Startseite > Literaturkritiken > Belletristik > Andrea De Carlo: Wenn der Wind dreht
Vier erfolgsverwöhnte Jugendfreunde aus Mailand - „zivilisierte Großstädter“ - fahren an einem Wochenende mit ihrem Immobilienhändler im Kleinbus in eine entlegene Gegend in Umbrien, um sich dort ein nobles Ferienhaus in unberührter Natur fernab städtischer Hektik anbieten zu lassen. Da sind zum einen der geltungssüchtige Architekt Enrico und seine verwöhnte Ehefrau Luisa, Verlagslektorin. Zum anderen der Möbelhausinhaber Arturo, frisch geschieden und Vater zweier Kinder und Margherita, eine beliebte Showmasterin im Fernsehen. In einem Feriendomizil möchten die Vier ihre in die Jahre gekommene Freundschaft wieder besser pflegen. Der Immobilienhändler Alessio Cingaro will den vier Freunden an diesem Wochenende ein von ihm bisher ungesehenes Objekt andrehen.
Auf der längeren Fahrt ist die Stimmung unter ständigem Handygeklingel und „wichtigen“ Telefongesprächen der Beteiligten schon leicht gereizt und der Leser merkt, daß es hinter der Fassade bei manchem Insassen ganz anders aussieht und so manche Konflikte im Raum stehen. Kurz vor der Ankunft an ihrem Domizil verfahren sie sich und haben eine Autopanne im Wald, es ist dunkle Nacht und regnet in Strömen, die Telefone versagen. Bei der Suche nach einer Unterkunft stoßen sie auf eine ziemlich abweisende Gruppe von Ökofreaks, bei denen sie momentan bleiben können. Es stellt sich dann auch noch heraus, daß es die versprochene Luxusresidenz nicht gibt, nur diese Ansammlung ungepflegter Häuser, die von diesen Zivilisationsgegnern besetzt worden sind. So kommt es, daß sie übers Wochenende bei diesen Leuten bleiben müssen. Es prallen zwei völlig unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander, von denen jedoch keine ohne Zweifel ist. Jeder bekommt einen Spiegel vorgehalten, es tun sich immer mehr Abgründe auf. Die Städter verhalten sich den Ökos gegenüber hochnäsig, verständnislos, spöttisch und voller Vorurteile und stoßen daher auf deren absoluten Widerwillen. Hinter den Fassaden der „zivilisierten“ Freunde beginnt es stark zu bröckeln. Nach diesem Alptraum ändert sich für alle Beteiligten so einiges.
De Carlo beschreibt die Charaktere auf beiden Seiten sehr humorvoll und menschlich, aber durchaus kritisch und teils auch überhöht. Es sind alles miteinander keine besonders sympathischen Menschen, die hier dargestellt sind, aber doch kann man sich in alle irgendwie hineinfühlen, man kann sich als Leser in vielen Situationen wieder finden.
Spannend und eindringlich, aber auch illusionslos wird beschrieben, wie diese Menschen per Zufall aus ihrer Bahn geworfen werden. Dabei gelingt es dem Autor, daß er keine Bewertung der gegensätzlichen Lebensentwürfe vornimmt, so daß diese am Leser selbst liegt.
De Carlos moderne, temporeiche Sprache macht die Geschichte zu einem lockeren Lesevergnügen, das aber doch ein wenig zum Nachdenken über den eigenen Lebensstil anregt.
Tanja Lentner
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© 2009 Tanja Lentner, Harald Kloth
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