Leseprobe
Andrea Irx war gekleidet wie ein mitteleuropäischer Zuhälter auf Urlaub in Südeuropa, also irgendwie hawaiianisch-polynesisch. Als I-Tüpfelchen hielt eine verspiegelte Sonnenbrille, gleichsam als Haarreifenersatz, seine gegelte Lockenpracht im Zaum. Mein Sohn nennt so ein Macho-Accessoir vorzugsweise „Pornobrille“. Zum Blumenhemd im Paul Gagauin-Stil & zu den weißen Nike-Shorts durften knallrote Flipflops natürlich nicht fehlen. Immerhin trug Irx weder Armbanduhr noch sonstigen Goldschmuck. Dafür Hansaplaststreifen um mindestens sechs Fingerkuppen. Er war sonnengebräunt & hätte auch durchaus sportlich gewirkt, wenn er zur Begrüßung nicht aufgestanden wäre. Den Buckel hatte er nämlich immer noch. Er bot mir Platz an & ließ sich, nachdem ich ihm ein Päckchen Mannerschnitten überreicht hatte, irgendwie geschockt in sein Polstermöbel fallen, so heftig, dass das Korbgestell bedrohlich knackte & ihm die Pornobrille aus dem Kolloidbett seiner nachtschwarzen Haartolle glitt & hart auf seinem Nasenrücken landete, wo sie bis zur Nasenspitze abrutschte
„Du reißt damit eine immer nur sehr oberflächlich vernarbte Wunde auf“, sagte Irx seufzend. „Wie Du ja überhaupt ein chronischer Wundenaufwühler zu sein scheinst“.
Er spielte damit zweifellos auf die Widmung in meinem Buch an, das ich ihm als eine Art Empfehlung im Voraus gesandt hatte.
„Gibt es das Raimondo überhaupt noch?“, fragte er & brachte die Pornobrille wieder in Haarreifposition.
Ich wüsste es nicht, antwortete ich. Schließlich hätte ich seit einigen Jahrzehnten damit aufgehört, die Nacht zum Tag zu machen bzw. das Schlafen zu vernachlässigen, wenn nicht gar aus meinem Alltag, der eigentlich eine Allnacht gewesen wäre, zu eliminieren, sagte ich.
„Auf die >Allnacht<!“, toastete mir Irx zu. Wir stießen an & kosteten den kühlen Weißen aus den beschlagenen Gläsern. Eine echte Sinnenfreude! Irx’ Aussage nach ein Lac des Roches von Boutari. Er sah so aus, als hätte er seine Ernährung von annodazumal komplett umgestellt. Alkohol statt fragwürdiger Psychobomber & Aspirin, dazu eine leichte Abscheu vor Mannerschnitten, was darauf schließen ließ, dass er sich einigermaßen ausgeglichen ernährte. Abgesehen von seinem Nackenhöcker machte er tatsächlich einen rundum gesunden Eindruck auf mich.
„Wer hatte diese Schnapsidee, ein Buch über mich zu schreiben?“, fragte Irx.
„Didi Gaschti Gastonner“, sagte ich feierlich.
„Der Minimalgalerischt“, tirolerte Irx lakonisch.
„Und der hat Otto Scher, einen grundsolide gewordenen Experimentallyriker & Pimperlverleger, gebeten, dieses Buch lieber selbst zu verfassen, weil Didi sich das nicht zutraut.“
„Wieso bist Du dann da & nicht dieser Scher?“
„Weil Scher eine Reisephobie hat.“
„Eine halbe Stunde vor Abflug ein 10er-Valium & ein kleines Bockbier & es ist einem schnurzegal, ob man in einer abgetakelten DC 9 durch ein Gewitter torkelt oder ob man in einer Rakete in den Orbit geschossen wird“, zeigte sich Irx verständnislos. Ich unterbrach ihn.
(S. 113f.)
© 2013 Kitab Verlag, Klagenfurt