Dann will ich mich auch mal zu erkennen geben.
Hier also mein Wettbewerbsbeitrag. Falls jemanden einen besseren Vorschlag als Horror hat, dann her damit.
Kalter Hauch
Die Lichter zogen am Fenster im beständigen Rhythmus der Nacht vorbei. Erst eins, dann noch eins und noch eins, immer weiter den ganzen langen verdammten Tunnel durch. Und er schien immer noch kein Ende nehmen zu wollen. Fast wie ein Herzschlag drang mattgelbes Licht hinein in das Auto. Pulsierend, wie Bass und Schlagzeug des Liedes, welches aus dem Radio erklang.
Watch out for the last white doves
Sicher als, ob es so etwas noch geben würde. Fast hypnotisch zog der alte Song der Furys den Fahrer in seinen Bann. Nie hatte ein Lied, die Stimmung einer einsamen Nachtfahrt besser rübergebracht. Man konnte sich hineinfallen lassen und das tat er. Der Sänger wurde lauter und was er von sich gab, war eine deutliche Anklage an die Welt, die vor Gericht stand.
And believe me baby
every generation got it's own disease
and i got mine
Oh ja, niemand wusste es besser als er selbst, was diese Zeilen bedeuteten. Seine Generation hatte wirklich Probleme, allein wenn man sich ansah, dass Leute wie Daniel Küblböck und DJ Ötzi Erfolg hatten, musste eigentlich jedem klar sein, was falsch lief und was ihn selbst betraf …
Nun zumindest wusste er um seinen Zustand, was es allerdings auch nicht besser machte. Deshalb war er heute Nacht unterwegs, fuhr herum, auf dem Weg, auf der Suche nach einem Ziel.
So help me please
Dafür war es wohl zu spät. Mit Sicherheit. Er hatte nicht mehr viel von der Welt zu erwarten und sie nicht von ihm. Ganz bestimmt nicht. Die Lichter zogen weiter vorbei, doch er nahm sie nur am Rande war. Irgendwann würde dieser elende Tunnel schon aufhören und er konnte sich überlegen, was als nächstes zu tun war. Seine Suche fortsetzen. Seine rechte Hand wanderte zum Radio und drückte auf die Wiederholungstaste bevor das Lied zuende war. Erneut begann die Gitarre ihr Spiel, flackerte auf, verschwand, nur um sofort wieder aus der Dunkelheit aufzutauchen. Das Schlagzeug setzte ein, bevor der Bass sich dazugesellte. Tief, ruhig und doch treibend. Die Fahrbahnmarkierung glitt unter dem Auto dahin. Weiß auf Schwarz.
Der Sänger stimmte ein.
The more we take, the less we give, that's the modern way to live
Er nickte mit dem Kopf im Rhythmus der Musik, schaute dabei kurz in den Rückspiegel, den er so eingestellt hatte, dass er sich sehen konnte. Die Hoffnung etwas anderes zu betrachten, als ein verlebtes Gesicht, welches viel zu alt aussah, als es eigentlich dürfte, war zwar schon lange vergangen, aber einen Blick konnte man immer riskieren. Aber es hatte sich seit dem letzten Mal nichts geändert. Ihn starrte weiterhin, dasselbe verbrauchte Ich entgegen, mit Kratern als Falten, die sich vor der Zeit um Augen und Mund gelegt hatten. Der Versuch eines Lächelns scheiterte und so sah er wieder hinaus auf den grauen Asphalt. Flüsterasphalt, damit die Stille der Nacht unheimlicher würde. Jetzt musste er doch leise lachen. Konnte sie das denn? Er bezweifelte es.
Someone said, live fast die young
but time runs always faster son
Wahr gesprochen. Zeit verging schnell. Viel zu schnell. Und seine war bald abgelaufen. Garantiert. Jemanden wie ihn würde der Tod schnell zu sich holen. Hoffentlich. Er wollte nicht mehr leben, nicht so.
„Bist du zufrieden?“ Er fuhr zusammen, drehte den Innenspiegel und warf einen Blick auf den Rücksitz. Dort saß sie.
„Ob du zufrieden bist, habe ich gefragt.“ Er schluckte. War sie also wieder da. Er drehte sich um, um sie genauer zu betrachten. „Schau nach vorne du Trottel, oder willst du sterben und die Familie in dem Auto da mitreißen?“ Gerade eben noch, wich er einem entgegenkommenden Auto aus. Sterben? Ja, das wollte er. Aber ohne weitere Opfer. Ohne weitere Schuld auf sein Gewissen zu legen. Eine reichte. Ihm zumindest.
„Was willst du? Warum bist du hier?
„Kannst du dir das nicht denken? - Mein Schatz!“
Er konnte es und als er jetzt in den Rückspiegel sah, konnte er ihre meerschaumweißen Zähne sehen. Sie lächelte. Ein irres Lächeln.
„Hübsches Lied, hast du da an!“
I think, that i'm to young to die,
lord, why i cannot say goodbye
Sie summte mit. Wie eine Kreissäge fuhr ihre Stimme durch sein Hirn und verursachte geradezu körperliche Schmerzen. Sie hatte so gerne gesungen. Fast jedes Lied hatte sie gekannt und dieses, war einst ihrer liebsten gewesen. Die Lichter des Tunnels fielen herein, aber da sie hinten saß, konnte er immer nur einen kurzen Blick auf dunkle Schemen erhaschen. Er wollte das Radio am liebsten ausschalten, aber er traute sich nicht. Sie hatte so viel erleiden müssen, da konnte er ihr das nicht wegnehmen.
„Ich mag das Lied. Spiel es von Anfang an!“ Ihre Stimme klang sehnsuchtsvoll, aber kalt, fast steril.
So help me please
Er tat, was sie wollte. Warum auch nicht. Wieder begann die Gitarre ihr Spiel, setzten Schlagzeug und Bass ein. Sie bewegte sich zur Musik. Verführerisch aber bedrohlicher als früher. Die ganze Zeit starrte sie ihn dabei aus kalten Augen an. Fixierte seinen Hinterkopf. Er konnte es spüren. Kalt rann ihm der Schweiß den Rücken runter. Und doch wagte er es nicht, sich umzudrehen und sie anzuschreien. Er konnte es einfach nicht.
Diseases come, diseases go
welcome to the final show
Sie verharrte in der Bewegung, er fühlte es. Kein Lächeln, kein Leben, nichts verführerisches war mehr an ihr. Sie saß einfach da, stur aus dem Fenster sehend und die vorbeiziehenden Markierungen betrachtend. Er schluckte und fuhr sich über die feuchte Stirn. Anschließend sah er in den Innenspiegel. Sie war fort.
„Suchst du mich?“
Er fuhr zusammen. Sie saß auf dem Beifahrersitz. Direkt neben ihm. . Die aufflackernden Lichter zeigten ihm ein entstelltes Gesicht, welches er nie wieder hatte sehen wollen.
„Was willst du?“
Ein Lächeln ohne Wärme, aber voller Zynismus huschte über ihr Gesicht.
„Hör mal genau hin!“
Die CD sprang auf ihren Satz hin.
Welcome to the final show
Die Lichter zogen vorbei. Tunnel und andere Autos. In fünfhundert Metern war er hier raus. Die Stelle wiederholte sich erneut. Sie sah ihn auffordernd an. Noch fünfzig Meter. Danach kam eine Brücke.
„Was ist? Hast du nicht den Mut? Bei mir ging es doch auch?“
Sie schrie jetzt. Eine Träne rollte über seine Wange. Der Verzweiflung nicht der Angst.
„Ach, bitte! Sei ein Mann!“
diseases come diseases go
Er wusste, was sie wollte und nickte. Die letzten Lichter zogen vorbei, die letzten weißen Striche, bevor sein Auto nach rechts ausbrach, über den Standstreifen, die Brüstung durchbrechend.
Er fuhr in die Dunkelheit – und die darunter liegende Tiefe.
Ein Gefühl der Erleichterung machte sich breit. Sie war weg. Er lächelte, als aus der Finsternis ein heller Tunnel auf ihn zukam. Frei!
So help me please
Ein dumpfer Laut erklang, dann ein weiterer und noch einer. Der nächste war etwas heller und langsam wandelte sich das Dröhnen in ein regelmäßiges, ruhiges Piepsen. Vermischt mit einem wiederkehrenden Zischen. Die Geräusche schwollen nicht weiter an, sondern blieben gleich und weckten ihn so. Seine Augenlider begannen zu zittern.
Er erwachte.
Zuerst wollte er grinsen. Aber dann wurde ihm bewusst, dass etwas grundlegend falsch war. Das Zischen stammte von einer Beatmungsmaschine und eine weitere überwachte seinen Pulsschlag. Schläuche steckte in ihm und alles roch auf widerliche Weise steril. Er lebte.
Wie konnte das sein?
Panisch versuchte er aufzustehen, aber nichts rührte sich. Kein Arm, keine Hand, kein Finger, weder Füße noch Beine. Er wollte um Hilfe rufen, doch kein Laut verließ seine Lippen. Mit all seiner Kraft versuchte er sich zu bewegen, aber nichts. Panik wuchs in ihm und wurde schier übermächtig. Schweiß stand überall auf seiner Haut, glänzte, als wäre er einen Marathon gelaufen - nur bewegen konnte er sich nicht. Nicht einen Millimeter. Aber er war nicht bereit aufzugeben. Wieder versuchte er einen Arm zu heben oder zumindest den kleinen Finger zu bewegen, er zerrte mit seiner Willenskraft an jedem einzelnen Muskel, gab nicht nach.
Ein Schatten fiel auf ihn und er hörte ihre Stimme.
„'Every generation got it's own disease and i got mine“ Sie verstummte und er hielt inne. Konnte das sein? Verfolgte sie ihn sogar hier? Bis in dieses Zimmer? Das durfte nicht sein. Sollten seine Qualen weiter andauern - er hatte doch schon bezahlt. Auf einer Intensivstation in einem Krankenhaus zu erwachen, war garantiert nicht sein Traum vom Leben gewesen. Er presste die Augenlider zusammen, wenn er sie nicht sehen konnte, würde sie nicht da sein. Aber ihr stechender Blick durchdrang alles. Sie blickte direkt in seine Seele und was sie dort sah, gefiel ihm nicht. Darum und nur darum schlug er die Augen wieder auf und sah sie an. Ganz im Gegensatz zu seiner Erwartung, war ihr Gesicht nicht vor Wut und Zorn verzerrt, sondern sie lächelte süffisant. Die Panik in ihm wich der Verzweiflung und mündete in einem jähen Ausbruch von Zorn. Er sprang aus seinem Bett und baute sich vor ihr auf. Er machte sich gerade dazu bereit, sie anzuschreien, ihr zu sagen, sie solle verschwinden und ihn in Ruhe lassen, als ihr Zeigefinger sanft seine Lippen berührte und sie ihn mit leicht geneigtem Kopf aufforderte zur Seite zu sehen.
Sein Körper lag weiterhin starr im Bett.
Er taumelte zurück und versuchte sich an einem der Geräte, die das Bett umgaben, abzustützen. Ohne den geringsten Widerstand glitt seine Hand hindurch. Er begann schnell zu atmen, bis sich die Erkenntnis durchsetzte. Fassungslos starrte er sie an und stellte ihr damit lautlos die einzige Frage, die wichtig war. Warum?
Abermals lächelte sie nur. Gleichzeitig öffnete sich die Tür des Raumes und sie verblasste. Herein kamen zwei Pfleger. Beide in weiß gekleidet und mit Mundschutz. Der eine, Blonde, hielt Eimer und Schwamm in der Hand. Sie kamen zu seinem Bett und während der Schwarzhaarige ihn anhob und herumdrehte, wusch der andere ihn grob mit dem Schwamm ab.
„Und du bist dir sicher, dass er nichts spürt?“
„Ganz sicher, probier es doch aus!“ Der Blonde hatte geantwortet und lachte dabei auf. Sein Freund ließ sich nicht zweimal bitten. Er nahm eine Gabel aus seiner Tasche und stach von hinten in den Oberschenkel des leblosen Körpers vor ihm.
So help me please.
Er wollte schreien, konzentrierte sich darauf, sein Bein, seinen Arm oder irgendetwas anderes zu bewegen, um zu zeigen, dass er den Schmerz spürte und sie nicht mit ihm machen konnten, was sie wollten, aber weiterhin konnte er nichts tun. Verzweifelt ließ er das Waschen über sich gehen, hörte ihre dreckigen Witze, sah ihre lüsternen Blicke, spürte wie ihre Hände nahezu zärtlich über seinen Körper glitten. Die ganze Zeit stand er neben ihnen und musste mit ansehen, was sie taten. Zuerst voller Zorn, bis die Erkenntnisse vollends zuschlug. Er war ihnen hilflos ausgeliefert und auch wenn es niemand mitbekam, brach er in Tränen aus. Als der Blonde sich zu ihm herunterbeugte und ihm ins Ohr flüsterte, sie kämen später wieder, um noch etwas Spaß zu haben, zerbrach er. Leeren Blickes verfolgte er, wie sie den Raum verließen. Die Tür schloss sich und sie stand davor. „Wie lange?“ Diese eine, wesentliche Frage stellte er, mehr nicht.
„Wie lange meinst du, hast du es verdient?“
Seine früher so feste Stimme, war brüchig und ohne Kraft. „Ewig.“
Zufrieden lächelnd verblasste sie endgültig und mit dem Kopf in den Händen vergraben setzte er sich auf einen Stuhl und wartete auf den nächsten Teil seiner Bestrafung. Irgendwann begann er leise zu singen.
Every generation got it's own disease
and i got mine
so help me please
Lied: „Every generation got it's own disease“ von Fury in the slaughterhouse; Album: Mono 1993

Kalter Hauch
Die Lichter zogen am Fenster im beständigen Rhythmus der Nacht vorbei. Erst eins, dann noch eins und noch eins, immer weiter den ganzen langen verdammten Tunnel durch. Und er schien immer noch kein Ende nehmen zu wollen. Fast wie ein Herzschlag drang mattgelbes Licht hinein in das Auto. Pulsierend, wie Bass und Schlagzeug des Liedes, welches aus dem Radio erklang.
Watch out for the last white doves
Sicher als, ob es so etwas noch geben würde. Fast hypnotisch zog der alte Song der Furys den Fahrer in seinen Bann. Nie hatte ein Lied, die Stimmung einer einsamen Nachtfahrt besser rübergebracht. Man konnte sich hineinfallen lassen und das tat er. Der Sänger wurde lauter und was er von sich gab, war eine deutliche Anklage an die Welt, die vor Gericht stand.
And believe me baby
every generation got it's own disease
and i got mine
Oh ja, niemand wusste es besser als er selbst, was diese Zeilen bedeuteten. Seine Generation hatte wirklich Probleme, allein wenn man sich ansah, dass Leute wie Daniel Küblböck und DJ Ötzi Erfolg hatten, musste eigentlich jedem klar sein, was falsch lief und was ihn selbst betraf …
Nun zumindest wusste er um seinen Zustand, was es allerdings auch nicht besser machte. Deshalb war er heute Nacht unterwegs, fuhr herum, auf dem Weg, auf der Suche nach einem Ziel.
So help me please
Dafür war es wohl zu spät. Mit Sicherheit. Er hatte nicht mehr viel von der Welt zu erwarten und sie nicht von ihm. Ganz bestimmt nicht. Die Lichter zogen weiter vorbei, doch er nahm sie nur am Rande war. Irgendwann würde dieser elende Tunnel schon aufhören und er konnte sich überlegen, was als nächstes zu tun war. Seine Suche fortsetzen. Seine rechte Hand wanderte zum Radio und drückte auf die Wiederholungstaste bevor das Lied zuende war. Erneut begann die Gitarre ihr Spiel, flackerte auf, verschwand, nur um sofort wieder aus der Dunkelheit aufzutauchen. Das Schlagzeug setzte ein, bevor der Bass sich dazugesellte. Tief, ruhig und doch treibend. Die Fahrbahnmarkierung glitt unter dem Auto dahin. Weiß auf Schwarz.
Der Sänger stimmte ein.
The more we take, the less we give, that's the modern way to live
Er nickte mit dem Kopf im Rhythmus der Musik, schaute dabei kurz in den Rückspiegel, den er so eingestellt hatte, dass er sich sehen konnte. Die Hoffnung etwas anderes zu betrachten, als ein verlebtes Gesicht, welches viel zu alt aussah, als es eigentlich dürfte, war zwar schon lange vergangen, aber einen Blick konnte man immer riskieren. Aber es hatte sich seit dem letzten Mal nichts geändert. Ihn starrte weiterhin, dasselbe verbrauchte Ich entgegen, mit Kratern als Falten, die sich vor der Zeit um Augen und Mund gelegt hatten. Der Versuch eines Lächelns scheiterte und so sah er wieder hinaus auf den grauen Asphalt. Flüsterasphalt, damit die Stille der Nacht unheimlicher würde. Jetzt musste er doch leise lachen. Konnte sie das denn? Er bezweifelte es.
Someone said, live fast die young
but time runs always faster son
Wahr gesprochen. Zeit verging schnell. Viel zu schnell. Und seine war bald abgelaufen. Garantiert. Jemanden wie ihn würde der Tod schnell zu sich holen. Hoffentlich. Er wollte nicht mehr leben, nicht so.
„Bist du zufrieden?“ Er fuhr zusammen, drehte den Innenspiegel und warf einen Blick auf den Rücksitz. Dort saß sie.
„Ob du zufrieden bist, habe ich gefragt.“ Er schluckte. War sie also wieder da. Er drehte sich um, um sie genauer zu betrachten. „Schau nach vorne du Trottel, oder willst du sterben und die Familie in dem Auto da mitreißen?“ Gerade eben noch, wich er einem entgegenkommenden Auto aus. Sterben? Ja, das wollte er. Aber ohne weitere Opfer. Ohne weitere Schuld auf sein Gewissen zu legen. Eine reichte. Ihm zumindest.
„Was willst du? Warum bist du hier?
„Kannst du dir das nicht denken? - Mein Schatz!“
Er konnte es und als er jetzt in den Rückspiegel sah, konnte er ihre meerschaumweißen Zähne sehen. Sie lächelte. Ein irres Lächeln.
„Hübsches Lied, hast du da an!“
I think, that i'm to young to die,
lord, why i cannot say goodbye
Sie summte mit. Wie eine Kreissäge fuhr ihre Stimme durch sein Hirn und verursachte geradezu körperliche Schmerzen. Sie hatte so gerne gesungen. Fast jedes Lied hatte sie gekannt und dieses, war einst ihrer liebsten gewesen. Die Lichter des Tunnels fielen herein, aber da sie hinten saß, konnte er immer nur einen kurzen Blick auf dunkle Schemen erhaschen. Er wollte das Radio am liebsten ausschalten, aber er traute sich nicht. Sie hatte so viel erleiden müssen, da konnte er ihr das nicht wegnehmen.
„Ich mag das Lied. Spiel es von Anfang an!“ Ihre Stimme klang sehnsuchtsvoll, aber kalt, fast steril.
So help me please
Er tat, was sie wollte. Warum auch nicht. Wieder begann die Gitarre ihr Spiel, setzten Schlagzeug und Bass ein. Sie bewegte sich zur Musik. Verführerisch aber bedrohlicher als früher. Die ganze Zeit starrte sie ihn dabei aus kalten Augen an. Fixierte seinen Hinterkopf. Er konnte es spüren. Kalt rann ihm der Schweiß den Rücken runter. Und doch wagte er es nicht, sich umzudrehen und sie anzuschreien. Er konnte es einfach nicht.
Diseases come, diseases go
welcome to the final show
Sie verharrte in der Bewegung, er fühlte es. Kein Lächeln, kein Leben, nichts verführerisches war mehr an ihr. Sie saß einfach da, stur aus dem Fenster sehend und die vorbeiziehenden Markierungen betrachtend. Er schluckte und fuhr sich über die feuchte Stirn. Anschließend sah er in den Innenspiegel. Sie war fort.
„Suchst du mich?“
Er fuhr zusammen. Sie saß auf dem Beifahrersitz. Direkt neben ihm. . Die aufflackernden Lichter zeigten ihm ein entstelltes Gesicht, welches er nie wieder hatte sehen wollen.
„Was willst du?“
Ein Lächeln ohne Wärme, aber voller Zynismus huschte über ihr Gesicht.
„Hör mal genau hin!“
Die CD sprang auf ihren Satz hin.
Welcome to the final show
Die Lichter zogen vorbei. Tunnel und andere Autos. In fünfhundert Metern war er hier raus. Die Stelle wiederholte sich erneut. Sie sah ihn auffordernd an. Noch fünfzig Meter. Danach kam eine Brücke.
„Was ist? Hast du nicht den Mut? Bei mir ging es doch auch?“
Sie schrie jetzt. Eine Träne rollte über seine Wange. Der Verzweiflung nicht der Angst.
„Ach, bitte! Sei ein Mann!“
diseases come diseases go
Er wusste, was sie wollte und nickte. Die letzten Lichter zogen vorbei, die letzten weißen Striche, bevor sein Auto nach rechts ausbrach, über den Standstreifen, die Brüstung durchbrechend.
Er fuhr in die Dunkelheit – und die darunter liegende Tiefe.
Ein Gefühl der Erleichterung machte sich breit. Sie war weg. Er lächelte, als aus der Finsternis ein heller Tunnel auf ihn zukam. Frei!
So help me please
Ein dumpfer Laut erklang, dann ein weiterer und noch einer. Der nächste war etwas heller und langsam wandelte sich das Dröhnen in ein regelmäßiges, ruhiges Piepsen. Vermischt mit einem wiederkehrenden Zischen. Die Geräusche schwollen nicht weiter an, sondern blieben gleich und weckten ihn so. Seine Augenlider begannen zu zittern.
Er erwachte.
Zuerst wollte er grinsen. Aber dann wurde ihm bewusst, dass etwas grundlegend falsch war. Das Zischen stammte von einer Beatmungsmaschine und eine weitere überwachte seinen Pulsschlag. Schläuche steckte in ihm und alles roch auf widerliche Weise steril. Er lebte.
Wie konnte das sein?
Panisch versuchte er aufzustehen, aber nichts rührte sich. Kein Arm, keine Hand, kein Finger, weder Füße noch Beine. Er wollte um Hilfe rufen, doch kein Laut verließ seine Lippen. Mit all seiner Kraft versuchte er sich zu bewegen, aber nichts. Panik wuchs in ihm und wurde schier übermächtig. Schweiß stand überall auf seiner Haut, glänzte, als wäre er einen Marathon gelaufen - nur bewegen konnte er sich nicht. Nicht einen Millimeter. Aber er war nicht bereit aufzugeben. Wieder versuchte er einen Arm zu heben oder zumindest den kleinen Finger zu bewegen, er zerrte mit seiner Willenskraft an jedem einzelnen Muskel, gab nicht nach.
Ein Schatten fiel auf ihn und er hörte ihre Stimme.
„'Every generation got it's own disease and i got mine“ Sie verstummte und er hielt inne. Konnte das sein? Verfolgte sie ihn sogar hier? Bis in dieses Zimmer? Das durfte nicht sein. Sollten seine Qualen weiter andauern - er hatte doch schon bezahlt. Auf einer Intensivstation in einem Krankenhaus zu erwachen, war garantiert nicht sein Traum vom Leben gewesen. Er presste die Augenlider zusammen, wenn er sie nicht sehen konnte, würde sie nicht da sein. Aber ihr stechender Blick durchdrang alles. Sie blickte direkt in seine Seele und was sie dort sah, gefiel ihm nicht. Darum und nur darum schlug er die Augen wieder auf und sah sie an. Ganz im Gegensatz zu seiner Erwartung, war ihr Gesicht nicht vor Wut und Zorn verzerrt, sondern sie lächelte süffisant. Die Panik in ihm wich der Verzweiflung und mündete in einem jähen Ausbruch von Zorn. Er sprang aus seinem Bett und baute sich vor ihr auf. Er machte sich gerade dazu bereit, sie anzuschreien, ihr zu sagen, sie solle verschwinden und ihn in Ruhe lassen, als ihr Zeigefinger sanft seine Lippen berührte und sie ihn mit leicht geneigtem Kopf aufforderte zur Seite zu sehen.
Sein Körper lag weiterhin starr im Bett.
Er taumelte zurück und versuchte sich an einem der Geräte, die das Bett umgaben, abzustützen. Ohne den geringsten Widerstand glitt seine Hand hindurch. Er begann schnell zu atmen, bis sich die Erkenntnis durchsetzte. Fassungslos starrte er sie an und stellte ihr damit lautlos die einzige Frage, die wichtig war. Warum?
Abermals lächelte sie nur. Gleichzeitig öffnete sich die Tür des Raumes und sie verblasste. Herein kamen zwei Pfleger. Beide in weiß gekleidet und mit Mundschutz. Der eine, Blonde, hielt Eimer und Schwamm in der Hand. Sie kamen zu seinem Bett und während der Schwarzhaarige ihn anhob und herumdrehte, wusch der andere ihn grob mit dem Schwamm ab.
„Und du bist dir sicher, dass er nichts spürt?“
„Ganz sicher, probier es doch aus!“ Der Blonde hatte geantwortet und lachte dabei auf. Sein Freund ließ sich nicht zweimal bitten. Er nahm eine Gabel aus seiner Tasche und stach von hinten in den Oberschenkel des leblosen Körpers vor ihm.
So help me please.
Er wollte schreien, konzentrierte sich darauf, sein Bein, seinen Arm oder irgendetwas anderes zu bewegen, um zu zeigen, dass er den Schmerz spürte und sie nicht mit ihm machen konnten, was sie wollten, aber weiterhin konnte er nichts tun. Verzweifelt ließ er das Waschen über sich gehen, hörte ihre dreckigen Witze, sah ihre lüsternen Blicke, spürte wie ihre Hände nahezu zärtlich über seinen Körper glitten. Die ganze Zeit stand er neben ihnen und musste mit ansehen, was sie taten. Zuerst voller Zorn, bis die Erkenntnisse vollends zuschlug. Er war ihnen hilflos ausgeliefert und auch wenn es niemand mitbekam, brach er in Tränen aus. Als der Blonde sich zu ihm herunterbeugte und ihm ins Ohr flüsterte, sie kämen später wieder, um noch etwas Spaß zu haben, zerbrach er. Leeren Blickes verfolgte er, wie sie den Raum verließen. Die Tür schloss sich und sie stand davor. „Wie lange?“ Diese eine, wesentliche Frage stellte er, mehr nicht.
„Wie lange meinst du, hast du es verdient?“
Seine früher so feste Stimme, war brüchig und ohne Kraft. „Ewig.“
Zufrieden lächelnd verblasste sie endgültig und mit dem Kopf in den Händen vergraben setzte er sich auf einen Stuhl und wartete auf den nächsten Teil seiner Bestrafung. Irgendwann begann er leise zu singen.
Every generation got it's own disease
and i got mine
so help me please
Lied: „Every generation got it's own disease“ von Fury in the slaughterhouse; Album: Mono 1993
Auf das der Wind in eurem Rücken, nie euer eigener sei. (alter irischer Reisegruß
)
drakir
und seine Werke

drakir
und seine Werke