Weil Zack so lieb darum gebeten hat, habe ich was neues Altes hervorgekramt. Das Ganze war ursprünglich als Kurzgeschichte angelegt, die aus meinem (größten) Werkkomplex stammt, nun da ich so drüber nachdenke, spinnen sich gleich neue Erzähltstrange daran (ja, so schnell kanns gehen, ich musste nur die Datei öffnen...) und wer weiß, vielleicht gibt es in naher (oder ferner, man soll ja nicht zu optimistisch sein) Zukunft Fortsetzungen.
Auf Sparflamme
Meine Geschichte hat kein Publikum. Ich erzähle sie mir vor dem Einschlafen, damit ich einen Grund habe, am nächsten Morgen aufzustehen. Wie die meisten anderen Geschichten hat sie kein Happy End. Als jemand, der bis zum Hals in diesem Sumpf aus Schlicke und anderem Abfall steckt, müsste mir das etwas ausmachen. Doch ich habe mich schon längst mit meinem Schicksal abgefunden.
Ich bin sechzehn, dabei fühle ich mich wie eine Greisin, die es verlernt hat zu leben. Die Narben an meinem Körper zeugen von Begegnungen, die ich kein zweites Mal erleben möchte. Sie wären Grund genug, alles hinzuschmeißen und das tägliche Ringen kampflos aufzugeben. Sie erinnern mich aber auch daran, dass ich „nur“ mit Verletzungen davongekommen bin.
Klaffend, mit unvorstellbaren Schmerzen verbunden, als sie mir zugefügt wurden. Eitrig und beißend, als sie abheilten. Und wohl eine bleibende Beeinträchtigung meiner Bewegungsfreiheit bis zu dem Tag, an dem ich sterbe.
Dafür am Leben.
Jemand anderer an meiner Stelle hätte sein eigenes Blut nicht mal noch spritzen gesehen und hätte augenblicklich das Zeitliche gesegnet.
Ob ich wirklich die bin, die sich glücklich schätzen darf, weiß ich nicht.
Ich habe diese Welt nie anders kennengelernt, als sie heute ist. Müllberge, die sich bis in den Himmel stapeln, dazwischen unscheinbare Ruinen einst funktionstüchtiger Gebäude, wo sich heute nur noch der klägliche Rest menschlichen Lebens Rest und was da noch alles sein mag, tummelt und vergeblich versucht, sich eine Existenz aufzubauen, bevor der nächste Angriff alles wieder niederwalzt.
Auch Jahre vor meiner Geburt wucherte dieser Morast, doch es war nicht immer so. Der große Weltenclash, der diese Schutthalden aufgeschüttet hat, liegt Jahrzehnte zurück. Es ist kaum zu glauben, dass es einmal etwas anderes als Dreck starrende Tümpel gegeben haben soll.
Tatsächlich sind das die traurigen Überreste vergangener Welten, die nicht zu Asche zerfallen sind. Die Verzweiflung dünstet hier aus jeder Pore. Aufräumarbeiten gibt es schon lange nicht mehr, selbst der geringste Versuch etwas an diesem Chaos zu ändern, erstickt im Keim.
Wen kümmern schon saubere Straßen, Häuser mit unversehrten Mauern, sauberes Trinkwasser, wenn die Bedrohung ganz woanders lauert?
Wenn es heißt, jagen oder gejagt werden?
Was damals den Weltenclash auslöste, bei dem so ziemlich jede denkbare Dimension in sich zusammenfiel und mit sich Milliarden Leben ins Nichts riss, Rassen auslöschte, deren Namen heute nicht mehr bekannt sind, weiß niemand. Es gibt die kuriosesten Vermutungen: Die Dimensionen seien unter der Last ihrer Bevölkerung zusammengebrochen oder ein globaler terroristischer Anschlag habe alles ins Verderben gestürzt oder aber – mein persönlicher Favorit – das absolute Böse habe die Welten heimgesucht. Fakt ist, dass der Boden, auf dem ich heute stehe, der zusammengewürfelte Rest von einstigen mächtigen Reichen ist, und jeder, der dieselbe Luft mit mir teilt, ein Überlebender der Katastrophe und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch der letzte seiner Art ist.
Was oder wer also den Weltenclash zu verantworten hatte, ist das große Geheimnis, für dessen Enträtselung niemand Zeit hat, denn eine ganz andere Frage interessiert uns Überlebende: Wurde man auch früher schon von den Bestien gejagt oder fanden sie erst mit dem Clash Eingang in unsere Welt?
Okay, auch diese Frage ist spannender als ihre Antwort, denn diese würde wohl auch nichts an der Plage der Bestien, den Morferales, ändern. Morferales sind Schlammhaufen mit Armen und Beinen und, viel wichtiger, messerscharfen Klauen und hungrigen Mäulern. Jeder Tag, an dem man keinem von ihnen begegnet, ist ein gewonnener Tag.
Das gilt zumindest für andere Menschen. Denn ich bin nicht ganz Mensch und damit beginnt mein Schicksal.
„Andy! Was fällt dir ein, hier so einfach herumzulaufen? Du weißt genau, dass wir immer zusammen auf Patrouille gehen!“
Seth hatte mir den Weg abgeschnitten und obwohl er mich für meinen Leichtsinn am liebsten angeschrien hätte, blieb ihm nichts als zu flüstern. Alles andere hätte die Aufmerksamkeit auf uns gezogen. Dieser Sektor des Außenbezirkes gehörte zu unserem Verantwortungsbereich und war als Sperrgebiet ausgerufen.
Sperrgebiet, rote Zone, was auch immer. Die Bezeichnungen waren bedeutungslos. Hier war es genauso gefährlich wie anderswo. Indem wir so taten, wir könnten uns aussuchen, wo wir kämpften, erhielten wir uns zumindest die Illusion, es gäbe einen Ort, an dem wir sicher waren.
Ich hatte ganz auf Seth vergessen, der mich verärgert anstierte. In letzter Zeit geschah es mir immer öfter, dass ich mich aus meiner Umgebung ausklinkte und mich in mich zurückzog. Mir war bewusst, dass mich meine Unachtsamkeit irgendwann das Leben kosten würde, aber bis jetzt war noch nichts passiert oder ein wütender Seth hatte mich rechtzeitig wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Denn so sicher war ich mir nicht, ob ich das Rascheln hinter mir bemerkt hätte, hätte Seth mich nicht vorgewarnt.
Er gab dem Morferales keine Chance, aus seinem Versteck zu kriechen, und schoss, ohne zu zögern, einen Feuerball an mir vorbei. Zischelnd und Funken sprühend fraß er sich in das meterhohe Gerümpel und räucherte dort alles Ungeziefer aus.
„Bist du bereit zu kämpfen oder soll ich dir noch ein paar Minuten zum Herumträumen geben?“, schnaubte Seth mich an und ging in Angriffsstellung.
„Danke der Nachfrage. Ich bin bereit“, gab ich zurück und brachte mich in Position, denn Morferales waren für gewöhnlich im Geschwader unterwegs. Es dauerte nicht lange und die Wände um uns begannen, Müllfontänen zu erbrechen. Geröll und Schlacke machte dem richtigen Abfall Platz: Sechs turmhohe Monstrositäten kesselten uns ein und präsentierten mit gehässigem Grinsen ihre Pranken. Ihren Schädel, der unter dem Schlamm nichts als eine unförmige Ausbuchtung war, zierte der typische weiße Fleck. Der Morferales mit dem größten Mal sprach uns an.
„Ihr traut euch etwas, draußen alleine zu spielen“, blökte er so selbstgerecht, wie es nur ein Ungeheuer kann, das gerade frische Beute erlegt hat – nach dem Blut auf seinen Krallen zu schließen, lag ich damit auch nicht so falsch, „ihr müsst die Feuerkrieger sein.“
„Was hat uns verraten? Etwa der Feuerball aus meiner Hand? Heute haben wir es ja mit ganz schlauen Morferales zu tun“, antwortete Seth unbeeindruckt, versuchte, dabei möglichst unauffällig mich mit seinem Körper abzuschirmen, wie er es immer tat, wenn er sich einbildete, er müsste mich beschützen. In der Kreisformation unserer Gegner standen seine Erfolgsaussichten allerdings nicht gerade gut.
Ich wunderte mich darüber, dass sie von uns wussten.
Normalerweise machten wir kurzen Prozess mit den Morferales, die wir jagten – wenn sie uns nicht gerade jagten - und keiner davon hatte die Gelegenheit über uns zu berichten. Vermutlich lauerten andere Morferales im Schatten und beobachteten, wie wir ihresgleichen niederfackelten.
Das merkte ich mir.
Dieses Mal nicht nur die Morferales ausschalten, sondern auch die Umgebung absuchen.
„Du bist ganz schön vorlaut, Kleiner. Ihr seid in der Unterzahl. An deiner Stelle würde ich deine Gebete aufsagen.“
So, so, ein gläubiger Morferales. Ich hätte gedacht, ihnen wäre nichts heilig.
„Das Mädchen ist ganz starr vor Angst. Der hat es die Sprache verschlagen“, machte sich der eine hinter mir lustig. Die heutige Truppe war ganz schön redselig, man merkte ihnen richtig die Freude an der Jagd an. Ich würde mich nie damit anfreunden können.
Ich ließ den Anführer nicht aus den Augen.
„Was meinst du? Zwei für dich und vier für mich oder halbe-halbe?“, fragte ich Seth, während ich mir einen Starrwettbewerb mit diesem Unding lieferte, das es sichtlich nicht gewohnt war, Widerworte von seinem Fang zu bekommen.
Seth stellte sich mir nicht in den Weg, weil er wusste, dass ich mich schwer beherrschen konnte, hatte ich einmal Feuer gefangen.
„Ich überlasse sie dir alle“, erwiderte er und schlug damit dem Fass den Boden aus: Die Morferales duldeten keine Sekunde länger unseren Spott und griffen an.
Zwei von ihnen stürzten sich direkt auf uns, ihnen schmolz Seth die Schienbeine mit dem Boden zusammen. Während ihr restlicher Körper zu Asche zerbröckelte, ging Seth auf Nummer sicher und half mit einer weiteren Ladung Feuerkugeln nach.
All das bekam ich nur aus den Augenwinkeln mit, aber ich kannte Seth. Seine Bewegungen waren mir so vertraut, als wären es meine eigenen.
Mir gehörten die übrigen Morferales, die sich über unsere Köpfe teleportierten und uns im Sturzflug mit ihren Pranken zerteilen wollten. Mir blieben Sekunden und in diesen sorgte ich dafür, dass sich mein Bild als Letztes in ihre Erinnerung einbrannte. Ich beschwor das Feuerlasso und holte einen nach dem anderen aus der Luft. Am liebsten hätte ich diesen Monstern ausgiebig die Macht des Feuers demonstriert, doch blieb nicht viel mehr als versengte Ascheklumpen von ihnen übrig. Auch von Seths Angreifern war fast nichts mehr zu sehen.
Wir waren viel zu großzügig. Die Morferales verspeisten ihre Opfer bei lebendigem Leib. Dafür verschafften wir ihnen nur ein kurzes Fegefeuer und damit sollten ihre Verbrechen gesühnt sein?
Wie nach jeder größeren Attacke zwang mich der Schwindel in die Knie. Ohne große Alternative lehnte ich mich gegen den Müllberg und versuchte, mit Willenskraft meinen Körper daran zu hindern, schlapp zu machen. Leider war mein Körper genauso stur und beharrte auf sein Recht, jetzt eine Pause einzulegen.
Mitleidig betrachtete Seth mich und setzte sich in den Dreck neben mich.
„Du hättest nicht so viel Energie aufwenden müssen. Die paar Typen hatten wir locker in der Tasche. Irgendwann bekommst du die Quittung für deinen Leichtsinn“, wies er mich zurecht und hob mein Oberteil an, um sich zu vergewissern, dass der Angriff folgenlos an meinen Verletzungen vorübergegangen war. Mir fehlte die Kraft, um seine Hand wegzuschlagen. Ich wusste, dass ich es übertrieben hatte, das Letzte, was ich jetzt brauchte, war eine Predigt.
„Ich wollte, dass sie leiden. Wie jedes ihrer Opfer“, knirschte ich. Mir war klar, dass die Opferzahl bei weitem mein Vorstellungsvermögen überstieg und ich nicht im Ansatz jedes Leben, das sie ausgelöscht hatten, rächen konnte. Diese Ungeheuer in Flammen aufgehen zu lassen, war das Einzige, was ich tun konnte. Ob die anderen dieselbe Befriedigung verspürten, wenn sie einem von ihnen mit ihrem Element den Garaus machten? Wir redeten viel zu selten über unsere Kräfte, weil wir zu sehr damit beschäftigt waren, mit ihnen zu töten.
„Ich weiß nicht, ob wir stärker werden oder sie schwächer. Normal ist es auf jeden Fall nicht, dass sie sich so leicht umbringen lassen“, dachte ich laut, „nicht, dass ich mich beschweren würde.“
Da fiel mir mein Vorsatz ein, den ich erst vor wenigen Minuten gefasst hatte: die Umgebung nach Spähern zu durchforsten.
Gerade als ich diesen Gedanken beendet hatte, schossen zwei Schlammarme aus der Müllwand hinter mir und zerrten mich mit sich in den Unrat verrotteter Welten. Seth war zu überrumpelt, um mir zu helfen. Ich zählte die Sekunden, die mir blieben, bis sich der ätzende Schleim des Morferales durch meine Kleidung gefressen hätte, meine Haut abschabte und mein Fleisch aufwühlte. So wie das letzte Mal, als mir einer von ihnen zu nahe gekommen war.
Auch wenn es mich die Handflächen kosten würde, packte ich fest die Pranken meines Angreifers. Ich ignorierte den beißenden Schmerz und konzentrierte mich stattdessen auf die Flammen, die ich durch seinen Körper jagte. Augenblicklich lockerte sich der Griff und die wenige Luft, die unter dem Schutt zum Atmen blieb, wurde mit markerschütterndem Gekreische erfüllt. Es war der Todesschrei der Morferales, vollkommene Musik in meinen Ohren. Im Moment lenkten mich aber die Schmerzen an meinen Handflächen und die immer knapper werdende Luft zu sehr ab, um den Triumph genießen zu können.
Ich hatte mir einen weitaus schöneren Tod vorgestellt als unter Gerümpel lebendig begraben zu werden und das mit dem Gestank eines gerösteten Morferales in der Nase.
Wirklich überrascht war ich allerdings nicht. Mein Schicksal war es, die Jäger zu jagen, was unausweichlich so enden musste, dass ich zur Gejagten wurde, die eines Tages in eine Falle tappte. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass eines Tages in so greifbarer Nähe war.
Ich kannte mein Schicksal, hatte dabei aber ganz auf Seths vergessen, das darin bestand, mich aus jedem noch so vermoderten Schlamassel zu retten. Im nächsten Moment wurde es unerträglich heiß um mich und ehe ich mich versah, begann der Dreck unter mir zu zerfließen. Seth musste gewaltige Energien aufbringen, um mich zu befreien. Mich kostete es ebenso viel Kraft, mein Feuer gegen seines einzusetzen, um nicht zu verbrennen.
Zuletzt waren nur noch wir beide in den verkohlten Massen übrig, durchtränkt von dem widerlichsten Gestank, den es je auf Erden gegeben hatte.
Wortlos watete er zu mir durch die trüben Fluten und half mir mich von dem zähen Sud, der mittlerweile jeden Winkel meines Körpers erreicht hatte, zu befreien.
„Ich wünschte, ich könnte sagen, dass das der schlimmste Tag meines Lebens ist“, war das einzige halbwegs Sinnvolle, was über meine Lippen kam, während ich mich von ihm auf neue Verletzungen untersuchen ließ.
Unsere Situation war grässlich – ganz abgesehen von den offensichtlichen Gründen. Heute hatten wir mindestens sieben Morferales getötet, morgen könnten wir doppelt so viele vernichten, es würde keinen Unterschied machen. Sie waren eine Plage, die nicht und nicht auszurotten war. Diejenigen, die ihnen entkommen waren, verkrochen sich in ihren Unterschlüpfen und überließen uns das Kämpfen.
Wer wir waren?
Geschöpfe unterschiedlichsten Ursprungs, noch halb Kind, die das Schicksal zusammengeführt und dazu befohlen hatte, eines der Elemente zu beherrschen und mit dessen Hilfe die Brut der Morferales zu bekämpfen. Mir war es nie in den Sinn gekommen, meine Bestimmung anzuzweifeln oder gar als ungerecht zu empfinden. Für mich war es klar, dass irgendjemand dem Treiben dieser Monster ein Ende setzen musste. Mit jedem Tag aber, den wir ein Dutzend von ihnen auslöschten und ein neues dafür nachkam, schwanden meine Kräfte und meine Glaube daran, etwas bewirken zu können.
„Du bist schon wieder mit deinen Gedanken ganz woanders“, holte Seth mich zurück. Inzwischen hatten wir einen trockenen Fleck Erde gefunden, in der Ferne hörte ich die dampfende Brühe Blasen schlagen. Seth hatte seine gesamte Energie fürs Einschmelzen der Tonnen Müll aufgebraucht, doch so viel Kraft hatte er noch, um mich zu ermahnen. Der nächste Morferales war nicht weit, doch wir hatten uns eine kleine Verschnaufpause verschafft, denn der heiße Brei hinderte jeden Angreifer, sich uns zu nähern, ohne dass er sich die Klauen verbrannte.
„Ich habe an die alten Legenden gedacht, die mir meine Großmutter immerzu erzählt hat. Von dem Herrscherpaar, das die Dimensionen vor dem Weltenclash in Einklang brachte.“
Für gewöhnlich mochte Seth es nicht, von Vergangenem zu reden, weil er meinte, es lenkte uns von der Gegenwart ab, in der Unachtsamkeit schnell zum Todesurteil wurde. Doch die Attacke hatte ihn dieses Mal so sehr geschafft, dass ihm ein Plausch willkommen war. Was aber nicht hieß, dass er nicht in Alarmbereitschaft war, während wir sprachen.
„Ich habe auch so einige Geschichten über die beiden gehört. Sie sollen die mächtigsten Geschöpfe gewesen sein, die je gelebt haben.“
Ich zuckte unbeeindruckt mit den Schultern.
„Egal, wie mächtig sie gewesen sind, das hat sie auch nicht vor dem Clash bewahrt. Weißt du aber, was noch über sie erzählt wird?“
„Etwa dass sie genauso gute Morferalesjäger waren wie wir?“
Ich war nicht für Scherze aufgelegt.
„Meine Großmutter war davon überzeugt, dass sie in einem neuen Leben wiederkehren und den Morferales den Marsch blasen.“
Seth war plötzlich todernst.
„Diese ganze Wiedergeburtskiste ist doch nichts als Schönrednerei, um den Leuten weiszumachen, dass es Erlösung von den Morferales gibt. Solange sie aber nicht ihren Arsch hochkriegen, sind wir die Einzigen, die etwas gegen sie unternehmen. Hört es sich nicht toll an: ‚Keine Angst, dieses Leben ist zwar Mist, doch im nächsten wird alles anders sein‘? Sag mir bitte nicht, dass du an so etwas glaubst, Andy. Wiedergeburten sind etwas für Feiglinge, die sich die Lösung ihrer Probleme im nächsten Leben versprechen. Wir haben dieses eine Leben und wenn wir das verkacken, dann hat zumindest ein Morferales einen vollen Magen.“
Ich hatte nie vermutet, dass sich Seth über solche Dinge Gedanken machte. Eingehend musterte er mich mit seinen saphirfarbenen Augen, die den einzigen Tupfen Farbe in diesem Pfuhl in sich bargen.
„Du hattest verdammtes Glück, dass es bei den Narben geblieben ist. Auch heute bist du nochmal davongekommen.“
Ich sah meine Handflächen an, die in Berührung mit dem Schleim des Morferales gekommen waren, doch keine einzige Schramme davongetragen hatten. Mein Feuer musste den Erreger ausgemerzt haben. Im Normalfall tötete der Schleim bei direktem Kontakt oder zersetzte die Zellen so stark, dass man binnen kürzester Zeit selbst zum Morferales wurde. Nur sehr selten blieb es bei schmerzhaften, aber folgenlosen Verätzungen, ganz wie ich sie seit jenem Tag unter meinem Gewand versteckte.
Seth wandte nicht den Blick von mir, als brannte ihm noch etwas auf der Zunge.
„Es hat nicht mehr viel gefehlt und der Morferales hätte dich ein für alle Mal gehabt. Ich habe kaum klar denken können, als er mit dir abgetaucht ist und selbst danach, war ich nicht ganz bei mir. Doch du bist vollkommen ruhig geblieben, oder?“
„So ganz stimmt das auch nicht. Als ich beinahe erstickt wäre, war mir das nicht egal“, wehrte ich ab, „ich bin einfach so ruhig, weil es keine Alternative gibt, als zu überleben und Morferales zu töten.“
Er sah mich erwartungsvoll an, doch eine andere Antwort bekäme er nicht. Schließlich gab er sich damit zufrieden und rückte näher an mich.
„Kann ich mich kurz hinlegen?“
Ich ließ ihn seinen Kopf in meinen Schoß legen und ihn seine verdiente Pause machen. Ich hatte kein Zeitgefühl mehr und war überrascht, wie die Dämmerung sich über uns legte. Abwesend strich ich durch sein Haar, während er allmählich eindöste.
Das ist meine Geschichte für heute. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sie auch die von morgen und übermorgen sein. Wir sind das Feuer im Schatten. Solange wir nicht erlöschen, wird die Welt nicht von dem Schatten der Morferales verschluckt.
Auf Sparflamme
Meine Geschichte hat kein Publikum. Ich erzähle sie mir vor dem Einschlafen, damit ich einen Grund habe, am nächsten Morgen aufzustehen. Wie die meisten anderen Geschichten hat sie kein Happy End. Als jemand, der bis zum Hals in diesem Sumpf aus Schlicke und anderem Abfall steckt, müsste mir das etwas ausmachen. Doch ich habe mich schon längst mit meinem Schicksal abgefunden.
Ich bin sechzehn, dabei fühle ich mich wie eine Greisin, die es verlernt hat zu leben. Die Narben an meinem Körper zeugen von Begegnungen, die ich kein zweites Mal erleben möchte. Sie wären Grund genug, alles hinzuschmeißen und das tägliche Ringen kampflos aufzugeben. Sie erinnern mich aber auch daran, dass ich „nur“ mit Verletzungen davongekommen bin.
Klaffend, mit unvorstellbaren Schmerzen verbunden, als sie mir zugefügt wurden. Eitrig und beißend, als sie abheilten. Und wohl eine bleibende Beeinträchtigung meiner Bewegungsfreiheit bis zu dem Tag, an dem ich sterbe.
Dafür am Leben.
Jemand anderer an meiner Stelle hätte sein eigenes Blut nicht mal noch spritzen gesehen und hätte augenblicklich das Zeitliche gesegnet.
Ob ich wirklich die bin, die sich glücklich schätzen darf, weiß ich nicht.
Ich habe diese Welt nie anders kennengelernt, als sie heute ist. Müllberge, die sich bis in den Himmel stapeln, dazwischen unscheinbare Ruinen einst funktionstüchtiger Gebäude, wo sich heute nur noch der klägliche Rest menschlichen Lebens Rest und was da noch alles sein mag, tummelt und vergeblich versucht, sich eine Existenz aufzubauen, bevor der nächste Angriff alles wieder niederwalzt.
Auch Jahre vor meiner Geburt wucherte dieser Morast, doch es war nicht immer so. Der große Weltenclash, der diese Schutthalden aufgeschüttet hat, liegt Jahrzehnte zurück. Es ist kaum zu glauben, dass es einmal etwas anderes als Dreck starrende Tümpel gegeben haben soll.
Tatsächlich sind das die traurigen Überreste vergangener Welten, die nicht zu Asche zerfallen sind. Die Verzweiflung dünstet hier aus jeder Pore. Aufräumarbeiten gibt es schon lange nicht mehr, selbst der geringste Versuch etwas an diesem Chaos zu ändern, erstickt im Keim.
Wen kümmern schon saubere Straßen, Häuser mit unversehrten Mauern, sauberes Trinkwasser, wenn die Bedrohung ganz woanders lauert?
Wenn es heißt, jagen oder gejagt werden?
Was damals den Weltenclash auslöste, bei dem so ziemlich jede denkbare Dimension in sich zusammenfiel und mit sich Milliarden Leben ins Nichts riss, Rassen auslöschte, deren Namen heute nicht mehr bekannt sind, weiß niemand. Es gibt die kuriosesten Vermutungen: Die Dimensionen seien unter der Last ihrer Bevölkerung zusammengebrochen oder ein globaler terroristischer Anschlag habe alles ins Verderben gestürzt oder aber – mein persönlicher Favorit – das absolute Böse habe die Welten heimgesucht. Fakt ist, dass der Boden, auf dem ich heute stehe, der zusammengewürfelte Rest von einstigen mächtigen Reichen ist, und jeder, der dieselbe Luft mit mir teilt, ein Überlebender der Katastrophe und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch der letzte seiner Art ist.
Was oder wer also den Weltenclash zu verantworten hatte, ist das große Geheimnis, für dessen Enträtselung niemand Zeit hat, denn eine ganz andere Frage interessiert uns Überlebende: Wurde man auch früher schon von den Bestien gejagt oder fanden sie erst mit dem Clash Eingang in unsere Welt?
Okay, auch diese Frage ist spannender als ihre Antwort, denn diese würde wohl auch nichts an der Plage der Bestien, den Morferales, ändern. Morferales sind Schlammhaufen mit Armen und Beinen und, viel wichtiger, messerscharfen Klauen und hungrigen Mäulern. Jeder Tag, an dem man keinem von ihnen begegnet, ist ein gewonnener Tag.
Das gilt zumindest für andere Menschen. Denn ich bin nicht ganz Mensch und damit beginnt mein Schicksal.
„Andy! Was fällt dir ein, hier so einfach herumzulaufen? Du weißt genau, dass wir immer zusammen auf Patrouille gehen!“
Seth hatte mir den Weg abgeschnitten und obwohl er mich für meinen Leichtsinn am liebsten angeschrien hätte, blieb ihm nichts als zu flüstern. Alles andere hätte die Aufmerksamkeit auf uns gezogen. Dieser Sektor des Außenbezirkes gehörte zu unserem Verantwortungsbereich und war als Sperrgebiet ausgerufen.
Sperrgebiet, rote Zone, was auch immer. Die Bezeichnungen waren bedeutungslos. Hier war es genauso gefährlich wie anderswo. Indem wir so taten, wir könnten uns aussuchen, wo wir kämpften, erhielten wir uns zumindest die Illusion, es gäbe einen Ort, an dem wir sicher waren.
Ich hatte ganz auf Seth vergessen, der mich verärgert anstierte. In letzter Zeit geschah es mir immer öfter, dass ich mich aus meiner Umgebung ausklinkte und mich in mich zurückzog. Mir war bewusst, dass mich meine Unachtsamkeit irgendwann das Leben kosten würde, aber bis jetzt war noch nichts passiert oder ein wütender Seth hatte mich rechtzeitig wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Denn so sicher war ich mir nicht, ob ich das Rascheln hinter mir bemerkt hätte, hätte Seth mich nicht vorgewarnt.
Er gab dem Morferales keine Chance, aus seinem Versteck zu kriechen, und schoss, ohne zu zögern, einen Feuerball an mir vorbei. Zischelnd und Funken sprühend fraß er sich in das meterhohe Gerümpel und räucherte dort alles Ungeziefer aus.
„Bist du bereit zu kämpfen oder soll ich dir noch ein paar Minuten zum Herumträumen geben?“, schnaubte Seth mich an und ging in Angriffsstellung.
„Danke der Nachfrage. Ich bin bereit“, gab ich zurück und brachte mich in Position, denn Morferales waren für gewöhnlich im Geschwader unterwegs. Es dauerte nicht lange und die Wände um uns begannen, Müllfontänen zu erbrechen. Geröll und Schlacke machte dem richtigen Abfall Platz: Sechs turmhohe Monstrositäten kesselten uns ein und präsentierten mit gehässigem Grinsen ihre Pranken. Ihren Schädel, der unter dem Schlamm nichts als eine unförmige Ausbuchtung war, zierte der typische weiße Fleck. Der Morferales mit dem größten Mal sprach uns an.
„Ihr traut euch etwas, draußen alleine zu spielen“, blökte er so selbstgerecht, wie es nur ein Ungeheuer kann, das gerade frische Beute erlegt hat – nach dem Blut auf seinen Krallen zu schließen, lag ich damit auch nicht so falsch, „ihr müsst die Feuerkrieger sein.“
„Was hat uns verraten? Etwa der Feuerball aus meiner Hand? Heute haben wir es ja mit ganz schlauen Morferales zu tun“, antwortete Seth unbeeindruckt, versuchte, dabei möglichst unauffällig mich mit seinem Körper abzuschirmen, wie er es immer tat, wenn er sich einbildete, er müsste mich beschützen. In der Kreisformation unserer Gegner standen seine Erfolgsaussichten allerdings nicht gerade gut.
Ich wunderte mich darüber, dass sie von uns wussten.
Normalerweise machten wir kurzen Prozess mit den Morferales, die wir jagten – wenn sie uns nicht gerade jagten - und keiner davon hatte die Gelegenheit über uns zu berichten. Vermutlich lauerten andere Morferales im Schatten und beobachteten, wie wir ihresgleichen niederfackelten.
Das merkte ich mir.
Dieses Mal nicht nur die Morferales ausschalten, sondern auch die Umgebung absuchen.
„Du bist ganz schön vorlaut, Kleiner. Ihr seid in der Unterzahl. An deiner Stelle würde ich deine Gebete aufsagen.“
So, so, ein gläubiger Morferales. Ich hätte gedacht, ihnen wäre nichts heilig.
„Das Mädchen ist ganz starr vor Angst. Der hat es die Sprache verschlagen“, machte sich der eine hinter mir lustig. Die heutige Truppe war ganz schön redselig, man merkte ihnen richtig die Freude an der Jagd an. Ich würde mich nie damit anfreunden können.
Ich ließ den Anführer nicht aus den Augen.
„Was meinst du? Zwei für dich und vier für mich oder halbe-halbe?“, fragte ich Seth, während ich mir einen Starrwettbewerb mit diesem Unding lieferte, das es sichtlich nicht gewohnt war, Widerworte von seinem Fang zu bekommen.
Seth stellte sich mir nicht in den Weg, weil er wusste, dass ich mich schwer beherrschen konnte, hatte ich einmal Feuer gefangen.
„Ich überlasse sie dir alle“, erwiderte er und schlug damit dem Fass den Boden aus: Die Morferales duldeten keine Sekunde länger unseren Spott und griffen an.
Zwei von ihnen stürzten sich direkt auf uns, ihnen schmolz Seth die Schienbeine mit dem Boden zusammen. Während ihr restlicher Körper zu Asche zerbröckelte, ging Seth auf Nummer sicher und half mit einer weiteren Ladung Feuerkugeln nach.
All das bekam ich nur aus den Augenwinkeln mit, aber ich kannte Seth. Seine Bewegungen waren mir so vertraut, als wären es meine eigenen.
Mir gehörten die übrigen Morferales, die sich über unsere Köpfe teleportierten und uns im Sturzflug mit ihren Pranken zerteilen wollten. Mir blieben Sekunden und in diesen sorgte ich dafür, dass sich mein Bild als Letztes in ihre Erinnerung einbrannte. Ich beschwor das Feuerlasso und holte einen nach dem anderen aus der Luft. Am liebsten hätte ich diesen Monstern ausgiebig die Macht des Feuers demonstriert, doch blieb nicht viel mehr als versengte Ascheklumpen von ihnen übrig. Auch von Seths Angreifern war fast nichts mehr zu sehen.
Wir waren viel zu großzügig. Die Morferales verspeisten ihre Opfer bei lebendigem Leib. Dafür verschafften wir ihnen nur ein kurzes Fegefeuer und damit sollten ihre Verbrechen gesühnt sein?
Wie nach jeder größeren Attacke zwang mich der Schwindel in die Knie. Ohne große Alternative lehnte ich mich gegen den Müllberg und versuchte, mit Willenskraft meinen Körper daran zu hindern, schlapp zu machen. Leider war mein Körper genauso stur und beharrte auf sein Recht, jetzt eine Pause einzulegen.
Mitleidig betrachtete Seth mich und setzte sich in den Dreck neben mich.
„Du hättest nicht so viel Energie aufwenden müssen. Die paar Typen hatten wir locker in der Tasche. Irgendwann bekommst du die Quittung für deinen Leichtsinn“, wies er mich zurecht und hob mein Oberteil an, um sich zu vergewissern, dass der Angriff folgenlos an meinen Verletzungen vorübergegangen war. Mir fehlte die Kraft, um seine Hand wegzuschlagen. Ich wusste, dass ich es übertrieben hatte, das Letzte, was ich jetzt brauchte, war eine Predigt.
„Ich wollte, dass sie leiden. Wie jedes ihrer Opfer“, knirschte ich. Mir war klar, dass die Opferzahl bei weitem mein Vorstellungsvermögen überstieg und ich nicht im Ansatz jedes Leben, das sie ausgelöscht hatten, rächen konnte. Diese Ungeheuer in Flammen aufgehen zu lassen, war das Einzige, was ich tun konnte. Ob die anderen dieselbe Befriedigung verspürten, wenn sie einem von ihnen mit ihrem Element den Garaus machten? Wir redeten viel zu selten über unsere Kräfte, weil wir zu sehr damit beschäftigt waren, mit ihnen zu töten.
„Ich weiß nicht, ob wir stärker werden oder sie schwächer. Normal ist es auf jeden Fall nicht, dass sie sich so leicht umbringen lassen“, dachte ich laut, „nicht, dass ich mich beschweren würde.“
Da fiel mir mein Vorsatz ein, den ich erst vor wenigen Minuten gefasst hatte: die Umgebung nach Spähern zu durchforsten.
Gerade als ich diesen Gedanken beendet hatte, schossen zwei Schlammarme aus der Müllwand hinter mir und zerrten mich mit sich in den Unrat verrotteter Welten. Seth war zu überrumpelt, um mir zu helfen. Ich zählte die Sekunden, die mir blieben, bis sich der ätzende Schleim des Morferales durch meine Kleidung gefressen hätte, meine Haut abschabte und mein Fleisch aufwühlte. So wie das letzte Mal, als mir einer von ihnen zu nahe gekommen war.
Auch wenn es mich die Handflächen kosten würde, packte ich fest die Pranken meines Angreifers. Ich ignorierte den beißenden Schmerz und konzentrierte mich stattdessen auf die Flammen, die ich durch seinen Körper jagte. Augenblicklich lockerte sich der Griff und die wenige Luft, die unter dem Schutt zum Atmen blieb, wurde mit markerschütterndem Gekreische erfüllt. Es war der Todesschrei der Morferales, vollkommene Musik in meinen Ohren. Im Moment lenkten mich aber die Schmerzen an meinen Handflächen und die immer knapper werdende Luft zu sehr ab, um den Triumph genießen zu können.
Ich hatte mir einen weitaus schöneren Tod vorgestellt als unter Gerümpel lebendig begraben zu werden und das mit dem Gestank eines gerösteten Morferales in der Nase.
Wirklich überrascht war ich allerdings nicht. Mein Schicksal war es, die Jäger zu jagen, was unausweichlich so enden musste, dass ich zur Gejagten wurde, die eines Tages in eine Falle tappte. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass eines Tages in so greifbarer Nähe war.
Ich kannte mein Schicksal, hatte dabei aber ganz auf Seths vergessen, das darin bestand, mich aus jedem noch so vermoderten Schlamassel zu retten. Im nächsten Moment wurde es unerträglich heiß um mich und ehe ich mich versah, begann der Dreck unter mir zu zerfließen. Seth musste gewaltige Energien aufbringen, um mich zu befreien. Mich kostete es ebenso viel Kraft, mein Feuer gegen seines einzusetzen, um nicht zu verbrennen.
Zuletzt waren nur noch wir beide in den verkohlten Massen übrig, durchtränkt von dem widerlichsten Gestank, den es je auf Erden gegeben hatte.
Wortlos watete er zu mir durch die trüben Fluten und half mir mich von dem zähen Sud, der mittlerweile jeden Winkel meines Körpers erreicht hatte, zu befreien.
„Ich wünschte, ich könnte sagen, dass das der schlimmste Tag meines Lebens ist“, war das einzige halbwegs Sinnvolle, was über meine Lippen kam, während ich mich von ihm auf neue Verletzungen untersuchen ließ.
Unsere Situation war grässlich – ganz abgesehen von den offensichtlichen Gründen. Heute hatten wir mindestens sieben Morferales getötet, morgen könnten wir doppelt so viele vernichten, es würde keinen Unterschied machen. Sie waren eine Plage, die nicht und nicht auszurotten war. Diejenigen, die ihnen entkommen waren, verkrochen sich in ihren Unterschlüpfen und überließen uns das Kämpfen.
Wer wir waren?
Geschöpfe unterschiedlichsten Ursprungs, noch halb Kind, die das Schicksal zusammengeführt und dazu befohlen hatte, eines der Elemente zu beherrschen und mit dessen Hilfe die Brut der Morferales zu bekämpfen. Mir war es nie in den Sinn gekommen, meine Bestimmung anzuzweifeln oder gar als ungerecht zu empfinden. Für mich war es klar, dass irgendjemand dem Treiben dieser Monster ein Ende setzen musste. Mit jedem Tag aber, den wir ein Dutzend von ihnen auslöschten und ein neues dafür nachkam, schwanden meine Kräfte und meine Glaube daran, etwas bewirken zu können.
„Du bist schon wieder mit deinen Gedanken ganz woanders“, holte Seth mich zurück. Inzwischen hatten wir einen trockenen Fleck Erde gefunden, in der Ferne hörte ich die dampfende Brühe Blasen schlagen. Seth hatte seine gesamte Energie fürs Einschmelzen der Tonnen Müll aufgebraucht, doch so viel Kraft hatte er noch, um mich zu ermahnen. Der nächste Morferales war nicht weit, doch wir hatten uns eine kleine Verschnaufpause verschafft, denn der heiße Brei hinderte jeden Angreifer, sich uns zu nähern, ohne dass er sich die Klauen verbrannte.
„Ich habe an die alten Legenden gedacht, die mir meine Großmutter immerzu erzählt hat. Von dem Herrscherpaar, das die Dimensionen vor dem Weltenclash in Einklang brachte.“
Für gewöhnlich mochte Seth es nicht, von Vergangenem zu reden, weil er meinte, es lenkte uns von der Gegenwart ab, in der Unachtsamkeit schnell zum Todesurteil wurde. Doch die Attacke hatte ihn dieses Mal so sehr geschafft, dass ihm ein Plausch willkommen war. Was aber nicht hieß, dass er nicht in Alarmbereitschaft war, während wir sprachen.
„Ich habe auch so einige Geschichten über die beiden gehört. Sie sollen die mächtigsten Geschöpfe gewesen sein, die je gelebt haben.“
Ich zuckte unbeeindruckt mit den Schultern.
„Egal, wie mächtig sie gewesen sind, das hat sie auch nicht vor dem Clash bewahrt. Weißt du aber, was noch über sie erzählt wird?“
„Etwa dass sie genauso gute Morferalesjäger waren wie wir?“
Ich war nicht für Scherze aufgelegt.
„Meine Großmutter war davon überzeugt, dass sie in einem neuen Leben wiederkehren und den Morferales den Marsch blasen.“
Seth war plötzlich todernst.
„Diese ganze Wiedergeburtskiste ist doch nichts als Schönrednerei, um den Leuten weiszumachen, dass es Erlösung von den Morferales gibt. Solange sie aber nicht ihren Arsch hochkriegen, sind wir die Einzigen, die etwas gegen sie unternehmen. Hört es sich nicht toll an: ‚Keine Angst, dieses Leben ist zwar Mist, doch im nächsten wird alles anders sein‘? Sag mir bitte nicht, dass du an so etwas glaubst, Andy. Wiedergeburten sind etwas für Feiglinge, die sich die Lösung ihrer Probleme im nächsten Leben versprechen. Wir haben dieses eine Leben und wenn wir das verkacken, dann hat zumindest ein Morferales einen vollen Magen.“
Ich hatte nie vermutet, dass sich Seth über solche Dinge Gedanken machte. Eingehend musterte er mich mit seinen saphirfarbenen Augen, die den einzigen Tupfen Farbe in diesem Pfuhl in sich bargen.
„Du hattest verdammtes Glück, dass es bei den Narben geblieben ist. Auch heute bist du nochmal davongekommen.“
Ich sah meine Handflächen an, die in Berührung mit dem Schleim des Morferales gekommen waren, doch keine einzige Schramme davongetragen hatten. Mein Feuer musste den Erreger ausgemerzt haben. Im Normalfall tötete der Schleim bei direktem Kontakt oder zersetzte die Zellen so stark, dass man binnen kürzester Zeit selbst zum Morferales wurde. Nur sehr selten blieb es bei schmerzhaften, aber folgenlosen Verätzungen, ganz wie ich sie seit jenem Tag unter meinem Gewand versteckte.
Seth wandte nicht den Blick von mir, als brannte ihm noch etwas auf der Zunge.
„Es hat nicht mehr viel gefehlt und der Morferales hätte dich ein für alle Mal gehabt. Ich habe kaum klar denken können, als er mit dir abgetaucht ist und selbst danach, war ich nicht ganz bei mir. Doch du bist vollkommen ruhig geblieben, oder?“
„So ganz stimmt das auch nicht. Als ich beinahe erstickt wäre, war mir das nicht egal“, wehrte ich ab, „ich bin einfach so ruhig, weil es keine Alternative gibt, als zu überleben und Morferales zu töten.“
Er sah mich erwartungsvoll an, doch eine andere Antwort bekäme er nicht. Schließlich gab er sich damit zufrieden und rückte näher an mich.
„Kann ich mich kurz hinlegen?“
Ich ließ ihn seinen Kopf in meinen Schoß legen und ihn seine verdiente Pause machen. Ich hatte kein Zeitgefühl mehr und war überrascht, wie die Dämmerung sich über uns legte. Abwesend strich ich durch sein Haar, während er allmählich eindöste.
Das ist meine Geschichte für heute. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sie auch die von morgen und übermorgen sein. Wir sind das Feuer im Schatten. Solange wir nicht erlöschen, wird die Welt nicht von dem Schatten der Morferales verschluckt.
Eine kleine Sniffu-Dröhnung