurzeln, über Verzeihen und Verstehen, über Vater-Sohn und Kinder-Eltern-Beziehung, die schonungslos aber auch menschlich und warm beschrieben sind. Henning Boetius ist nicht nur ein guter Erzähler, sondern auch ein guter Menschenbeobachter.
Es gibt Bücher, die in ihrer Wahrheit so beeindruckend sind, dass man nach ihrer Lektüre nichts anderes möchte, als einfach allein sein und still weinen, ohne sich zu schämen.
© 2006 Ludmila Hück, Harald Kloth
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