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Ron Leshem

Wenn es ein Paradies gibt

Roman

Im Zuge der Aufbereitung des Ersten und insbesondere des Zweiten Weltkrieges sind von besonderem Interesse auf Tagebuchaufzeichnungen von Zeitzeugen basierende Bücher sowie vor allem auch Autobiografien, sofern sie nicht zu subjektiv darstellen. Auch über die von den USA geführten Kriege, sei es in Vietnam oder aktuell im Irak kann man sich vor Literatur kaum retten.

Von Kriegsschauplätzen und Krisenherden im Nahen Osten, gibt es, obwohl (oder gerade deswegen) täglich am eigenen Leib erfahrend, das "normale" Leben prägend und allgegenwärtig in den Printmedien, bis dato allerdings kaum Literatur, würden sie jedoch eine breitere Diskussion in der Öffentlichkeit anstoßen und so die beste Möglichkeit der Aufarbeitung bieten.

Nun erscheint der bereits in Israel mehrfach prämierte und unter dem Title Beaufort auch verfilmte (gewann unter anderem bei der Berlinale 2007 den Silbernen Bären) Bestseller von Ron Leshem, Wenn es ein Paradies gibt, endlich auch in deutscher Sprache.

„Willkommen. Wenn es ein Paradies gibt, dann sieht es genau so aus, und wenn es eine Hölle gibt, dann fühlt sie sich genau so an: der Stützpunkt Beaufort.“ So begrüßt der Kommandeur im Sommer 1999 den erst einundzwanzigjährige Zugführer (militärische Einheit unterhalb der Kompanie) Eres, der eigentlich Liraz heißt, und 13 ihm unterstellte Wehrpflichtige, liebevoll seine "Kinder" genannt, auf der vorgeschobene Basis "Beaufort" im Südlibanon, zu der sie eben verlegt wurden. 1982 hatten israelische Truppen diese Festung unter hohem Blutzoll als "historischen Moment" erobert, 18 Jahre später wieder geräumt. Heiß auf ihre Aufgabe werden die "Welpen" zunächst nur für Wachaufgaben innerhalb des ca. 100 Mann starken Forts eingesetzt, die engen und teils menschenunwürdigen Verhältnisse (eine einzige, auch noch abseits gelegene Toilette, die das Pinkeln in Plastikflaschen notwendig macht, ein Sammelschlafsaal genannt "U-Boot", Duschen nur alle 2 bis 3 Wochen) nagen bald am Enthusiasmus der Männer. Nur die Verpflegung ist üppig und von exzellenter Qualität.

Abwechslung in das triste Lagerleben bringen die wenigen Einsätze auf Horchposten außerhalb des Stützpunkts. Diese meist gefährlichen Einsätze werden gerne ausgeführt - ja bis bei einem nächtlichen Auftrag der erste Kamerad seinen Einsatz mit dem Tod bezahlen muss. Weitere tote und verstümmelte Kameraden folgen. Trotz eigentlich überlegener Ausrüstung merken die Soldaten zunehmend ihre Ohnmacht gegen die verdeckt und irregulär agierende Kräfte der Hisbollah. Dies schürt den Hass auf den skrupellos operierenden Feind (Motto: „Die Juden haben ein sehr großes Problem. Sie lieben das Leben, die Juden. Wir dagegen lieben den Tod. Wir lieben den Tod, und deshalb werden wir siegen.“ Seite 152) ohne jedoch politisch oder religiös motiviert seinen Idealen zu folgen. Es wird ständig versucht, die Motive der Attentäter zu ergründen, um das eigene Verhalten zu verstehen und zu rechtfertigen. Dieser Hass kumuliert in das wahllose Schießen mit Panzerabwehrraketen, Panzern oder gar Kampfhubschraubern auf Einzelpersonen, die man auch mit einem "einfachen" Gewehr bekämpfen könnte.

Der Sinn des Einsatzes wird nun mehr und mehr angezweifelt, insbesondere als bekannt wird, das Ministerpräsident Barak beabsichtigt die vorgeschobenen Stützpunkte im Libanon in naher Zukunft aufzugeben. Dies alles nach 18 Jahren Besetzung mit all den damit verbundenen Entbehrungen, Toten, Verwundeten. Der Einsatz wird "als umsonst" angesehen, eine Aussage, auf die der Autor im Zuge seiner Recherchen immer wieder stößt. Trotz der "Sinnkrisen" ist die Empörung groß, als der Truppe offiziell der Rückzug aus - wie es so schön heißt - "strategisch-operativen Gründen" bekannt gegeben wird. Man sieht nun die terroristischen Aktivisten der Hisbollah zukünftig unmittelbar vor der Haustür stehen. Schließlich wird das Fort komplett vermint und bei Abzug völlig zerstört zurückgelassen. Die Soldaten empfinden das Gefühl eines heroischen Abzugs voller Patriotismus. Wer glaubt, es sei nun alles vorbei, findet im Epilog die Soldaten im Gaza-Streifen wieder. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Militärische Gewalt steht im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens Israels.

Leshem gelingt es, den inneren Konflikt von Eres als Sinnbild der Gefühle einer ganzen Nation darzustellen. Der einfache Mann der Straße hat sich nie die Frage gestellt, warum man militärisch direkt im Libanon tätig war, nun fragte man sich aber, warum man sich jetzt zurückziehe!?! Die Frage Abziehen oder Halten? spaltet den Einzelne, die Gruppe, die Gesellschaft.

Die politischen sowie religiösen Rahmenbedingungen des Einsatzes bleiben jedoch im gesamten Roman immer subjektiv verbunden mit den Gefühlen und Erlebnissen der Soldaten.

Der Autor hat sich die in Romanform beschriebene Situation im Fort aus erster Hand erzählen lassen. Selbst als "embedded journalist" im Gaza-Streifen eingesetzt, gewann er das Vertrauen des in seinem Buch autobiografisch agierenden Offiziers mit Namen Eres und strickt um dessen Erlebnisse und aus Gesprächen mit einer Vielzahl weiterer in Beaufort eingesetzter Soldaten seinen authentischen Roman.

Leshem vermeidet jede persönliche Einflussnahme auf die diesbezüglichen Diskussionen in der israelischen Gesellschaft, sondern sucht immer den Bezug zu den aktuellen Geschehnissen. Auch wenn die Psyche der Soldaten im Mittelpunkt steht, ist die teils hilflose Situation Israels, sich trotz imposanter Streitkräfte gegen einen einzeln oder in kleinen Gruppen asymmetrisch agierenden Feind zu wehren allgegenwärtig (siehe auch die ähnliche Situation der US Streitkräfte im Irak). Der Mythos der Allmacht der Armee geht zusehends verloren. Auch weil sich längst nicht mehr jeder voller Stolz für den Militärdienst zur Verfügung stellt, sondern nur derjenige, der sich über die Armee für eine Statussteigerung in der Gesellschaft profilieren möchte.

Der Bezug zu aktuellen Geschehnissen, die rein objektiv zu schildern wären, wird unterstrichen durch jegliche Vermeidung eines intellektuell abgehobenen Sprachstils, sondern er spricht ohne Umschweife die Sprache der einfachen noch jugendlichen Soldaten, die ständig eigene Wortbedeutungen kreieren (zum Beispiel Vergeuden = Sterben) und die in ihrer Direktheit aber auch Vulgarität ein fortwährendes Mitgefühl beim Leser wecken. Durch Sarkasmus und sinnloser Beschäftigungstherapie werden die Ängste überspielt und verdrängt, durch kurze abgehakte Sätze der Spannungsbogen hochgehalten. Man fühlt sich Mitpartizipieren in dem Geschehenen und Erlebtem.

Ein besonderes makabres Spiel nennt sich "Er wird nicht mehr...". Wenn wieder einmal ein toter Kamerad zu beklagen ist, beginnt einer den Satz, den die anderen zum Beispiel mit der Fortsetzung "... alt und hässlich werden", "... seinen kleineren Bruder nicht mehr ins Kino mitnehmen" oder auch "... wissen, ob seine Schwester geheiratet hat" beenden müssen.

Auch wenn aus Sicht eines Pazifisten geschildert, insgesamt eine beeindruckende Analyse der Wahrnehmung der sicherheitspolitischen Situation Israels. Auch wenn vielleicht in seiner Deutlichkeit durch den Autor nicht gewollt, wird mehr als klar, dass eine Befriedung des Nahen Ostens nicht mit Gewalt, sondern nur durch wirtschaftlichen Wohlstand erreicht werden kann. Das "Paradies" für die Israelis kann nur ein normales Leben wie in einem mitteleuropäischen Land sein.

Andreas Pickel
4 **** bis 5 *****


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© 2008 Andreas Pickel, Harald Kloth
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