Leseprobe:
Lesen. Alles, was ich in die Hand bekomme von einem Schriftsteller, einer Schriftstellerin. Kreuz und quer durch das Werk lesen und einiges ganz genau. So lange, bis mir dieses Werk unausweichlich wird, bis ich es nicht mehr weghalten kann von meiner eigenen Wahrnehmung, meinem Empfinden und Denken. Bis ich mich nicht mehr heraushalten kann aus diesen Texten. Mich festlesen an Sätzen, denen ich nicht entkomme. Sätze sind die Basis von Literatur, nicht Handlungen, Beschreibungen oder Gedanken.
Wenn diese Sätze in mir gearbeitet haben, dann erst Biografien lesen und Interpretationen, Instrumente aus meiner seit dem Studium aufgebauten Germanistik-Werkstatt hervorholen und analysieren. Versuchen, den Texten gerecht zu werden und ihrem Autor, ihrer Autorin. Und wenn das alles in mir hochkocht, wenn der Stichwortzettel immer länger wird und die Texte voller Markierungen und Anmerkungen sind, wenn ich vollgesogen bin von diesen Texten und sich meine Gedanken fast nur noch um sie drehen – dann davon erzählen.
Nicht ausführlich Wissen ausbreiten, nicht groß erklären, dafür ist keine Zeit, sondern knapp erzählen. Meist kann ich es am besten, wenn ich erzähle, wie diese Texte mich bewohnen.
© Wien: Sonderzahl Verlag, 2019.