Diese Forderungen (Anm.:Geldschwierigkeiten) hatten mich bewogen, mich kurz darauf erneut mit einem Erbstück meiner Mutter, nämlich mit einer Handschrift Gustav Mahlers, genauer gesagt, mit drei von seiner Hand auf ein liniertes Doppelblatt übertragenen Gedichten Friedrich Rückerts, welche der Komponist im Laufe zweier Sommerwochen im Jahre neuzehnhunderteins in Maiernigg am Wörthersee zu den ersten drei Kindertotenliedern vertont hatte, ins Dorotheum zu begeben. Meine Mutter hatte mir das Doppelblatt nicht lange vor ihrem Tod mit den Worten in die Hand gedrückt, ein glücklicher Zufall habe sie dieses einmalige Dokument in einem Antiquariat in Klagenfurt entdecken lassen, ich möge die Handschrift des Tonschöpfers in Ehren halten und unter keinen Umständen jemals veräußern, ein solches Kleinod zu Geld zu machen, könne nur ins Verhängnis führen. Schlechten Gewissens suchte ich die Abteilung Autographen auf und legte das Blatt dem zuständigen Experten vor, der es sich ansah, damit den Raum verließ, nach einiger Zeit wiederkam und mit leiser Stimme sagte, daß das alte Auktionshaus, welches einen Ruf zu verteidigen habe, von einer Betrugsklage absehe, hätte ich lediglich der Nachsicht des Abteilungsdirektors zu verdanken, das linierte Doppelblatt entstamme einem im Laufe der Fünfzigerjahre dieses Jahrhunderts in einer Papierfabrik in Frantschach im Lavanttal erzeugten Schulheft und sei von einem etwa siebenjährigen, linkshändigen Kind mit einer den Farbstoff Methylviolett enthaltenden Tinte aus derselben Periode beschrieben worden, in seiner bisherigen Laufbahn als Handschriftensachverständiger sei ich der erste, der es wage, ihm mit einer Unverfrorenheit sondergleichen eine derart plumpe Fälschung zu unterbreiten. Als ich bestürzt einwandte, das sei doch nicht möglich, meine Mutter, eine Pianistin, die am Tag der Unschuldigen Kinder vor drei Jahren im Wiener Allgemeinen Krankenhaus an einem ärztlichen Kunstfehler verstorben sei und zu Lebzeiten in Wien und um Wien herum als Autorität in allen mit dem großen Komponisten zusammenhängenden Fragen gegolten hätte, könne sich doch nicht derartig getäuscht haben, worauf der Sachverständige drohend meinte, es sei unverschämt, ihm, einem anerkannten Fachmann, mit solchen Lügen zu kommen, wenn ich nicht wolle, daß er sich vergesse, möge ich das Gebäude umgehend verlassen und nicht wieder betreten.
(S. 187 f.)
© 1999, Kiepenheuer & Witsch, Köln.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.