Leseprobe
Der Betrunkene, die Mädchen und ich, ein Bahnhofstriptychon. Die Mädchen lachten, der Betrunkene stöhnte, und ich saß, die Beine ausgestreckt, in der Mitte.
Im Übrigen hätte der Bahnhof gut als Heimatfilm-Kulisse Verwendung finden können, nicht nur wegen der schnörkeligen Bahnsteiggeländer und der Blumenampeln, die an den grünen Gusseisen-Säulen hingen, sondern auch wegen der vielen dekorativen Details, die zu entdecken waren: das karierte Geschirrtuch, das jemand zum Trocknen vors Fenster gehängt hatte; die Katze, die im schmalen Schatten eines Telegrafenmasten saß; eine in die Hauswand eingelassene Bassena, die noch funktionstüchtig war, sodass ich meine beiden Trinkflaschen aus dem Rucksack nahm und sie befüllte.
Ungläubig sah mir der Betrunkene zu, als habe er die Existenz des Wasserbeckens bislang, vielleicht über Jahre hinweg, nicht bemerkt, und nach einer Weile erhob er sich von seiner Bank und stellte sich, wie an einer Essensausgabe, hinter mir an. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass da eine seltsame Bewegung in seinem Körper war, eine Welle, die in ihm hinauf- und hinunterlief, ständig kurz davor, den ausgemergelten Körper zum Kollabieren zu bringen. Aber der Betrunkene hielt dem Schlenkern souverän stand, und als ich meine Flaschen verschraubt hatte und zur Bank zurückging, holte er mit den langen Armen aus und schwang sich ans gusseiserne Becken vor. Legte dort sein Hemd ab und hielt seinen Kopf unter Wasser.
(S. 109f)
© 2017 Literaturverlag Droschl, Graz.