Mal etwas, was mir zwischendurch eingefallen ist. Ich hoffe es ist nicht vollkommen schrecklich. 
Die Dunkelheit war undurchdringlich, ja geradezu pechschwarz. Nicht die kleinste Kerze warf ihr Licht in die Welt. Wie Teer lag das Schwarz der Nacht an diesem Ort. Kein Laut war zu hören, alles war still. Kein Anzeichen von Leben war zu vernehmen. Nichts.
Eine dünne Linie erhob sich von dort, wo vermutlich der Boden war, senkrecht nach oben, dann in ungefähr zwei Meter Höhe bekam sie einen Knick und verlief waagerecht weiter, nur um nach einem weiteren Meter der Schwerkraft nachzugeben und wieder hinab zu fallen. Die Ränder leuchteten kurz hell auf, dann war alles wieder dunkel. Ein Geräusch war nun zu vernehmen. Es klang, wie eine gut geölte Tür, die lautlos geöffnet wurde, oder besser gesagt wie der leise Lufthauch einer solchen, den man eben so noch auf der Haut spüren konnte und der einem die raue Oberfläche einer Katzenzunge auf den Armen bescherte. Als nächstes und bedeutend lauter waren schwere, müde Schritte zu hören, deren Besitzer ihre Füße mehr über den Boden schleifen ließen, als zu gehen. Hätten sich Putzlappen an ihnen befunden, wäre der Boden sauber geworden, ein klarer Vorteil, dieser Art zu gehen. Eine Stimme erhob sich fluchend über der Abwesenheit von Geräuschen.
„Verdammt ist das finster hier!“ Ein Ton erfüllte die Luft, als wenn jemand mit einem Dreschflegel gegen eine Glocke schlug und scheppernd fiel etwas um. „Autsch – Müssen diese dämlichen Vampire eigentlich immer solche vollkommen unnützen Kerzenständer überall verteilen, die keiner alleine tragen kann, nicht mal sie selbst. - Ein Mal, ein einziges Mal möchte ich erleben, dass wir genügend Licht in einer Gruft haben. Ist das zuviel verlangt? Hört ihr mich da oben? Könnte man das mal arrangieren?!“ Es wurde heller. Eine Kugel des Lichtes erglühte inmitten der zähflüssigen, sirupartigen Finsternis. Zwei Gestalten gewannen an Kontur und Farbe. Eine der beiden riss der anderen gerade ein Klemmbrett aus den Händen und warf in dem silbrigen Licht einer Kugel, die die andere hielt, einen Blick darauf.
„Also, wen haben wir da noch mal?“ Ihre Finger glitten auf dem Papier entlang und hielten dann inne. „Aha! Hier steht es ja. Dracula! Fürst der Finsternis! Blöder Name. Hätte auch ein bisschen kreativer sein können, der Gute. Naja, jetzt ist es sowieso egal. Vorbei ist vorbei.“ Das Klemmbrett wechselte wieder den Besitzer.
„Na gut, dann wollen wir hier erst mal Licht schaffen. So kann hier ja keiner arbeiten. Da ist es ja in der absoluten Leere des Raumes noch heller. Wobei ich da auch nicht noch mal hin muss, wenn es nach mir geht. War ein bisschen kalt das Ganze!“
Die Gestalt nahm in dem trüben Licht einen Rucksack von ihren Schultern und kramte darin fluchend herum. Schließlich zog sie ihre Hand wieder hervor und hielt darin zwei ungefähr ein Fuß lange Stäbe, die sie, jeweils in entgegengesetzter Richtung auf den Boden warf. Bei dem Kontakt mit selbigen begannen die Stäbe sofort intensiv zu glühen. Nun konnte man zwei Männer erkennen, die eine graue Arbeitsuniform trugen, auf der sich an verschiedenen Stellen etwas befand, das wie die Hinterlassenschaften eines heftigen Niesanfalls aussah, allerdings, wenn dann von einem Riesen.
„Immerhin ist es nicht wieder so ein Rotzer, widerliche Viecher und das ihr Ausfluss nicht nach dem Tod stoppt, ist echt eklig. Das sind mir Vampire schon lieber. Ein kleines Häufchen Asche, das man gut zusammen fegen kann, und gut ist. Nicht wahr, Jack?“
Sein Begleiter, der bisher keinen Ton von sich gegeben hatte, nickte. Er war einen Kopf kleiner, als sein Partner, dafür aber gänzlich ohne Narben im Gesicht, im Gegensatz zu seinem Kollegen, der die Sprechrolle innezuhaben schien. Beide waren sie kräftig gebaut, was ihnen in ihrem Job, der „Müllbeseitigung“ schon oft zugute gekommen war.
Zur Bekräftigung nickte Jack ein zweites Mal, sich dabei an die Mütze tippend. War sein Arbeitsanzug schlicht grau, befand sich auf dem seines Partners noch folgendes Schild:
„Hallo, mein Name ist John. Wir helfen ihnen gerne bei der Beseitigung von übernatürlichen, fabulösen und monströsen Müll. Überall erreichbar. Sagen sie einfach unseren guten Namen: Monster-Ex und wir erscheinen. Wir sind Marktführer auf unserem Gebiet!“
Der letzte Satz war allerdings schlechte Augenwischerei, denn Monster-Ex war nicht nur Marktführer, sondern auch einziger Wettbewerber auf jenem Gebiet. Sowieso, war dem ganzen Unternehmen nur ein Name gegeben worden, weil John, als ehemaliger Geschäftsführer eines großen Handelshauses, der Meinung gewesen war, man könnte so die angebotene Dienstleistung besser verkaufen. Dass, das gar nicht getan werden musste, weil die Arbeit automatisch anfiel, war ihm dabei egal gewesen.
„Hast du das UV-Licht, Jack. Ich will ausnahmsweise keine Überraschungen erleben.“ John drehte sich nicht mal zu seinem Partner um, sondern hielt ungeduldig wartend, seine linke Hand nach hinten. Jack grub seelenruhig in seinem Rucksack, tastete gelassen darin herum und als er das Gefragte nicht fand, hob er mit einem entschuldigenden Lächeln die Schultern.
„Was ist? Gibst du mir jetzt die Lampe oder nicht?“ Johns Stimme nahm einen sehr genervten Unterton an. Er drehte sich um und sah, wie ihm Jack einen leeren Rucksack hinhielt.
„Mann, echt, wenn man sich auf dich verlässt, ist man anscheinend verlassen. Was habe ich dir immer wieder gesagt?“ John ging einen Schritt auf seinen Partner zu und blieb einen Schritt von ihm entfernt stehen. Er beugte sich zu ihm runter und sah in dessen trüben, milchigen Augen. Mit erhobenen Zeigefinger fuhr er fort.
„Was habe ich dir gesagt? Bei Vampiren immer eine UV-Lampe mitnehmen, dann können sie sich nicht so schnell wieder zusammensetzen. Das kann doch nicht so schwer sein zu begreifen. Krieg das endlich in deinen dummen breiten Schädel rein!“ Ein leichter Schlag auf Jacks Hinterkopf beendete die Standpauke.
„Auch gut, müssen wir halt ohne auskommen. Aber ich hoffe, du hast an den Pflock gedacht. Oder hast du den auch vergessen?“
Dümmlich grinsend zog Jack einen langen, spitzen und hölzernen Pfahl aus einer seiner vielen Beintaschen.
„Na immerhin etwas!“ raunte John. „Dann lass uns endlich anfangen.“
Eine tiefe, verführerische Stimme erklang hinter ihnen.
„Entschuldigen die Herren, aber ich kam nicht umhin mitzubekommen, dass sie über meine Beseitigung sprachen.“ John drehte sich zu der Stimme um, Jack hüpfte hinter ihm auf und ab und versuchte einen Blick auf die Person zu erhaschen, die gesprochen hatte. Vor ihnen stand ein elegant gekleideter Mann im mittleren Alter. Ein langer schwarzer Umhang lag um seinen Schultern und floss zu Boden. Die Ränder seines Umhangs berührten nicht die Steinplatte, sondern schwebten über ihnen und bewegten sich, wie Krallen langsam in Richtung der beiden Arbeiter. Der Mann besaß feine Gesichtszüge. Hohe Wangenknochen bildeten den Rahmen für tiefschwarze Augen, in denen die Finsternis selbst floss. Die schwarzen Haare waren streng zurück gekämmt. Mit offenen Mund starrte John den Mann an, der sich in seinen Ausführungen nicht behindern ließ.
„Leider muss ich ihnen mitteilen, das dies gegen meine Interessen wäre, von daher“, er legte seine Hände aneinander, seine Stimme beinhaltete mit einem Male eine Nuance Bedauern, „werde ich sie zu ihrem Missfallen wohl leider töten müssen. Aber“, der Mann hob eine Hand, „ihr sollt wissen, dass ich es war, Vlad Tepes, der euch hinüber brachte ins Jenseits. Meine anderen Opfer werden euch sicher über den Fluss Styx begleiten!“
„Ah nee, nicht schon wieder.“ John zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Dracula und ließ ihn dann leblos herunterfallen. „Siehst du, was du wieder mal angerichtet hast!“ Ein weiterer leichter Klapps landete auf Jacks Hinterkopf, der mittlerweile ziemlich platt geklopft aussah, von der langen Zeit in der die beiden zusammenarbeiteten. „Jetzt ist der Kerl wieder auferstanden und quatscht auch noch so geschwollen. Ich hasse das. Immer müssen wir wegen deiner Unfähigkeit Vampire noch einmal pfählen. Dabei müsstest du nur an die dämliche UV-Lampe denken. Jetzt gibt es gleich noch einmal eine Riesensauerei, wenn sein Blut spritzt.“
Er schüttelte seinen Kopf. „Echt, auf so was kann ich gut verzichten. Ein einziges Mal noch und der nächste Vampir gehört dir alleine. Ich schwöre es. Ganz alleine.“
Jack sah schuldbewusst zu Boden, seine Mundwinkel hingen nach unten und seine Augenbrauen zeigten Richtung seiner breiten Nasenflügel, Tränen schienen in seinen Augen zu stehen. John atmete aus und legte seine rechte Hand auf seine Schulter. „Jetzt nimm es nicht so schwer, du weißt, ich mach das nicht. Aber denk das nächste Mal an alles, klar?“
Jack schniefte und nickte heftig, so dass seine Gesichtszüge verschwammen. „Wo wir das jetzt geklärt haben, lass uns schnell alles fertig machen und dann geht es weiter.“
„Ent...Entschuldigung, wenn ich sie noch mal stören sollte.“ Unsicherheit sprach aus Draculas Stimme, er wusste nicht so recht, was er mit den Beiden anfangen sollte, die in seiner Gruft standen, von ihm keine Notiz nahmen und sich über ihn unterhielten, als sei er ein kleines Kätzchen, statt eines furchteinflößenden Monsters. Der berühmte Fürst der Dunkelheit war er, da wollte er nicht wie ein kleiner Wasserträger behandelt werden. Das lag unter seiner Würde. Wenigstens etwas Respekt hatte er verdient.
„Ich weiß nicht, ob sie es mitbekommen haben, aber ich bin DER Dracula, Bezwinger des Todes, Schatten der Nacht, Fürst der Dunkelh...“
„Ja, ist schon recht.“ John winkte mit dem Pflock in der Hand, den ihn Jack mittlerweile überreicht hatte, ab. „Wenn sie mir jetzt den Gefallen tun würden, sich einfach in ihren Sarg zu legen und sich pfählen zu lassen. Es geht ganz schnell und tut überhaupt nicht weh!“ Er warf einen Blick auf seine Uhr. „Wir haben außerdem noch ein paar Termine einzuhalten, also müssen wir uns etwas beeilen. Zeitlich wird es gerade knapp!“
Dracula wäre die Luft weggeblieben, hätte er noch atmen können. Das lief hier ganz und gar nicht so, wie er es gewohnt war. Diese beiden Männer sollten eigentlich vor Angst zittern, schreiend weglaufen, kaum fähig zu sprechen oder ihn halt aussichtsloserweise mit heroischen Sprüchen a la Nimm das Satansbrut! angreifen, aber nicht so ruhig und gelassen bleiben. Auf gar keinen Fall. Davon stand nichts in den Überlieferungen und es war auch nicht Teil des Paktes gewesen, den er mit dem Teufel geschlossen hatte. Nein, das hier war eindeutig gegen die Regeln. Ihm reichte es jetzt. Derjenige mit dem Pflock in der Hand, hatte sich zu seinem schweigsamen Partner einfach umgedreht und wies ihn noch mal zurecht. Umgedreht! Ihm einfach den Rücken zugewandt. Ja, hatten die Leute überhaupt keine Ahnung wer er war?
Dracula machte zwei Schritte vor und biss herzhaft, wie in einen äußerst schmackhaften Schweinebraten, in den Hals des Mannes.
Seine Kiefer federten zurück, er bekam den Mund nicht geschlossen und seine scharfen Eckzähnen ritzten noch nicht einmal die Oberfläche der Haut. Es fühlte sich an, als ob er auf einer Wolke kauen würde.
John spürte ein kurzes Ziehen, sah zur Seite und verdrehte die Augen.
„Oh Gott. Schon wieder. Warum fallen die eigentlich immer mich an und nicht dich?“
Ein Achselzucken von Jack.
„Ich meine, wieso? Sehe ich so nahrhaft aus, bin ich was besonderes? Hey Du!“ Er wandte sich an Dracula, der immer noch verzweifelt und mit großem Enthusiasmus versuchte, einen seiner Zähne in sein Fleisch zu bekommen. „Hättest du vielleicht die Güte damit aufzuhören. Es nervt! Außerdem verzögert es nur alles und wir geraten mehr in Verzug.“
Dracula schien seinen Einwand nicht zu registrieren. John wandte sich an die Welt im allgemeinen und klagte sein Leid.
„Diese Adeligen nerven wirklich. Denken nie an andere. Immer müssen sie eine Extrawurst gebraten bekommen. Müssen immer Schwierigkeiten machen, als ob es etwas ändern würde. - Hey Jack, glotz nicht so blöd aus der Wäsche. Wäre toll, wenn du den Bekloppten von mir nehmen könntest. Und zwar schnell!“
Jack nickte und schlurfte um John herum.
„Nun mach schon! Und halt ihn ja gut fest, damit ich ihn pfählen kann! Letztes Mal brauchten wir drei Anläufe, bloß weil du ja unbedingt den Nosferatu zappeln lassen musstest.“
Ein kleiner Ruck und das Ziehen hörte auf. John drehte sich um. Vor ihm hing ein sichtlicher erboster und zugleich ungläubiger Vampir in der Luft, der mit aller Macht versuchte aus Jacks festen Griff zu entfliehen. Er hätte auch gleich versuchen können, Atlas Job in der Mythologie zu übernehmen. In beiden Fällen konnte er nur versagen, denn Jack war heute anscheinend konzentriert bei der Sache.
„So, Herr der Dracula! Dann wollen wir es doch mal zu Ende bringen. Sie brauchen sich auch gar nicht anstrengen, frei zu kommen. Kostet nur unnötige Energie. Noch irgendwelche letzten Worte?“
„Ich werde wiederkommen und euch alle vernichten! Ich werde mich rächen, ich bin der Schatten der...“
„Ok, also das übliche Zeug.“ John nahm den Pfahl und setzte ihn auf Höhe des Herzens an. „Warum sagen bloß immer alle das Gleiche? Kannst du mir das verraten?“ Nun mehr hasserfüllte Augen starrten ihn an, aber kein Wort kam über die Lippen Draculas. „Auch gut. Vielleicht sollten wir uns einen Bonus zahlen lassen, für jedes Mal, wenn die Worte fallen. Damit könnten wir reich werden, Jack.“ Der Angesprochene nickte. Dann drückte John kurz auf das hintere Ende des Pfahls, trieb ihn so in das Kind der Nacht und alles, was übrig blieb, war ein kleines Häufchen Staub, das zwischen den beiden Arbeitern ruhte.
„Ok, das wäre es. Jetzt hole schnell das Kehrblech und den Handfeger und nichts wie hinein mit ihm in das Glas mit Weihwasser, dann haben wir vor dem endgültig Ruhe. - Zumindest die nächsten zweihundert Jahre.“
Jack schlich zurück zu seinem Rucksack, entnahm ihm das Benötigte. John fing bedächtig an zu sprechen.
„Eigentlich auch dämlich. Heute beseitigen wir alle Spuren vom Übernatürlichen, damit die Menschen im 20./21. Jahrhundert keinen Zweifel an der Wissenschaft bekommen, nur um dann im zweiundzwanzigsten wieder alles rückgängig zu machen, wie damals bei Atlantis. Die da oben haben auch eine Vollmeise! Aber eins sage ich dir gleich, eine ganze Stadt lass ich nicht mehr verschwinden!“
Jack zuckte mit den Schultern und verfrachtete die Überreste Draculas gerade in ein Einmachglas mit Weihwasser. Es zischte und eine kleine Dampfwolke erhob sich. In der Luft hing der Geruch von Pflaumen vermischt mit Schwefel. John half ihm dabei alles wieder zu verstauen. Danach sammelten sie noch schnell die Leuchtstäbe ein und wandten sich zur Tür.
„Was steht dann jetzt noch an, bevor wir Feierabend haben?“
Jack holte sein Klemmbrett wieder hervor und schlug die nächste Seite auf. Dann reichte er es John.
„Och nein, da hat so ein Typ namens Siegfried knapp tausend Jahre von hier einen Drachen erschlagen. Den müssen wir heute auch noch unbedingt schaffen, steht hier.“
John ließ seine Hände sinken, nur um sie im nächsten Moment anklagend nach oben zu nehmen. „Haben die eigentlich eine Ahnung was das für eine Arbeit ist, so einen Drachen verschwinden zu lassen?“ Er zeigte mit dem Klemmbrett auf seinen stummen Begleiter. „Ich sag dir, wenn dieser Kerl auf die saublöde Idee gekommen ist, mit dem Drachenblut rumzusauen und alles damit zu beschmieren, nur weil er gehört hat, ein Bad darin, würde unverwundbar machen, raste ich aus. Echt, das nächste Mal, wenn ich in einer Jobbeschreibung lese, interessante Arbeit mit guter Vergütung und Reisen zu malerischen und sagenhaften Orten, verbrenne ich die Zeitung!“
Fluchend folgte er Jack durch die Tür ins Raum-Zeit-Kontinuum.
John hatte Pech, Drachenblut bekam man verdammt schlecht aus der Kleidung.

Die Dunkelheit war undurchdringlich, ja geradezu pechschwarz. Nicht die kleinste Kerze warf ihr Licht in die Welt. Wie Teer lag das Schwarz der Nacht an diesem Ort. Kein Laut war zu hören, alles war still. Kein Anzeichen von Leben war zu vernehmen. Nichts.
Eine dünne Linie erhob sich von dort, wo vermutlich der Boden war, senkrecht nach oben, dann in ungefähr zwei Meter Höhe bekam sie einen Knick und verlief waagerecht weiter, nur um nach einem weiteren Meter der Schwerkraft nachzugeben und wieder hinab zu fallen. Die Ränder leuchteten kurz hell auf, dann war alles wieder dunkel. Ein Geräusch war nun zu vernehmen. Es klang, wie eine gut geölte Tür, die lautlos geöffnet wurde, oder besser gesagt wie der leise Lufthauch einer solchen, den man eben so noch auf der Haut spüren konnte und der einem die raue Oberfläche einer Katzenzunge auf den Armen bescherte. Als nächstes und bedeutend lauter waren schwere, müde Schritte zu hören, deren Besitzer ihre Füße mehr über den Boden schleifen ließen, als zu gehen. Hätten sich Putzlappen an ihnen befunden, wäre der Boden sauber geworden, ein klarer Vorteil, dieser Art zu gehen. Eine Stimme erhob sich fluchend über der Abwesenheit von Geräuschen.
„Verdammt ist das finster hier!“ Ein Ton erfüllte die Luft, als wenn jemand mit einem Dreschflegel gegen eine Glocke schlug und scheppernd fiel etwas um. „Autsch – Müssen diese dämlichen Vampire eigentlich immer solche vollkommen unnützen Kerzenständer überall verteilen, die keiner alleine tragen kann, nicht mal sie selbst. - Ein Mal, ein einziges Mal möchte ich erleben, dass wir genügend Licht in einer Gruft haben. Ist das zuviel verlangt? Hört ihr mich da oben? Könnte man das mal arrangieren?!“ Es wurde heller. Eine Kugel des Lichtes erglühte inmitten der zähflüssigen, sirupartigen Finsternis. Zwei Gestalten gewannen an Kontur und Farbe. Eine der beiden riss der anderen gerade ein Klemmbrett aus den Händen und warf in dem silbrigen Licht einer Kugel, die die andere hielt, einen Blick darauf.
„Also, wen haben wir da noch mal?“ Ihre Finger glitten auf dem Papier entlang und hielten dann inne. „Aha! Hier steht es ja. Dracula! Fürst der Finsternis! Blöder Name. Hätte auch ein bisschen kreativer sein können, der Gute. Naja, jetzt ist es sowieso egal. Vorbei ist vorbei.“ Das Klemmbrett wechselte wieder den Besitzer.
„Na gut, dann wollen wir hier erst mal Licht schaffen. So kann hier ja keiner arbeiten. Da ist es ja in der absoluten Leere des Raumes noch heller. Wobei ich da auch nicht noch mal hin muss, wenn es nach mir geht. War ein bisschen kalt das Ganze!“
Die Gestalt nahm in dem trüben Licht einen Rucksack von ihren Schultern und kramte darin fluchend herum. Schließlich zog sie ihre Hand wieder hervor und hielt darin zwei ungefähr ein Fuß lange Stäbe, die sie, jeweils in entgegengesetzter Richtung auf den Boden warf. Bei dem Kontakt mit selbigen begannen die Stäbe sofort intensiv zu glühen. Nun konnte man zwei Männer erkennen, die eine graue Arbeitsuniform trugen, auf der sich an verschiedenen Stellen etwas befand, das wie die Hinterlassenschaften eines heftigen Niesanfalls aussah, allerdings, wenn dann von einem Riesen.
„Immerhin ist es nicht wieder so ein Rotzer, widerliche Viecher und das ihr Ausfluss nicht nach dem Tod stoppt, ist echt eklig. Das sind mir Vampire schon lieber. Ein kleines Häufchen Asche, das man gut zusammen fegen kann, und gut ist. Nicht wahr, Jack?“
Sein Begleiter, der bisher keinen Ton von sich gegeben hatte, nickte. Er war einen Kopf kleiner, als sein Partner, dafür aber gänzlich ohne Narben im Gesicht, im Gegensatz zu seinem Kollegen, der die Sprechrolle innezuhaben schien. Beide waren sie kräftig gebaut, was ihnen in ihrem Job, der „Müllbeseitigung“ schon oft zugute gekommen war.
Zur Bekräftigung nickte Jack ein zweites Mal, sich dabei an die Mütze tippend. War sein Arbeitsanzug schlicht grau, befand sich auf dem seines Partners noch folgendes Schild:
„Hallo, mein Name ist John. Wir helfen ihnen gerne bei der Beseitigung von übernatürlichen, fabulösen und monströsen Müll. Überall erreichbar. Sagen sie einfach unseren guten Namen: Monster-Ex und wir erscheinen. Wir sind Marktführer auf unserem Gebiet!“
Der letzte Satz war allerdings schlechte Augenwischerei, denn Monster-Ex war nicht nur Marktführer, sondern auch einziger Wettbewerber auf jenem Gebiet. Sowieso, war dem ganzen Unternehmen nur ein Name gegeben worden, weil John, als ehemaliger Geschäftsführer eines großen Handelshauses, der Meinung gewesen war, man könnte so die angebotene Dienstleistung besser verkaufen. Dass, das gar nicht getan werden musste, weil die Arbeit automatisch anfiel, war ihm dabei egal gewesen.
„Hast du das UV-Licht, Jack. Ich will ausnahmsweise keine Überraschungen erleben.“ John drehte sich nicht mal zu seinem Partner um, sondern hielt ungeduldig wartend, seine linke Hand nach hinten. Jack grub seelenruhig in seinem Rucksack, tastete gelassen darin herum und als er das Gefragte nicht fand, hob er mit einem entschuldigenden Lächeln die Schultern.
„Was ist? Gibst du mir jetzt die Lampe oder nicht?“ Johns Stimme nahm einen sehr genervten Unterton an. Er drehte sich um und sah, wie ihm Jack einen leeren Rucksack hinhielt.
„Mann, echt, wenn man sich auf dich verlässt, ist man anscheinend verlassen. Was habe ich dir immer wieder gesagt?“ John ging einen Schritt auf seinen Partner zu und blieb einen Schritt von ihm entfernt stehen. Er beugte sich zu ihm runter und sah in dessen trüben, milchigen Augen. Mit erhobenen Zeigefinger fuhr er fort.
„Was habe ich dir gesagt? Bei Vampiren immer eine UV-Lampe mitnehmen, dann können sie sich nicht so schnell wieder zusammensetzen. Das kann doch nicht so schwer sein zu begreifen. Krieg das endlich in deinen dummen breiten Schädel rein!“ Ein leichter Schlag auf Jacks Hinterkopf beendete die Standpauke.
„Auch gut, müssen wir halt ohne auskommen. Aber ich hoffe, du hast an den Pflock gedacht. Oder hast du den auch vergessen?“
Dümmlich grinsend zog Jack einen langen, spitzen und hölzernen Pfahl aus einer seiner vielen Beintaschen.
„Na immerhin etwas!“ raunte John. „Dann lass uns endlich anfangen.“
Eine tiefe, verführerische Stimme erklang hinter ihnen.
„Entschuldigen die Herren, aber ich kam nicht umhin mitzubekommen, dass sie über meine Beseitigung sprachen.“ John drehte sich zu der Stimme um, Jack hüpfte hinter ihm auf und ab und versuchte einen Blick auf die Person zu erhaschen, die gesprochen hatte. Vor ihnen stand ein elegant gekleideter Mann im mittleren Alter. Ein langer schwarzer Umhang lag um seinen Schultern und floss zu Boden. Die Ränder seines Umhangs berührten nicht die Steinplatte, sondern schwebten über ihnen und bewegten sich, wie Krallen langsam in Richtung der beiden Arbeiter. Der Mann besaß feine Gesichtszüge. Hohe Wangenknochen bildeten den Rahmen für tiefschwarze Augen, in denen die Finsternis selbst floss. Die schwarzen Haare waren streng zurück gekämmt. Mit offenen Mund starrte John den Mann an, der sich in seinen Ausführungen nicht behindern ließ.
„Leider muss ich ihnen mitteilen, das dies gegen meine Interessen wäre, von daher“, er legte seine Hände aneinander, seine Stimme beinhaltete mit einem Male eine Nuance Bedauern, „werde ich sie zu ihrem Missfallen wohl leider töten müssen. Aber“, der Mann hob eine Hand, „ihr sollt wissen, dass ich es war, Vlad Tepes, der euch hinüber brachte ins Jenseits. Meine anderen Opfer werden euch sicher über den Fluss Styx begleiten!“
„Ah nee, nicht schon wieder.“ John zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Dracula und ließ ihn dann leblos herunterfallen. „Siehst du, was du wieder mal angerichtet hast!“ Ein weiterer leichter Klapps landete auf Jacks Hinterkopf, der mittlerweile ziemlich platt geklopft aussah, von der langen Zeit in der die beiden zusammenarbeiteten. „Jetzt ist der Kerl wieder auferstanden und quatscht auch noch so geschwollen. Ich hasse das. Immer müssen wir wegen deiner Unfähigkeit Vampire noch einmal pfählen. Dabei müsstest du nur an die dämliche UV-Lampe denken. Jetzt gibt es gleich noch einmal eine Riesensauerei, wenn sein Blut spritzt.“
Er schüttelte seinen Kopf. „Echt, auf so was kann ich gut verzichten. Ein einziges Mal noch und der nächste Vampir gehört dir alleine. Ich schwöre es. Ganz alleine.“
Jack sah schuldbewusst zu Boden, seine Mundwinkel hingen nach unten und seine Augenbrauen zeigten Richtung seiner breiten Nasenflügel, Tränen schienen in seinen Augen zu stehen. John atmete aus und legte seine rechte Hand auf seine Schulter. „Jetzt nimm es nicht so schwer, du weißt, ich mach das nicht. Aber denk das nächste Mal an alles, klar?“
Jack schniefte und nickte heftig, so dass seine Gesichtszüge verschwammen. „Wo wir das jetzt geklärt haben, lass uns schnell alles fertig machen und dann geht es weiter.“
„Ent...Entschuldigung, wenn ich sie noch mal stören sollte.“ Unsicherheit sprach aus Draculas Stimme, er wusste nicht so recht, was er mit den Beiden anfangen sollte, die in seiner Gruft standen, von ihm keine Notiz nahmen und sich über ihn unterhielten, als sei er ein kleines Kätzchen, statt eines furchteinflößenden Monsters. Der berühmte Fürst der Dunkelheit war er, da wollte er nicht wie ein kleiner Wasserträger behandelt werden. Das lag unter seiner Würde. Wenigstens etwas Respekt hatte er verdient.
„Ich weiß nicht, ob sie es mitbekommen haben, aber ich bin DER Dracula, Bezwinger des Todes, Schatten der Nacht, Fürst der Dunkelh...“
„Ja, ist schon recht.“ John winkte mit dem Pflock in der Hand, den ihn Jack mittlerweile überreicht hatte, ab. „Wenn sie mir jetzt den Gefallen tun würden, sich einfach in ihren Sarg zu legen und sich pfählen zu lassen. Es geht ganz schnell und tut überhaupt nicht weh!“ Er warf einen Blick auf seine Uhr. „Wir haben außerdem noch ein paar Termine einzuhalten, also müssen wir uns etwas beeilen. Zeitlich wird es gerade knapp!“
Dracula wäre die Luft weggeblieben, hätte er noch atmen können. Das lief hier ganz und gar nicht so, wie er es gewohnt war. Diese beiden Männer sollten eigentlich vor Angst zittern, schreiend weglaufen, kaum fähig zu sprechen oder ihn halt aussichtsloserweise mit heroischen Sprüchen a la Nimm das Satansbrut! angreifen, aber nicht so ruhig und gelassen bleiben. Auf gar keinen Fall. Davon stand nichts in den Überlieferungen und es war auch nicht Teil des Paktes gewesen, den er mit dem Teufel geschlossen hatte. Nein, das hier war eindeutig gegen die Regeln. Ihm reichte es jetzt. Derjenige mit dem Pflock in der Hand, hatte sich zu seinem schweigsamen Partner einfach umgedreht und wies ihn noch mal zurecht. Umgedreht! Ihm einfach den Rücken zugewandt. Ja, hatten die Leute überhaupt keine Ahnung wer er war?
Dracula machte zwei Schritte vor und biss herzhaft, wie in einen äußerst schmackhaften Schweinebraten, in den Hals des Mannes.
Seine Kiefer federten zurück, er bekam den Mund nicht geschlossen und seine scharfen Eckzähnen ritzten noch nicht einmal die Oberfläche der Haut. Es fühlte sich an, als ob er auf einer Wolke kauen würde.
John spürte ein kurzes Ziehen, sah zur Seite und verdrehte die Augen.
„Oh Gott. Schon wieder. Warum fallen die eigentlich immer mich an und nicht dich?“
Ein Achselzucken von Jack.
„Ich meine, wieso? Sehe ich so nahrhaft aus, bin ich was besonderes? Hey Du!“ Er wandte sich an Dracula, der immer noch verzweifelt und mit großem Enthusiasmus versuchte, einen seiner Zähne in sein Fleisch zu bekommen. „Hättest du vielleicht die Güte damit aufzuhören. Es nervt! Außerdem verzögert es nur alles und wir geraten mehr in Verzug.“
Dracula schien seinen Einwand nicht zu registrieren. John wandte sich an die Welt im allgemeinen und klagte sein Leid.
„Diese Adeligen nerven wirklich. Denken nie an andere. Immer müssen sie eine Extrawurst gebraten bekommen. Müssen immer Schwierigkeiten machen, als ob es etwas ändern würde. - Hey Jack, glotz nicht so blöd aus der Wäsche. Wäre toll, wenn du den Bekloppten von mir nehmen könntest. Und zwar schnell!“
Jack nickte und schlurfte um John herum.
„Nun mach schon! Und halt ihn ja gut fest, damit ich ihn pfählen kann! Letztes Mal brauchten wir drei Anläufe, bloß weil du ja unbedingt den Nosferatu zappeln lassen musstest.“
Ein kleiner Ruck und das Ziehen hörte auf. John drehte sich um. Vor ihm hing ein sichtlicher erboster und zugleich ungläubiger Vampir in der Luft, der mit aller Macht versuchte aus Jacks festen Griff zu entfliehen. Er hätte auch gleich versuchen können, Atlas Job in der Mythologie zu übernehmen. In beiden Fällen konnte er nur versagen, denn Jack war heute anscheinend konzentriert bei der Sache.
„So, Herr der Dracula! Dann wollen wir es doch mal zu Ende bringen. Sie brauchen sich auch gar nicht anstrengen, frei zu kommen. Kostet nur unnötige Energie. Noch irgendwelche letzten Worte?“
„Ich werde wiederkommen und euch alle vernichten! Ich werde mich rächen, ich bin der Schatten der...“
„Ok, also das übliche Zeug.“ John nahm den Pfahl und setzte ihn auf Höhe des Herzens an. „Warum sagen bloß immer alle das Gleiche? Kannst du mir das verraten?“ Nun mehr hasserfüllte Augen starrten ihn an, aber kein Wort kam über die Lippen Draculas. „Auch gut. Vielleicht sollten wir uns einen Bonus zahlen lassen, für jedes Mal, wenn die Worte fallen. Damit könnten wir reich werden, Jack.“ Der Angesprochene nickte. Dann drückte John kurz auf das hintere Ende des Pfahls, trieb ihn so in das Kind der Nacht und alles, was übrig blieb, war ein kleines Häufchen Staub, das zwischen den beiden Arbeitern ruhte.
„Ok, das wäre es. Jetzt hole schnell das Kehrblech und den Handfeger und nichts wie hinein mit ihm in das Glas mit Weihwasser, dann haben wir vor dem endgültig Ruhe. - Zumindest die nächsten zweihundert Jahre.“
Jack schlich zurück zu seinem Rucksack, entnahm ihm das Benötigte. John fing bedächtig an zu sprechen.
„Eigentlich auch dämlich. Heute beseitigen wir alle Spuren vom Übernatürlichen, damit die Menschen im 20./21. Jahrhundert keinen Zweifel an der Wissenschaft bekommen, nur um dann im zweiundzwanzigsten wieder alles rückgängig zu machen, wie damals bei Atlantis. Die da oben haben auch eine Vollmeise! Aber eins sage ich dir gleich, eine ganze Stadt lass ich nicht mehr verschwinden!“
Jack zuckte mit den Schultern und verfrachtete die Überreste Draculas gerade in ein Einmachglas mit Weihwasser. Es zischte und eine kleine Dampfwolke erhob sich. In der Luft hing der Geruch von Pflaumen vermischt mit Schwefel. John half ihm dabei alles wieder zu verstauen. Danach sammelten sie noch schnell die Leuchtstäbe ein und wandten sich zur Tür.
„Was steht dann jetzt noch an, bevor wir Feierabend haben?“
Jack holte sein Klemmbrett wieder hervor und schlug die nächste Seite auf. Dann reichte er es John.
„Och nein, da hat so ein Typ namens Siegfried knapp tausend Jahre von hier einen Drachen erschlagen. Den müssen wir heute auch noch unbedingt schaffen, steht hier.“
John ließ seine Hände sinken, nur um sie im nächsten Moment anklagend nach oben zu nehmen. „Haben die eigentlich eine Ahnung was das für eine Arbeit ist, so einen Drachen verschwinden zu lassen?“ Er zeigte mit dem Klemmbrett auf seinen stummen Begleiter. „Ich sag dir, wenn dieser Kerl auf die saublöde Idee gekommen ist, mit dem Drachenblut rumzusauen und alles damit zu beschmieren, nur weil er gehört hat, ein Bad darin, würde unverwundbar machen, raste ich aus. Echt, das nächste Mal, wenn ich in einer Jobbeschreibung lese, interessante Arbeit mit guter Vergütung und Reisen zu malerischen und sagenhaften Orten, verbrenne ich die Zeitung!“
Fluchend folgte er Jack durch die Tür ins Raum-Zeit-Kontinuum.
John hatte Pech, Drachenblut bekam man verdammt schlecht aus der Kleidung.
Auf das der Wind in eurem Rücken, nie euer eigener sei. (alter irischer Reisegruß
)
drakir
und seine Werke

drakir
und seine Werke