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Exkurse
Eine Nachricht aus einer Mailänder Unterwäschemanufaktur trudelt ein, zusammen mit der Kurzfassung eines Gesprächs mit einer Ideenhistorikerin, welches mit dem eher scherzhaft gemeinten Hinweis endet, wie wichtig unter anderem die Bereitschaft sei, für ein halbwegs vielversprechendes Ziel auch Umwege in Kauf zu nehmen, die in verwachsenes, unwegsames Gelände führen.
Auch hier also: Dampfnudelphilosophie …
Aber im Kursraum, ehemals Büro einer Tanzschule, zuvor Warteraum des einstigen Gesundheitsamts, später für kurze Zeit Dritte Welt-Laden, raschelt wieder einmal das Papier. Nur den beiden von der ehrenwerten Autobiographischen Gesellschaft angereisten Teilnehmern scheint aus irgendeinem Grund schön langsam die Luft auszugehen, sie wirken meist nur müde und enttäuscht.
Die Natur erzeugt Ähnlichkeiten, heißt es bei Walter Benjamin, der ebenfalls oft müde gewesen sein soll, manchmal sogar so sehr, daß er über seinen eigenen Hut oder über seine Schuhstrecker stolperte. Und wir alle, die wir uns geduldig in den Gefilden der Schriftkultur herumtreiben, kennen vergleichbare Zustände vermutlich viel zu genau, als daß wir sie als belanglos abtun möchten. Dennoch muß weiter gelten: Frischer Mut tut gut. – Oder will etwa jemand enden wie jener bulgarische Kollege, der die letzten Jahre seines Lebens damit verbrachte, seinen Mißmut in Form eines permanent wiederholten und deshalb heiser machenden Knurrens auszudrücken, mit dem er vor allem auch auf kritische Fragen zu reagieren pflegte?
Selbst wenn vieles von dem, was wir bisher zu beobachten und erfahren vermochten, zunächst nur bröselig und stellenweise beinahe gefriergetrocknet wirkt, sodaß kaum etwas Verbindendes oder Typisches sich zeigen will, sollten wir keineswegs vergessen: Übereinstimmungen ergeben sich oft nur als Folge eines von sozialen Konventionen geprägten Blicks, und das vermeintliche Verbundensein mit der Welt der anderen äußert sich nicht selten bloß in unverbindlichem Geplauder. – Wenn schon! Wir ziehen dennoch unverdrossen weiter, unterhalten uns, bleiben an einer Fichtenschonung stehen und loben den Häher, der keck sein frisch gesäubertes Gefieder präsentiert, welches diese ungemein zarten Blautöne, die uns so begeistern, vermutlich seit Jahrmillionen zeigt. […]
(S. 445–446)
©2015 Jung und Jung, Salzburg